Seine letzte Dakar #1

Nächstes Jahr tritt Ex-GP-Rennfahrer Jurgen van den Goorbergh das letzte Mal bei der härtesten aller Rallys – der Rallye Dakar – an. Derzeit bereitet sich der 47-Jährige mit Volldampf auf sein zehntes Antreten bei der legendären Veranstaltung vor. Drei Episoden lang werden wir ihn dabei begleiten.

Die Schweißtropfen auf seiner Stirn sprechen eine deutliche Sprache. Bei jedem Training verfolgt Jurgen van den Goorbergh dasselbe Prinzip. Schnell wird klar, dass der Mann aus Breda in den Niederlanden keine halben Sachen macht – und seine 90-minütigen Trainingssitzungen sind da keine Ausnahme. Es ist nach wie vor erstaunlich, mitanzusehen, mit welcher Leichtigkeit der ehemalige GP-Rennfahrer sich durch das schwierige Gelände in der ihm gut bekannten, stark bewaldeten Gegend um Kempen (weniger als eine Stunde von seinem Wohnort entfernt) wühlt. Er bedient sich dabei einer KTM 450 EXC-F. „In der Vorbereitungsphase fahre ich mit meiner Enduro, um das Dakar-Bike zu schonen. Mit dem darf ich nicht zu viele Kilometer fahren, damit es so frisch wie möglich ist, wenn es in Südamerika ankommt“, erklärt uns van den Goorbergh.

Jurgen van den Goorbergh (NED) 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Bei der in diesem Winter stattfindenden nächsten Ausgabe wird van den Goorbergh bereits zum zehnten Mal bei der Rallye Dakar antreten – das allein ist schon eine große Leistung, die noch beeindruckender erscheint, wenn man sich vor Augen führt, dass er hauptsächlich für seine Erfolge auf asphaltierten Strecken bekannt ist. Zwischen 1992 und 2002 war er permanent auf den Rennstrecken der Welt zu sehen, in den letzten sechs Jahren fuhr er sogar permanent in der höchsten Rennklasse. Obwohl er es nie aufs Podium schaffte, konnte er sein Können bei mehreren Gelegenheiten zeigen. Nachdem er 1997 und 1998 seine beiden besten Jahre als Privatfahrer verzeichnen konnte, schaffte er es in der Saison 1999 mit seiner Muz-Weber zweimal auf die Pole Position. Eine hervorragende Leistung, besonders für einen Fahrer aus den Niederlanden.

Nach seiner ersten Saison in der MotoGPTM im Jahr 2002 wechselte er in die World Supersport-Serie, die er in den beiden darauffolgenden Jahren auf dem dritten Platz beenden konnte. Im Herbst seiner Karriere bekam er noch einmal die Chance, sein großes Können auf höchstem Niveau zu zeigen. Er sprang für den verletzten Makoto Tamada ein – und beendete den Großen Preis von China 2005 auf dem sechsten Rang, obwohl er die Honda RC211V zum ersten Mal bewegt hatte. Diese Leistung brachte ihm einen Vertrag als Testfahrer für Michelin ein.

Große Risikobereitschaft
Jurgen van den Goorbergh beendete seine Karriere offiziell im Jahr 2006. Bald darauf fand er aber eine neue Herausforderung und schrieb sich bei der 2008er-Ausgabe der Rallye Dakar ein. Leider fand diese Ausgabe nie statt, da eine Terrorwarnung die Organisatoren zur Absage zwang. Im darauffolgenden Jahr überraschte er mit einem hervorragenden siebzehnten Gesamtrang. „In der ersten Woche kämpfte ich mit anderen um den fünfzigsten Platz. Als ich aber den Dreh raushatte, kletterte ich schnell das Klassement hinauf. Mein siebzehnter Platz war überwältigend und obendrein wurde ich auch noch zum besten Rookie gekürt.“ Diese Leistung erweckte wohl den professionellen Rennfahrer in ihm zu neuem Leben. Trotzdem war er sich darüber im Klaren, dass er ein erhebliches Risiko eingehen müsste, um sich in den folgenden Jahren zu verbessern. „Im ersten Jahr funktionierte alles prächtig. Das war der Grund für mein gutes Abschneiden. Ich hätte vielleicht ein Werksmotorrad ergattern können, aber für mich hatte die Dakar eine andere Bedeutung. Natürlich ist ein solches Endresultat ungemein befriedigend, für mich ging es aber mehr um die persönliche Herausforderung als um irgendetwas anderes. Ich hätte es niemals in die Top-10 schaffen können, besonders da Frans Verhoeven [der beste niederländische Motorradrennfahrer bei der Rallye Dakar im neuen Jahrtausend] ein regulärer Trainingspartner von mir war. Er war damals deutlich schneller als ich und ich konnte mir ein Bild davon machen, welche Risiken man eingehen musste, um auf diesem Niveau zu fahren. Ich war einfach nicht bereit, so weit zu gehen – einfach deshalb, weil es nicht realistisch war, die Lücke zu schließen und es unter die besten Zehn zu schaffen.“

Nach dieser Zeit verlagerte sich sein Interesse in die Buggy-Klasse, wo er – zusammen mit seinem guten Freund und Sponsor Kees Koolen – ein Projekt namens GoKoBra ins Leben rief. Seine ersten Versuche waren allerdings vergeblich und der Buggy schaffte es nicht bis ins Ziel. In den Jahren 2012 und 2013 sah er endlich wieder die Ziellinie – auf den respektablen Plätzen vierundsechzig und siebenundsechzig. Im darauffolgenden Jahr kehrte er in der Truck-Klasse – mit Kees Koolen als Navigator – zur Rallye Dakar zurück. Schließlich fand van den Goorbergh im Jahr 2015 eine neue Herausforderung, dieses Mal wieder auf zwei Rädern. Er schaffte es, das Rennen in der Malle Moto-Klasse zu beenden – was bedeutete, dass er alle Arbeiten selbst erledigen und ohne Team antreten musste. Die Dakar ist sowieso schon knallhart, aber die Malle Moto-Klasse legt dem noch einmal ordentlich eins drauf. Er kam dabei nicht nur beim ersten Antreten ins Ziel, sondern lieferte sich mit Thomas Berglund auch noch einen erbitterten Kampf um den Sieg. Am Ende musste er sich mit Platz Zwei zufriedengeben. Schnell wurde aber klar, dass er auch 2016 in der Malle Moto-Klasse antreten würde. „So soll die Dakar sein“, sagt van den Goorbergh. „Rob van Pelt fuhr früher in der Box-Klasse, was mich tief beeindruckt und inspiriert hat. Ich musste die Rallye Dakar zumindest einmal auf diese Art angehen. Es ist ein klein wenig schwieriger, da du alles selbst machen musst. Für mich macht das die Sache noch interessanter, wenn du es ganz alleine ins Ziel schaffst.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Völlig verloren
Bei seinem zweiten Versuch in der Box-Klasse im Jahr 2016 schaffte es van den Goorbergh nicht nur ins Ziel, sondern gewann seine Klasse sogar. Beim letztjährigen Rennen setzte van den Goorbergh seiner One-Man-Show die Krone auf und baute sich sein eigenes Rally-Bike. Er legte sich eine KTM 450 EXC-F zu und fing an, das Motorrad nach seinen eigenen Wünschen zu modifizieren, bekam aber echte Probleme, als es hart auf hart kam. „Am Ende des dritten Tages hatte ich einen Unfall. Bis dahin war alles super gelaufen und ich hatte bereits einen Vorsprung von dreißig Minuten auf meine Konkurrenten herausgefahren. Circa zwanzig Kilometer vor dem Ziel zerlegte es mich dann in einer großen Wasserlache. Tatsächlich legte ich eine Art Highsider hin. Ich muss einen großen Felsen oder so etwas im Wasser getroffen haben – anders kann ich es mir nicht erklären. Ich verlor komplett die Orientierung und saß etwa eine Stunde einfach nur da. Der Crash hatte mich außer Gefecht gesetzt und jedes Mal, wenn ich aufstehen wollte, fiel ich gleich wieder hin. Mir war klar, dass etwas nicht in Ordnung war. Ein anderer Fahrer aus den Niederlanden kam vorbei und nahm mich mit zurück ins Basislager. Ich hatte zwei Möglichkeiten zur Auswahl: an meinem Bike zu arbeiten oder einen Arzt aufzusuchen. Ich entschloss mich für die erste Option, da der Crash mein Bike ziemlich stark beschädigt hatte und es meine Aufmerksamkeit brauchte. Als ich aber am Bike arbeitete, begann ich, mich körperlich noch schlechter zur fühlen. Jedes Mal, wenn ich mich überbeugte, fiel ich wieder hin. Ich hatte offenbar eine schwere Gehirnerschütterung davongetragen.“ Irgendwie schaffte es der KTM-Fahrer, am nächsten Tag an den Start zu gehen, musste aber nach siebzig Kilometern die Segel streichen. „Ich hatte jede Menge Schmerzmittel genommen, konnte aber einfach nicht atmen. Wir fuhren in großer Seehöhe, aber bei meinem Crash hatte ich mir außerdem vier Rippen gebrochen. Ich hatte einfach keine Kraft mehr und wusste, dass ich erledigt war. Ich musste die Reißleine ziehen und war damit auf der Stelle aus dem Rennen. Nach vielen Monaten der harten Arbeit, des Aufbauens und Planens war alles nach nur vier Tagen vorbei. Das zu verdauen dauerte eine Weile.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Eine solide Basis
Die Enttäuschung hätte wohl nicht größer sein können. Trotzdem begann Jurgen zwei Wochen nach der 2017er Dakar mit den Vorbereitungen für eine Rückkehr auf das Bike und nach Südamerika. Beim bevorstehenden Rennen will van den Goorbergh zeigen, dass sein Bike das Zeug dazu hat, es ins Ziel zu schaffen. „2016 hatte gezeigt, dass die Sonderprüfungen wesentlich technischer geworden waren. Ich wusste also, dass das Bike ein gutes Handling haben musste. Also machte ich mich daran, ein Bike zu bauen, das wesentlich leichter als käuflich zu erwerbende Rally-Bikes war. Die 450er-Enduro von KTM war eine gute Basis. Die Entwicklung so eines Motorrads ist sehr aufwändig. Entsprechend groß war die Enttäuschung, als ich letztes Jahr aufgeben musste. 2018 möchte ich zeigen, dass mein Bike eine gute Alternative für Jungs mit schmalen Brieftaschen ist, die trotzdem Qualitätsmaterial wollen.“ Beim Bau seines eigenen Bikes fand der Niederländer heraus, wie er seine KTM deutlich leichter als die Konkurrenz machen konnte. „Eine so deutliche Gewichtsreduzierung bedeutete einen großen Vorsprung – das spürst du garantiert. Ich schaffte es, das Bike um gute 24 Kilo leichter zu machen und das Trockengewicht auf ca. 120 Kilogramm zu drücken. Der Motor bleibt unangetastet, sodass Zuverlässigkeit garantiert ist. Ich habe lediglich die Übersetzung des fünften Ganges geändert, da dieser extrem nah am sechsten war. Das war‘s aber auch schon.“

Natürlich hat der serienmäßige Motor etwas weniger Power als die Konkurrenz, dafür ist das Handling wesentlich besser. „Früher hatte ich Umstellungsschwierigkeiten, wenn ich von meiner Trainings-Enduro auf das Rally-Bike wechselte. Es fühlte sich merkwürdig an, da ich fast nie damit fuhr. Bei meinem neuen Bike geht der Umstieg reibungslos vonstatten – es fühlt sich genau wie meine Enduro an.“

Obwohl er noch keine Erfolge vorweisen kann, konnte er bereits drei Kunden von seinem Bike überzeugen. Für den ehemaligen GP-Fahrer ein Mittel zum Zweck, um nach seiner endgültigen „Pensionierung“ im Rally-Raid-Sport aktiv zu bleiben. „Das wird meine letzte Dakar – danach ist Schluss. Daher hoffe ich, dass dieses Projekt mir ermöglicht, noch lange ein Teil des Sports zu bleiben. Einfach nur die Umbaukits zu verkaufen, würde mir reichen. Das würde mir gut gefallen.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Eine ganze Dakar vor der Dakar
Der Hauptgrund dafür, dass diese Dakar Jurgen van den Goorberghs letzte auf einem Motorrad sein wird, ist der verrückte Lebensstil, den diese Rally erforderlich macht. „Ich bin sicher nicht der jüngste Teilnehmer. Das Fahren ist nicht das Problem, aber der Körper spielt nicht mehr so gut mit wie früher. Und abgesehen vom Körperlichen verausgabst du dich auch bei der Vorbereitung extrem. Das bedeutet viel Stress, besonders, wenn du alles selbst organisieren musst. Es wäre schön, im Winter einige Monate in Ruhe verbringen zu können.“

Die Vorbereitungen für die bevorstehende Rally laufen rund, aber van den Goorbergh hat in der Gestalt seines Sohnes Zonta bereits ein neues ‚Projekt‘ am Laufen, welches auch einige Zeit in Anspruch nimmt. Nicht, dass es den 47-Jährigen stört, denn der Sohnemann tritt in die Fußstapfen seines Vaters. „Er ist zwölf Jahre alt und hat bereits jetzt ein gutes Gefühl für das Rennfahren. Er macht schnell Fortschritte und seine Rennkarriere nimmt schon richtig ernsthafte Züge an. Das bedeutet, dass wir noch mehr Zeit investieren müssen.“

Zonta & Jurgen van den Goorbergh (NED) 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Dennoch wirkt sich das Herumreisen mit Zonta und die Unterstützung seines Sohnes bei dessen Rennkarriere nicht negativ auf seine Vorbereitungen für die Rallye Dakar aus. Im Gegenteil – er fühlt sich sogar besser als letztes Jahr zur selben Zeit. „Ich habe im März wieder mit dem Laufen angefangen, da ich wusste, dass ich wieder bei der Dakar mitfahren würde. Wenn ich im Dezember nach Südamerika fliege, werde ich gute fünfhundert Kilometer gelaufen sein.“ Zusätzlich dazu hat er viel Zeit auf seiner Enduro verbracht und wird in den kommenden Wochen noch weitere Kilometer abspulen, schließlich möchte er eine ganze Rallye Dakar-Distanz hinter sich bringen, bevor er zur echten Rallye Dakar abreist. „Ich versuche, etwa zehntausend Offroad-Kilometer zurückzulegen, was in etwa der Renndistanz entspricht. Es ist nicht einfach, alle diese Ausritte in meinem Kalender unterzubringen, da ich immer noch drei bis vier Tage die Woche mit dem Fertigen von Sport-Rollstühlen verbringe. Ich versuche aber, mir den ganzen Dezember freizunehmen, um mich auf das Rennen zu konzentrieren. Darauf läuft am Ende alles hinaus.“

Die zweite Folge dieser Serie wird Anfang Dezember online gestellt. Willst du in der Zwischenzeit über Jurgen van den Goorberghs Vorbereitungsarbeit auf dem Laufenden bleiben? Dann folge ihm auf Twitter und Facebook

Jurgen van den Goorbergh (NED) 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Fotos: Jarno van Osch/Shot Up Productions