Seine letzte Dakar #3

Nächstes Jahr tritt Ex-GP-Rennfahrer Jurgen van den Goorbergh das letzte Mal bei der härtesten aller Rallys – der Rallye Dakar – an. Derzeit bereitet sich der 48-Jährige mit Volldampf auf seine zehnte Teilnahme an der legendären Veranstaltung vor. Drei Episoden lang werden wir ihn dabei begleiten.

Jurgen van den Goorbergh (NED) 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Es ist bereits ein paar Jahre her, seit Jurgen van den Goorbergh Neujahr mit seiner Familie verbringen konnte. Diese Entscheidung hat er aber ganz bewusst getroffen. Er nahm die letzten neun Jahre an der Rallye Dakar teil, deren Startschuss jährlich in den ersten Tagen des Jahres fällt. Obwohl der Start der diesjährigen Ausgabe auf einen etwas familienfreundlicheren Tag fällt, sodass er in der Lage sein wird, mit seinen Liebsten anzustoßen, muss er bereits am darauffolgenden Tag abreisen. Sein Ziel: Südamerika, genauer gesagt Lima. Das zweiwöchige, 14 Sonderprüfungen umfassende Rennen wird am 6. Januar in der Hauptstadt Perus beginnen. „Das wird meine letzte Dakar und ich habe zwei Gründe, es noch ein letztes Mal zu versuchen. Erstens möchte ich zeigen, dass mein selbstgebautes – auf der KTM 450 EXC-F basierendes – Rally-Bike zuverlässig funktioniert. Und zweitens wegen der Route für 2018. Wir starten in Peru – da musste ich einfach dabei sein. In den Wüsten Perus finden sich einige der unglaublichsten Sanddünen der Welt; die haben etwas Magisches an sich. Darauf freue ich mich total.“

Nach diesen sechs Tagen wird der 48-jährige Fahrer aus den Niederlanden die Grenze nach Bolivien überqueren, wo ihn viele weitere technische Prüfungen erwarten werden. „Diese Art von Terrain sollte meinem Bike sehr gut liegen. Sein geringes Gewicht und seine Wendigkeit sollten dort von Vorteil sein. Ich erwarte, dass es auf diesen Prüfungen pfeilschnell sein wird.“ Letztes Jahr haben heftige Regenfälle die Party in Bolivien ordentlich vermiest, van den Goorbergh glaubt aber nicht daran, dass sich das dieses Mal wiederholen wird. „Ich halte Kontakt mit Chavo Salvatierra (Dakar-Fahrer aus Bolivien), der auch einige Teile verwendet, die ich für ihn angefertigt habe. Er hat mir versichert, dass das Wetter viel besser als letztes Jahr werden wird. Natürlich ist Regen nie auszuschließen, aber es kann nur besser werden als letztes Mal.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) KTM 450 EXC-F 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Eine harte Nuss
Van den Goorbergh verlässt seine Heimat gut vorbereitet und freut sich bereits auf den Start der Rallye Dakar. In den ersten paar Tagen wird sein Hauptaugenmerk darauf liegen, einen Rhythmus zu finden, den er die ganzen zwei Wochen aufrechterhalten kann. Viel hängt auch davon ab, das Navigieren bei hohen Geschwindigkeiten zu verinnerlichen. „Ich bin natürlich in guter Verfassung zum Rennfahren, habe aber die meisten Trainingssitzungen auf einer Enduro verbracht. Das Rally-Bike wurde auf den härtesten Terrains getestet, ich hingegen habe nicht viele Kilometer darauf abgespult. Das muss ich mir für Südamerika aufsparen. Die schnellen Jungs trainieren jeden Tag mit ihren Rennmotorrädern. Ich hätte an einigen kleineren Rally-Raid-Veranstaltungen teilgenommen, wenn das nicht so verdammt teuer wäre.“ Aus diesem Grund wird sich van den Goorbergh erstmal wieder an das Navigieren gewöhnen müssen. „Zuerst muss ich meinen Rhythmus wiederfinden. Am Anfang werde ich so meine liebe Not haben – da mache ich mir gar keine Illusionen. Du bist gewöhnt, viel schneller zu fahren, aber nun musst du von Zeit zu Zeit auf das Roadbook hinunterblicken. Das lenkt ab und Konzentration ist ein absolutes Muss; wenn du die auch nur für den Bruchteil einer Sekunde verlierst, steckst du in Schwierigkeiten. Du musst in der Lage sein, hinunterzublicken, nachzudenken und dann den richtigen Abzweig zu nehmen. Das macht Rally-Raid so interessant. Wenn es nur um den reinen Speed ginge, würden sie Jeffrey Herlings in die Wüste schicken.“

Das Navigieren selbst hat sich seit letztem Jahr grundlegend geändert, besonders durch den Einfluss von Marc Coma als Sportdirektor der Dakar. Es ist schwieriger geworden. „Die Wegpunkte sind jetzt besser versteckt. Früher konntest du einen Wegpunkt aus einer halben Meile Entfernung ausmachen. Das wird dieses Mal nicht mehr der Fall sein, also musst du viel öfter auf das Roadbook hinunterblicken. Außerdem bedeutet das, dass du dich viel stärker auf deine Navigationskenntnisse verlassen musst.“ Nicht gerade eine einfache Sache, wie van den Goorbergh nur allzu gut weiß. Es braucht nicht viel passieren, und du steckst in Schwierigkeiten. „Wenn du in einer Kurve zu weit nach außen kommst oder sie schneidest, merkst du erst eine ganze Weile später, dass der Stand am Kilometerzähler 300 Meter oder noch mehr abweicht. Das macht einen großen Unterschied, wenn es darum geht, den richtigen Weg zu einem Wegpunkt zu nehmen, den du in einer Entfernung von 90 Metern oder weniger passieren musst. Du bist also ständig am Korrigieren des Kilometerzählers am Tacho. Eine harte Nuss, das Navigieren.“

© Jarno van Osch/Shot Up Productions

Keine Atempause
Doch nicht nur das Navigieren könnte van den Goorbergh Kopfzerbrechen bereiten. Die Tatsache, dass er in der Malle Moto-Klasse (malle ist Französisch für Box) antritt, ist alleine schon eine Herausforderung. „In der Malle Moto zu fahren, ist brutal. Du verbringst dabei nicht nur den ganzen Tag am Bike, sondern musst es abends im Camp auch noch selbst warten. Dabei darf dir niemand helfen, und das ist hart.“ Für van den Goorbergh und seine Leidensgenossen in der Malle Moto-Klasse (insgesamt 28!) werden die Tage verdammt lang werden. „Mein Wecker klingelt um 3:30 Uhr morgens, da wir normalerweise um ca. 5:00 Uhr aufbrechen. Wenn du am späten Nachmittag zurückkehrst, bleibt nur wenig Zeit zum Essen und Duschen. Das kannst du dir als Malle Moto-Starter oft nicht erlauben. Du bist müde, musst dir dann aber auch noch die Hände schmutzig machen. Andernfalls ist dein Bike nicht für den nächsten Tag bereit. Ich habe einen Arbeitsplan für jeden Tag und jedes Mal geht mindestens eine Stunde drauf. Und dabei sprechen wir nur von reiner Wartung – Reparaturen nach Unfällen auf der Prüfung nicht mitgerechnet. Wenn du stürzt oder Probleme mit der Mechanik bekommst, hast du am Abend alle Hände voll zu tun.“ Malle Moto-Starter können von Glück reden, wenn sie es gegen 23:00 Uhr ins Bett schaffen. Meistens ist dir nicht einmal dieser Luxus gegönnt. „Das ist auch der Grund, warum viele der Top-Jungs um so viel schneller sind als wir. Die hauen sich um 21:00 Uhr aufs Ohr. Die können sich ausrasten, was ihnen beim Konzentrieren am nächsten Tag hilft. Das Fahren in der Malle Moto ist nicht nur anstrengend, sondern aufgrund des Schlafentzugs auch gefährlich.“

Sollte er größere Probleme bekommen, kann sich van den Goorbergh an das KTM-Team wenden. „Kleinere Teile wie Fußrasten und Hebel habe ich in meiner Box, aber in der ist nicht endlos Platz. Wenn mein Lenker verbogen wird oder bricht, schaue ich auf einen Sprung beim KTM-Service-Truck vorbei. Teile wie diese kann ich dort käuflich erwerben. Es ist aber auf jeden Fall vorzuziehen, mich gar nicht erst an KTM wenden zu müssen, denn das würde bedeuten, dass ich einen Unfall hatte. Für einen Malle Moto-Fahrer ist das ein besonders schwerer Schlag.“

© Jarno van Osch/Shot Up Productions

Der einsame Krieger
Jurgen van den Goorbergh muss die Dakar nur mit Hilfe der Box (festgelegte Maße von 80 x 44 x 36 cm), welche die Organisatoren für ihn zum jeweils nächsten Camp bringen, beenden. „Meine Box besteht eigentlich aus zwei Boxen – eine mit losen Kleinteilen, Krimskrams und Motorradteilen. In der zweiten befinden sich meine Werkzeuge. Da dies bereits meine vierte Teilnahme in der Malle Moto-Klasse ist, weiß ich genau, was ich mitbringen muss. Bei meinem ersten Start im Jahr 2015 hatte ich die Werkzeugkiste total überfüllt, obwohl ich geglaubt hatte, von zwei erfahrenen Teilnehmern gut beraten worden zu sein. Im Camp gibt es eine Werkbank für Malle Moto-Fahrer, für die ich ziemlich dankbar bin. Das erste Mal hatte ich einen Achsenschleifer mitgenommen – etwas, das du im Leben vielleicht einmal brauchen wirst und das du dir bei Bedarf auch ausborgen kannst.“

Neben der Box dürfen Malle Moto-Fahrer einen Radsatz, ein Zelt und einen Sack Klamotten mitnehmen. Die Veranstalter bringen die Ausrüstung dann von einem Camp zum nächsten. Was andere Dinge betrifft, verlässt sich van den Goorbergh darauf, dass befreundete Teams ihm aushelfen. „Alle wissen, wie schwer es Malle Moto-Fahrer haben, und helfen dir deshalb ohne zu Murren, wenn du sie um einen Gefallen bittest, zum Beispiel einen Sack oder ein paar Teile für dich in ihrem Truck mitzunehmen. Auch die Veranstalter wissen um die Strapazen der Malle Moto-Teilnehmer und kümmern sich gut um uns. Zum Beispiel, indem sie das Malle Moto-Camp in der Mitte des Lagers platzieren – nahe am Verpflegungszelt und nahe am Michelin-Truck. Das alleine spart viel Zeit, wenn wir Räder und Reifen durch das Camp tragen müssen.“

Trotz all der Herausforderungen der Malle Moto-Klasse will es der ehemalige MotoGPTM-Fahrer nicht anders haben. „Das ist die ursprünglichste Form des Rallyfahrens. Ich trat 2009 zum ersten Mal bei der Dakar an und alles lief richtig gut. Ich beendete meine erste Rallye Dakar auf dem siebten Platz; eine unglaubliche Performance. Außerdem wurde ich zum Rookie des Jahres gewählt, was die Sache für mich noch spezieller machte. Auf dem Papier war es meine bei weitem beste Rally, aber nicht vom Gefühl her. Mein Sieg in der Malle Moto-Klasse 2016 – das war wirklich etwas Besonderes. Wenn du völlig auf dich allein gestellt bist, ist das Erfolgserlebnis am Ende wesentlich größer.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Eine zusätzliche Herausforderung
Ein Sieg in der Malle Moto-Klasse bei der 2018er-Ausgabe der Wüstenrally wäre der krönende Abschluss Jurgen van den Goorberghs Dakar-Karriere. Als ihm zu Ohren kam, dass auch Olivier Pain in dieser Spezialklasse antreten wird, wurde ihm aber klar, dass diese Dakar für ihn noch einmal an Schwierigkeit gewonnen hatte. „Ich war ziemlich erstaunt, als ich das hörte. Pain ist ein Spitzenfahrer. Ich hätte nie geglaubt, dass er einmal in der Malle Moto-Klasse fahren würde. Er ist natürlich ein ausgezeichneter Fahrer; das musst du auch sein, wenn du – wie er im Jahr 2014 – den dritten Gesamtplatz erzielen willst. Außerdem sind diese Top-Jungs ziemlich versierte Schrauber, sodass auch dieser Aspekt für ihn kein Problem darstellen sollte. Seine einzige Schwäche wäre, wenn er versuchen sollte, allen zu zeigen, wie schnell er ist. Daran ist er seit Jahren gewöhnt, aber in der Malle Moto musst du eine völlig andere Taktik anwenden.“ Van den Goorbergh bekam am eigenen Leib zu spüren, welche Folgen zu hoher Leichtsinn bei der Dakar haben kann. „Letztes Jahr stürzte ich nur wenige Tage nach dem Start, unter anderem deshalb, weil ich an diesem Tag zu schnell fuhr. Ich erzielte gute Zeiten, was sich aber angesichts des Unfalls nicht bezahlt machte. Dieser eine Schnitzer brachte für mich den Ausfall – das zeigt, wie vorsichtig du sein musst.“

Trotz seines neuen Rivalen aus Frankreich bleibt das klare Ziel des Niederländers dasselbe. Die Dakar mit seinem selbstgebauten Bike zu beenden, ist alles, was für ihn zählt. „Natürlich will ich ein gutes Resultat erzielen und so gut wie möglich abschneiden. Fahrerisch habe ich Pain nichts entgegenzusetzen, das bedeutet aber nicht, dass ich ihn nicht besiegen kann. Es geht nicht nur um den reinen Speed; auch die Taktik spielt eine große Rolle. Wenn ich es bis ins Ziel schaffe, möchte ich auf dem Podium der Malle Moto-Klasse stehen. Wenn alles so läuft wie geplant, ist das sicher möglich. Im Gesamtklassement möchte ich in der ersten Woche unter den besten fünfzig Motorradfahrern sein. Wenn ich es schaffe, konstant zu fahren, kann eigentlich nichts schiefgehen. In der letzten Woche werden viele Fahrer ausfallen, was mir erlauben sollte, noch ein paar Plätze gutzumachen. Mein Ziel ist, es unter die besten 35 zu schaffen und ich werde alles geben, das auch zu erreichen.“

Willst du über Jurgen van den Goorberghs Fortschritte bei der Rallye Dakar auf dem Laufenden bleiben? Dann folge ihm doch auf Twitter und Facebook.

Jurgen van den Goorbergh (NED) 2017 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Fotos: Jarno van Osch/Shot Up Productions