Seine letzte Dakar #4: „Ich freue mich, Teil dieser Rallye Dakar gewesen zu sein“

Wir folgten Jürgen van den Goorbergh bei seinen Vorbereitungen für seinen letzten Start bei der Rallye Dakar; seine letzte Chance, die Malle Moto-Klasse zu gewinnen. Natürlich waren wir neugierig, zu erfahren, wie es dem Niederländer bei der 2018er-Ausgabe erging. Der frühere MotoGPTM-Fahrer vertraut uns an, wie hart die berüchtigste Rally der Welt dieses Mal war.

Jurgen van den Goorbergh (NED) Dakar 2018 © Shakedown Team

Zuerst einmal: Herzlichen Glückwunsch! Du hast es ins Ziel geschafft, als 41. Da bist du doch sicher stolz drauf, oder?
„Es war ein gutes Ende meiner Dakar-Karriere. Mein letzter Versuch auf einem Motorrad auf jeden Fall. Wer weiß – vielleicht kehre ich eines Tages zurück, aber sicher nicht auf zwei Rädern; auf keinen Fall. Ich freue mich aber, Teil dieser Rallye Dakar gewesen zu sein. Es war ein harter Kampf, aber eine gute Rally. Zu wissen, dass ich es mit einem von mir selbstgebauten Bike geschafft habe, macht mich schon etwas stolz. Außerdem macht das meine Zielankunft noch besonderer, obwohl ich es aus diesem Grund wohl nicht in die Spitzenränge geschafft habe. Ich musste vorsichtig fahren, da ich auf jeden Fall ankommen wollte. Auszuscheiden kam einfach nicht in Frage. Das bedeutete, dass ich am Ende nicht so gut abschnitt, wie ich es ursprünglich wollte. Das zeigte sich relativ schnell. Ich kam hierher, um in der Malle Moto-Klasse um den Titel zu kämpfen, aber nach nur sechs Tagen war klar, dass dieses Ziel außer Reichweite war. Danach war es mir eigentlich egal, welchen Platz ich erreichen würde. Am Ende war es der 41., womit ich ganz zufrieden bin. Für mich persönlich war es eine gute Rally. Ich habe wenig Fehler gemacht und das Bike in einem Stück ins Ziel gebracht. Meine KTM hat die ganze Rally lang klaglos funktioniert. Im Nachhinein betrachtet, hätte ich sicher schneller fahren können, aber ich wollte das Motorrad unbedingt in einem Stück ins Ziel bringen. Und das ist mir auch gelungen!“

Jurgen van den Goorbergh (NED) Dakar 2018 © Shakedown Team

Das Bike hat es unbeschadet überstanden – das kann man von dir aber nicht behaupten, oder?
„Genau. Für mich ist die Dakar noch lange nicht vorbei. Ich leide immer noch an einer bösen Nackenverletzung und die Schmerzen kommen in Schüben. Bei Etappe 11 habe ich auf einer schnellen Düne die Kontrolle verloren. Die Düne flachte sich unten schnell ab und ich fuhr auf einen kleinen Kamelgras-Hügel auf. Davon gibt es in der Wüste tausende und normalerweise sind die Dinger recht weich. Dieser war es nicht. Als er mein Hinterrad traf, warf es mich aus dem Sattel. Mein Vorderrad hinterließ dabei einen schönen Abdruck, der sich quer über meinen Helm zog. Ich kann also von Glück reden, dass es mich nicht direkt im Gesicht getroffen hat. Ich war in diesem Moment nicht einmal besonders schnell unterwegs. Der Unfall war trotzdem ziemlich heftig. Umgehend erinnerte ich mich an meine letzte Teilnahme, als mich ein relativ harmloser Crash aus dem Rennen geworfen hatte. Ich stand sofort wieder auf und fühlte, dass mein Nacken am meisten abbekommen hatte. Außerdem war mir ziemlich schwindelig. Als mir der Inhalt meines Trinkbeutels die Beine hinunterfloss, war mir klar, dass ich auch noch auf dem Rücken gelandet war. Ich hatte nur etwa fünfzig Kilometer der Etappe zurückgelegt und wusste somit, dass ich sie nun ohne Wasser zu Ende fahren musste. Es gelang mir noch, ein paar Einheimischen ein paar Flaschen Wasser abzukaufen, was aber bedeutete, dass ich zum Trinken stehenbleiben musste. Ich nutzte deshalb jede Chance, ein paar Schlucke zu trinken. Am Wegesrand anzuhalten war aber noch das geringste meiner Probleme. An diesem Punkt machte ich mir größere Sorgen über eventuell gebrochene Knochen. Nachdem ich mich selbst durchgecheckt hatte, wusste ich aber, dass das nicht der Fall war. Stell dir vor, du musst nur wenige Tage vor dem Ende wegen eines gebrochenen Schlüsselbeins aufgeben. Ich hoffte jedenfalls, dass mein Nacken mit der Zeit weniger schmerzen würde. Diese Hoffnung erfüllte sich leider nicht. Tatsächlich wurde es nur noch schlimmer. Ich besorgte mir also einen Vorrat Schmerztabletten und fuhr weiter. Am vorletzten Tag wachte ich auf und konnte meinen Kopf fast nicht heben. Das kann nicht gut sein, dachte ich. Nur gut, dass das Ende der Rally fast erreicht war. Viel länger hätte ich nicht mehr durchgehalten.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) Dakar 2018 © Shakedown Team

Du bist jetzt seit einer Woche zuhause. Wie geht es deinem Nacken jetzt?
„Leider nicht so gut. Außerdem weiß ich nicht genau, was mir fehlt. Ich habe schon einen Chiropraktiker besucht und es wurden auch schon Röntgenaufnahmen gemacht. Glücklicherweise ist nichts gebrochen, es ist aber noch unklar, was mit meinem Nacken tatsächlich nicht stimmt. Morgen steht eine Kernspintomographie auf dem Programm. Ich hoffe, dass die Licht in die Sache bringt. Es sieht so aus, als hätte ich mir einen Nerv eingeklemmt, da ich auch ein Kribbeln im Unterarm spüre. Alles, was ich weiß, ist, dass etwas nicht stimmt. Um ehrlich zu sein, ärgert es mich ungemein, zumal es wirklich nur ein klitzekleiner Unfall war.“

Zurück zur Rally selbst. Alle Starter sind sich einig, dass diese Dakar eine große war. Würdest du sie als hart bezeichnen?
„Auf jeden Fall. Ich hatte schon früher mit harten Bedingungen zu tun, zum Beispiel bei meinem ersten Antreten in der Malle Moto-Klasse. Dieses Mal war es aber besonders technisch. In der Malle Moto ist das Leben doppelt schwer, da du alles selbst machen musst. Allein dafür brauchst du während der Rally dreißig bis vierzig Prozent deiner Energie. Ich glaube, dass mir der diesjährige Sieger Olivier Pain zustimmen würde. Er war früher Werksfahrer und schaffte es regelmäßig in die Top10. Dieses Mal musste er sich völlig verausgaben, um auch nur in Sichtweite der besten 25 zu kommen, und das sagt meiner Meinung nach viel aus. Ich sprach während der Rally ein paar Mal mit ihm und er sagte mir, dass er die Rally auf diese Art wirklich genoss. Seine Augen sagten aber etwas anderes; dass er nicht zurückkommen würde. Den sehen wir in der Malle Moto-Klasse garantiert nicht wieder! In der Malle Moto geht es völlig anders zu – vor allem ganz anders, als er es gewohnt ist. Die Top-Fahrer starten jeden Tag frisch und ausgeruht und müssen sich nur mit den Sonderprüfungen selbst herumschlagen. Als Malle Moto-Fahrer beendest du eine Prüfung, nur um dann dein Bike selbst Stück für Stück wieder zusammensetzen zu müssen. Und dann musst du um vier Uhr früh wieder aufstehen. Das fordert natürlich seinen Tribut, besonders, wenn du am nächsten Tag wieder alles geben sollst. Die Malle Moto macht dich richtig fertig.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) Dakar 2018 © Shakedown Team

Welche Prüfung oder welche Gegend wird dir am ehesten in Erinnerung bleiben? Was hat dich am meisten beeindruckt?
„Ich nahm die Herausforderung noch einmal an, weil die Veranstalter Peru wieder in die Rally aufgenommen hatten. Die Veranstalter hatten uns versprochen, dass es in diesem Land die schönsten Dünen gibt. Und dieses Versprechen hielten sie auch. Es war beängstigend und wunderschön zugleich. Das zeigt, welchen Einfluss ein Mann wie Marc Coma (Sportdirektor beim Veranstalter ASO) auf die Rally hat. Letztes Jahr zeigte sich das bereits an einigen Stellen, aber dieses Jahr hat er den Vogel abgeschossen. Als ehemaliger Starter und Sieger weiß er genau, wie man die Rally so hart macht, wie sie sein sollte. Jedes Mal, wenn du glaubst, es ginge nicht mehr härter, heben sie die Latte noch einmal an. Ein gutes Beispiel ist die vorletzte Prüfung. Du kannst die Ziellinie fast schon sehen und musst trotzdem den längsten Tag der ganzen Veranstaltung aufnehmen. Marc Coma scheucht dich in aller Früh aus dem Bett und um 5:30 Uhr auf das Bike und in die Prüfung. Du wirst das Camp bis um neun Uhr abends – kurz vor Sonnenuntergang – nicht mehr sehen. Du fährst von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Ich kann dir sagen, dass ich mich danach noch mehr nach dem Ende sehnte.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) Dakar 2018 © Shakedown Team

Im Jahr 2016 hast du dir den Titel in der Malle Moto-Klasse geholt. Dieses Jahr bist du mit großen Erwartungen angetreten, nur um am Ende Vierter zu werden. Wie enttäuscht bist du?
„Ich hatte schon erwartet, wenigstens aufs Podium zu kommen. Ich bin mir nicht sicher, ob Olivier Pains Speed ausschlaggebend war. Schlussendlich ist das aber nicht das, was die Rallye Dakar ausmacht. In der dritten Prüfung musste ich meinem Freund Kees Koolen helfen, nachdem bei seinem Quad die Kette gerissen war. Ich konnte Kees nicht einfach am Wegesrand allein lassen und so verlor ich eine Stunde und 45 Minuten. Über die gesamte Distanz einer Rallye Dakar kann man das noch aufholen, das gelang mir am Ende aber nicht. Ich fing an zurückzufallen, und je mehr ich versuchte, Zeit gutzumachen, desto mehr Fehler machte ich. Zum Beispiel verpasste ich einen Wegpunkt und musste einem weiteren Kollegen helfen. Im Jahr 2016 hielt ich meinen Rhythmus und wurde immer schneller. Das gelang mir dieses Mal nicht. Ich hatte so etwas wie ein neutrales Gefühl.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) Dakar 2018 © Shakedown Team

Du hast dieses Mal ein selbstgebautes, auf der KTM 450 EXC-F basierendes Bike eingesetzt. Wie haben die Leute darauf reagiert?
„Mein Bike ist auf jeden Fall aufgefallen, das kann ich dir sagen. Mehr als ein Mal kamen Leute zu mir ins Camp, um sich das Motorrad anzusehen. Es unterscheidet sich deutlich von den normalen Rally-Replika-Bikes; meines ist um einiges leichter. Ich hatte keine technischen Probleme, womit ich echt zufrieden bin. Das Bike hat sich gut bewährt, auch wenn ich vielleicht noch etwas schneller hätte fahren können. Ich habe versucht, cool zu bleiben. Das Bike selbst hätte aber sicher nichts dagegen gehabt, noch etwas härter anzuschieben. Hier und da fehlte es mir etwas an Geschwindigkeit und Stabilität. Beim Handling war mein Bike aber überlegen. Um ehrlich zu sein, hätte ich auf einer KTM 450 RALLY REPLICA wahrscheinlich besser abgeschnitten. Mein Bike ist perfekt für Amateure, die Mühe haben, es unter die ersten fünfzig zu schaffen. Wenn du fahrerisch nicht ganz top bist, hilft dir ein leichtes Bike mit einem guten Handling enorm weiter. Besonders bei harten Veranstaltungen wie dieser. Ich bin mir aber noch nicht sicher, wie es mit diesem Projekt weitergeht. Ich nehme an, dass ich noch ein paar weitere Exemplare bauen werde, aber noch ist nichts in Stein gemeißelt.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) Dakar 2018 © Shakedown Team

Du lässt dich auf eine unbarmherzige, zweiwöchige Fahrt durch die Hölle ein, die sich als Malle Moto-Fahrer nur noch härter gestaltet. Da entwickeln sich doch unter Fahrern sicher untrennbare Freundschaften, oder nicht?
„Du nimmst einige unglaubliche Erinnerungen mit. Nicht nur von den Strecken selbst – das Abenteuer endet nicht, wenn du von der Maschine steigst. Ein solcher besonderer Moment war, als ich die Nacht mit den anderen beiden Malle Moto-Fahrern aus den Niederlanden, Hans-Jos Liefhebber und Edwin Straver verbrachte. Im Camp in Tupiza erfuhren wir, dass Etappe 9 abgesagt worden war und wir nach Salta in Argentinien zurückfahren mussten. Nur noch lächerliche 500 Kilometer nach einer ziemlich harten Prüfung an diesem Tag. Wir fuhren los, beschlossen aber, nachdem wir die Grenze von Bolivien nach Argentinien überquert hatten, uns ein Hotelzimmer zu suchen. Drei Jungs in einem Zimmer; es war – wie wir auf Holländisch sagen – gezellig. Wir hatten viel Spaß. Nach einer heißen Dusche machten wir uns auf die Suche nach einer Pizzeria. Leider hatten wir keine saubere Kleidung mit – so saßen wir also zu dritt und stinkend in unseren MX-Klamotten in irgendeiner Pizzeria. Es war einfach genial! Ich fühlte mich wie ein Tourist. Das sind so gewisse Extras, die du nur bei der Dakar erlebst. Und dann lernte ich noch Juan Agustin Rojo, einen jungen Fahrer aus Argentinien kennen, der zum ersten Mal in der Malle Moto fuhr. Dieser extrem schlanke Bursche musste wirklich das Letzte aus sich herausholen, um es bis ins Ziel zu schaffen. Am Ende gelang es ihm aber. Ich sprach jede Nacht mit ihm, um ihm Mut zu machen und ihm Ratschläge zu geben, wann immer er welche nötig hatte. Er zeigte eine heroische Leistung und viel Charakter. Ich fühlte mich wie eine Vaterfigur; wie ein Vater, der zusammen mit seinem Sohn die Dakar fuhr. Solche Momente bleiben dir immer in Erinnerung. Sie sind es, die die Rallye Dakar so besonders machen. Diese Erinnerungen vergisst du niemals.“

Jurgen van den Goorbergh (NED) Dakar 2018 © Shakedown Team

Fotos: Shakedown Team