Shaun Simpson: Auf die harte Tour

Wie MXGP-Privatfahrer Shaun Simpson zum Grand Prix-Sieger und KTMs Spitzenfahrer in der FIM Motocross Weltmeisterschaft wurde.

Durchhalten, bestehen, aushalten. Manchmal ist es wichtiger, der konstanteste als der schnellste Fahrer zu sein; einer, der seine Leistung bis zum Saisonende abrufen kann. Bei 18 Rennen mit je einem Qualifikationslauf und zwei Läufen pro Event legen die Motocrosser der FIM Weltmeisterschaft einige Kilometer zurück. Berücksichtigt man dann noch Tests, Trainings, nationale Meisterschaften und internationale Auftritte, verbringen die Fahrer sehr viel Zeit – bei hoher Geschwindigkeit – auf ihren Motorrädern.

Shaun Simpson KTM 450 SX-F 2015

Shaun Simpson KTM 450 SX-F León (MEX) 2015

2015 hat Shaun Simpson aus dem KTM Hitachi Construction Machinery Revo Team dem größten Starterfeld seit langem die Stirn geboten und am Ende den vierten Platz in der MXGP-Meisterschaftswertung errungen. Fast nebenbei gewann er seine zweite Britische Meisterschaft in Serie (bisher ist er bei sieben von acht Rennen ungeschlagen), feierte zwei Grand Prix-Siege (in Belgien und Holland) und ist damit der erfolgreichste britische Fahrer aller Zeiten in dieser Klasse; außerdem beendete er seinen ersten AMA Pro National Event in Unadilla auf Platz 4 und vertritt zum vierten Mal das Team Großbritannien beim Motocross of Nations an diesem Wochenende.

Es war eine ereignisreiche Zeit für den 27-Jährigen, der sich neben seinem Motorrad auch um alles andere weitestgehend allein bzw. zusammen mit seinem Vater/Mechaniker/ehemaligen Rennfahrer Willie kümmert.

„Ich denke, ich bin eine ziemliche Ausnahme“, sagt der wortgewandte Schotte, als wir in einem mexikanischen Starbucks über seine Saison sprechen, bevor er das Rennen in León auf Platz 2 hinter Weltmeister Romain Febvre beendet. „Viele Fahrer arbeiten an ihren Motorrädern, können einen Filter oder einen Motor wechseln, aber ich mache neben meinem Job als professioneller Rennfahrer auch noch den eines Mechanikers; zumindest bis zum Rennen in Mantova [Saisonrennen 15 von 18 als Simpson die KTM 450 SX-F des verletzten KTM Werksfahrers Ken De Dycker bekam, um sein 2015er Modell zu ersetzen].“

„Diesen Antrieb, immer mehr zu wollen und zu erreichen, habe ich von meinem Vater. Er ist ein ziemlich ehrgeiziger Typ, der nur das beste für seinen Jungen will. Das hat auf mich abgefärbt. Wenn wir zu Hause sind und versuchen uns zu entspannen, dann denkt er an Federelemente und Motoren. Ich hingegen will mich nur mal eine halbe Stunde ausruhen, einen Tee trinken und die letzte Episode irgendeiner Serie gucken, denn dieser Drang immer weiter zu machen, sich jedes Wochenende zu verbessern, ist sehr anstrengend.”

Kannst du uns ein Beispiel nennen für etwas, das du in Vorbereitung auf ein Rennen tun musst, ein Werksfahrer aber eher nicht?
„Das betrifft vor allem die Planung und Arbeit für die Überseerennen mit den Flügen und Carnets. Der ganze Papierkram eben. Ich spreche mit den Sponsoren des Teams – Moto Master, Renthal, UFO, HG Stickers – zu denen ich eine gute Beziehung habe. Ich bestelle Sticker, Bremsbeläge und Bremsscheiben für das Team und fahre zu den Firmen, um das Material abzuholen. Manchmal verbringe ich den ganzen Morgen in meinem Van, mache Besorgungen und lege dabei 2-300 km zurück, bis alles abgeholt und erledigt ist. Die Leute von HGS Exhausts waren die ersten Male ziemlich überrascht, als ich vor ihrer Tür stand, um meine Teile selbst abzuholen! Ich versuche, so viel wie möglich selbst zu erledigen, damit die Dinge einfach bleiben. Vor dem Rennen in Katar habe ich bis drei Uhr morgens Transportkästen gepackt und bin ein paar Stunden später gefahren.“

Das muss deine Arbeit als professioneller Rennfahrer beeinflussen …
„Manchmal ist es nicht die beste Vorbereitung, aber so war nun mal die Situation, mit der ich zu diesem Zeitpunkt [Ende 2013] zurechtkommen musste, um Rennen zu fahren. Wenn mein Vater beschäftigt oder auf dem Weg zu einem Grand Prix war, dann musste ich mein Trainingsbike selbst verladen und das Training fahren. Ich weiß noch, wie ich einmal mit meinem Vito, meiner Werkzeugkiste und einer kleinen Box voller Ersatzteile nach Lommel gefahren bin. Ich lud mein eigenes Bike ab, stellte es auf den Ständer und fing an zu arbeiten; neben mir stand das Kawasaki-Team mit [Ryan] Villopoto und [Tyla] Rattray mit vier Mechanikern und einem Federelemente-Techniker. Insgesamt waren sie zu acht und ich daneben allein! Ich arbeitete an meinen Motorrädern, während sie testen konnten; es war so ein krasser Unterschied. Am Ende des Tages gingen Villopoto und Rattray zum Essen, zum Fitnesstraining, in die Sauna, während ich in der Werkstatt stand und mein Motorrad putzte und die Kette schmierte, damit es für den nächsten Tag wieder bereit war. Gegen acht war ich fertig, habe schnell etwas gegessen, aber eine Trainingseinheit verpasst. Am nächsten Tag musste ich die Sachen zusammenpacken und an die Strecke fahren. Das ist nur ein sehr kleiner Einblick in meine Aufgaben und wie schnell die Zeit vergeht. Manchmal fragt man sich ‘soll ich das Training heute ausfallen lassen?‘ Scheiß drauf, ich gehe heute nicht; ich stehe auf, esse etwas, drehe ein Runde mit dem Fahrrad, vielleicht noch in die Sauna, packe meine Sachen, checke meine E-Mails und ruhe mich ein bisschen aus, aber dann hast du den wichtigsten Teil der Vorbereitung verpasst, dein Training. Jeder weiß, dass Training und Fahren das Beste ist, was du als Vorbereitung machen kannst. Manchmal musst du einfach weitermachen und dich durchkämpfen, auch wenn das für Außenstehende vielleicht etwas verrückt aussehen mag.“

Shaun Simpson KTM 450 SX-F León (MEX) 2015

Shaun Simpson KTM 450 SX-F León (MEX) 2015

Gibt es irgendwelche Einschränkungen? Werksfahrer können Motorräder wechseln, Motoren und andere Teile tauschen. Wie ist das bei dir?
„Versteh mich nicht falsch, das Budget im Hitachi Team ist gut, um alles auf einem guten Level zu erledigen und immerhin haben wir in Lommel [Belgien] mit diesen Voraussetzungen gewonnen. Wir haben meistens genug Ersatzteile, aber nicht unendlich viele. Ab und zu müssen wir mit gebrauchten Kunststoffteilen oder Stickern fahren, weil wir die neuen für das nächste Rennen brauchen. Wir müssen dafür sorgen, dass der Motor eine bestimmte Anzahl an Rennen durchhält und so weiter. Wir planen immer im Voraus, beurteilen und bewerten das Material. Auch wenn wir Zweifel haben, heißt es meistens ‘wir machen einfach weiter und schauen, was passiert’. Du musst das beste aus dem machen, was du hast. Du versuchst dein Motorrad Woche um Woche zusammenzuhalten und sicherzustellen, dass es die Rennen bis ins Ziel schafft. Wir vernachlässigen das Testen und Entwickeln und sind daher kaum in der Lage, uns zu verbessern: das alles steht als Letztes oder zumindest ziemlich weit unten auf der Prioritätenliste. Der Hauptfokus liegt auf: zurückkommen, trainieren, Bike vorbereiten und sicherstellen, dass es verlässlich alle Läufe übersteht. Wenn du jedes Wochenende Rennen fährst, wann bleibt dann noch Zeit für Tests und Entwicklungsarbeit? Du gehst immer ein gewisses Risiko ein, wenn du neue Dinge testest. Das ist ein Punkt, an dem die Werksteams oder Teams mit Werksunterstützung in einer viel besseren Position sind, weil sie einfach ein viel größeres Team um sich haben, das sich um alles kümmert. Ein Privatfahrer zu sein bedeutet, dass Griffe ein paar Wochen halten müssen und Ritzel eine Weile nicht gewechselt werden. Oft denkst du ‘das muss einfach funktionieren’, weil du keine Ersatzteile hast oder mit benutzten Reifen fahren musst, weil du keine neuen mehr zur Verfügung hast. Manchmal kannst du zwei verschiedene Reifen in einer Warm-Up Session testen, aber meist ist das ein Privileg der Werksteams.“

Du und dein Vater scheint euch besonders gut um eure Ausrüstung zu kümmern …
„Ich denke nicht, dass es viele andere Fahrer auf unserem Level gibt, die die Leistung und Ergebnisse erzielt hätten, die wir aus dem 2015er Motorrad rausgeholt haben. Der Vorteil an einem Werksmotorrad oder mit Werksunterstützung ist, dass sich alles neu anfühlt, die Motoren sind besser und alles passt einfach zu 100%. Unser 2015er Motorrad fühlt sich für zwei oder drei Rennen richtig gut an, aber nach sechs, sieben oder acht Rennen spürt man eine gewisse Abnutzung. Ein Werksmotorrad fühlt sich immer neu an. Wenn du aufsteigst, dann hast du ein spezielles Gefühl, fast so als hättest du ein neues Spielzeug bekommen. Es ist eine Motivation. Die Werksmotorräder haben immer dieses spezielle Design – das soll nicht heißen, dass unser Bike nicht gut aussieht – aber die ganzen Titan-Abdeckungen und Teile sind schon besonders, aber so was geht nur mit einem großen Budget und Team.“

Shaun Simpson KTM 450 SX-F 2015

Shaun Simpson KTM 450 SX-F León (MEX) 2015

Als Privatfahrer musst du ein Organisationstalent sein, aber ist es nicht auch ein ganz großer Vorteil, dass du die Freiheit hast, tun zu können, was du willst?
„Das gute am Dasein eines Privatfahrers ist, dass wir bei vielen Dingen mehr Freiheiten haben. Wenn du dich in einer Woche für eine komplette Änderung der Motorcharakteristik entscheidest und ein Risiko eingehen willst, weil du glaubst, dass es dir Vorteile bringt, dann kannst du das ohne Probleme machen. Werksteams denken da eher ‘das ist noch nicht geprüft und erprobt’ oder ‘es gab noch keinen Dauerlauf, das machen wir nicht’. Wenn du auf dich selbst gestellt bist, dann gibt es weniger Regeln und Vorgaben und du kannst mehr ausprobieren. Roger Magee [Teamchef] hat uns größtenteils gewähren lassen und dafür bin ich ihm sehr dankbar; er hat uns unseren Weg gehen lassen, einfach weil er funktioniert hat. Am Ende gibt es aber immer Vor- und Nachteile.“

Gab es Momente, in denen du am liebsten den Kopf auf die Tischplatte geschlagen hättest?
„Viele! Viele Male während der Saison. Die Nacht nach einem Grand Prix fahre ich zurück und die Leute wundern sich, warum ich nicht irgendwo parke und am Montag zurückfahre. Die Wahrheit ist, dass ich soviel zu tun habe und Deadlines einhalten muss, bevor ich schon wieder zum nächsten Grand Prix aufbreche. Du hast mehrere To do-Listen, E-Mails, die beantwortet werden müssen und dann sind da noch die anderen Dinge und persönlichen Sponsoren, um die ich mich kümmern muss. Manchmal frag ich mich schon, warum ich überhaupt versuche, alles zu regeln. Zwischendurch kriege ich eine nette Nachricht von Rachel [McIntyre, seine Verlobte] und dann denkst du ‘wie vielen anderen Menschen auf der Welt geht es schlechter als mir?’ oder ‘wie viele wären gerne in meiner Position?’ Ich bin mir sicher, dass viele denken: ‘Shaun hat es leicht, fährt ein bisschen Motorrad und genießt das Leben’, aber wenn sie eine Woche lang in meiner Haut steckten, würden sie denken ‘wow: Respekt’. Ich mag mein Leben und die Momente wie GP-Siege und Britische Meisterschaften. Ich weiß, was ich erreicht habe und wie hart ich dafür gearbeitet habe. Ich stamme aus der Arbeiterklasse und manchmal ist es nach wie vor ein komisches Gefühl, wenn ich von meinen Sponsoren etwas bekomme oder gute Ergebnisse einfahre. Irgendwie fühle ich mich dann fast schuldig. In Assen dachte ich, ‘wenn ich nicht hier oben auf dem Podium stehen würde, dann würde sich jemand anders darüber freuen’.“

Shaun Simpson KTM 450 SX-F 2015

Shaun Simpson KTM 450 SX-F León (MEX) 2015

KTM hat dich ab Saisonrennen 15 im GP und in der AMA unterstützt. Jetzt bekommst du für 2016 von Anfang an Werksunterstützung …
„Und dafür bin ich sehr dankbar. Ihre Unterstützung ist großartig und hat mich einmal mehr bestärkt, dass ich kurz davor stehe, noch ein bisschen mehr in meiner Karriere zu erreichen. Ich habe mich im Laufe der Saison konstant gesteigert, von 15 auf 12, von 9 auf 7 und jetzt bin ich Vierter in der MXGP. Als Fahrer – egal, ob als Werks- oder Privatfahrer – willst einfach nur dein bestes geben mit dem was du hast. 2013 habe ich mit fast nichts gewonnen und dann nochmal auf einem viel besseren Level in der Saison 2015. Beides gibt dir gleichermaßen einen wichtigen Schub an Selbstvertrauen und das Gefühl von ‘Ich habe es geschafft’. Aber der Weg bis dahin hängt von so vielen Faktoren ab. Der Weg zum Erfolg kann sich ziehen wie Kaugummi und besteht aus Training, Unterstützung, Ausrüstung und Selbstvertrauen.

Es gibt nur vier Fahrer, die dieses Jahr einen Doppellaufsieg eingefahren haben. Am Anfang fühlst du dich wie ein Außenseiter unter den ganzen Werksfahrern und dann bist du auf einmal mitten unter den Topfahrern der MXGP und misst dich mit Namen wie Paulin, Cairoli und Desalle. Dann sind da Fahrer wie Strijbos und Bobryshev, die seit einiger Zeit nicht gewonnen haben und du denkst ‘Wow, ich bin besser als diese Jungs’. Statistiken erzählen eine Geschichte. Wenn du dir die Zahlen anschaust, dann realisierst du, dass es keine Fantasie mehr ist und nach und nach dringt es in dein Bewusstsein. Genau diese Erfolge treiben dich an, jede Woche weiterzumachen. Wenn ich jetzt auf die Strecke gehe, dann ist es vielleicht nicht meine Lieblingsstrecke, aber das kümmert mich nicht mehr, denn ich bin der Typ, der den Rest geschlagen hat. Der Kopf spielt eine wichtige Rolle im Leben eines Sportlers. Du kannst der talentierteste und fitteste Fahrer sein, aber wenn du im Kopf schwach bist, wirst du immer Probleme haben. In Bezug auf diese mentale Stärke habe ich in den letzten paar Monaten viel gelernt, auch über mich selbst.“

„Ich würde sagen, in den ersten Rennen habe ich nicht mein ganzes Potenzial genutzt und dann denkst du ‘wenn ich nächstes Jahr so beginne, wie ich jetzt fahre’, dann kann ich es bis in die Top 3 schaffen.”

Vergessen wir mal für einen Moment die letzten zwei Jahre. Wie denkst du über diese Phase deiner Karriere?
„Ich war immer froh, wenn ich in einem Werksteam war und erst, als ich weg war, habe ich realisiert, in was für einer glückliche Lage ich war. 2016 dahin zurückzukehren und die Vorteile zu genießen, ist großartig und ich finde, ich verdiene es ein bisschen. Ich denke, viele Leute hätten schon das Handtuch geworfen, wenn sie hätten tun müssen, was wir tun oder sie würden anfangen, es schleifen zu lassen. Ich weiß, das ich 100% geben muss. Vielleicht waren es nicht immer 100% im Training oder bei der Ernährung, aber ich verdiene es, zurück in dieser Position zu sein und in den Genuss der Vorteile zu kommen. Nach 2014 und 2015 werde ich versuchen, mich in weiteren Bereichen zu verbessern, um den nächsten Schritt zu machen.“

Shaun Simpson KTM 450 SX-F Assen (NED) 2015

Shaun Simpson KTM 450 SX-F Assen (NED) 2015

Fotos: Ray Archer | KTMimages.com