Sich wie ein Werksfahrer fühlen … einen Tag lang

Kein Zweifel, die KTM-Werksfahrer waren skeptisch, als sie erfuhren, dass ihre „Babys“ einen Tag lang von Journalisten bewegt werden würden. Aber die einmalige Chance, die Bikes des Red Bull KTM Factory Racing Teams auf dem berühmten Eurocircuit on Valkenswaard zu testen, lässt sich kein Journalist entgehen.

Red Bull KTM SX Factory Bike Test Valkenswaard (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Die richtigen Worte finden ihren Weg einfach nicht aufs Papier, der Computer braucht dringend ein Update und ein seit Wochen geplantes Interview wird in letzter Minute abgesagt. Auch wenn man es vielleicht nicht erwarten würde: auch im Leben eines Motorsport-Journalisten läuft nicht immer alles rund. Zum Glück kann eine einfache Email dafür sorgen, dass sich all dieses „Elend“ in Sekundenschnelle in Wohlgefallen auflöst. Die Worte „KTM“, „Sie sind eingeladen“ und „Factory Bike Test“ machen eine ganze verkorkste Woche, ja vielleicht sogar einen ganzen verkorksten Monat, wieder wett. 15 Journalisten durften sich diesen Sommer über so eine Mail von der KTM-Presse/PR-Abteilung in Mattighofen in ihrem Posteingang freuen. Sollten sie die Einladung annehmen wollen, so mussten sie sich Mitte September nur ins Flugzeug oder Auto setzen und in den Süden der Niederlande reisen. Für die glücklichen Auserwählten standen auf der legendären Motocross-Rennstrecke in Valkenswaard fünf Werksmaschinen bereit. Eine einmalige Chance, um sich zumindest einmal wie Jeffrey Herlings, Tony Cairoli, Glenn Coldenhoff, Pauls Jonass und Jorge Prado zu fühlen.

Viel Vorbereitung
„Vor ungefähr drei Monaten begann die Vorbereitung für dieses Presseevent“, erklärt Beatrix Eichhorn. Sie ist Eventmanagerin bei KTM und als solche für die gesamte Organisation des Factory Bike Tests verantwortlich. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, sicherzustellen, dass diese drei Tage für alle Beteiligten reibungslos ablaufen. Allein ist sie dabei übrigens nicht, zwei Kolleginnen aus der Presse/PR-Abteilung des österreichischen Herstellers arbeiten mit ihr an diesem Event. „Sie waren für alles verantwortlich, was die Pressematerialien sowie die Abstimmung mit dem Motorsport betraf. Können uns die Werksbikes überhaupt für das Event zur Verfügung gestellt werden und wann? Welche Teammitglieder werden gebraucht? Um diese Art Anliegen kümmern sie sich. Gar keine so leichte Aufgabe, denn in diesem Jahr blieb unserem Motocross-Team neben den vielen GPs kaum Platz für zusätzliche Veranstaltungen. Letztendlich haben wir aber ein für alle passendes Datum gefunden; dann konnten wir anfangen, die Einladungen zu verschicken und den Ablauf der einzelnen Tage zu planen.“

Ausreichend Vorlaufzeit ist entscheidend, denn auch wenn es sich nur um eine kleine Gruppe von 15 Journalisten handelt, bedarf es eines beträchtlichen organisatorischen Aufwands. „Nachdem wir das OK von der Rennstrecke, in diesem Fall die GP-Strecke in Valkenswaard, bekommen hatten, war es Zeit, Unterkünfte für die Journalisten und Teammitglieder zu organisieren. Und Verpflegung braucht es natürlich auch, deshalb sahen wir uns nach geeigneten Restaurants um. Darüber hinaus organisieren wir die Transfers, Journalistengeschenke und Branding-Material.“ Auch wenn viele Dinge geregelt scheinen, muss das Team weitere Details klären. Es muss ein Zeitplan für den Test erstellt und dafür gesorgt werden, dass alles auf Foto und Video festgehalten wird. Während des Media Events in Valkenswaard sorgten jeweils zwei Foto- und Videographer dafür, dass die Journalisten das benötigte Foto- und Videomaterial erhalten. „Einen Zeitplan für den Test zu erstellen, kann komplizierter sein, als man denkt, denn man muss sicherstellen, dass jeder Journalist zwanzig Minuten auf jedem Werksbike fahren kann und oftmals müssen wir die individuelle Reiseplanung berücksichtigen.“ Zum Glück hat KTM viel Erfahrung bei der Organisation solcher Events. Mit der Organisation eines einzigen Events pro Jahr ist es nämlich noch lange nicht getan. „Vorstellungen neuer (Serien-) Modelle, Street und Offroad gleichermaßen, Meetings und Konferenzen. Das ganze Jahr über sind wir mit der Organisation solcher Veranstaltungen beschäftigt.“

Red Bull KTM SX Factory Bike Test Valkenswaard (NED) 2018 © Ray Archer

Überraschungsgäste
Bei ihrer Ankunft im Hotel werden die Journalisten mit einem Willkommenscocktail empfangen bevor es zum Abendessen in Anwesenheit einiger Überraschungsgäste geht. Vier der fünf Werksfahrer (Cairoli, Coldenhoff, Jonass und Prado), die ihre Bikes für dieses Event „verleihen“, sind vor Ort und bereit, den Journalisten Rede und Antwort zu stehen. Der einzige KTM-Racer, der fehlt, ist Jeffrey Herlings, denn der Niederländer ist am Sonntag zuvor erstmals MXGP-Weltmeister geworden. Die Journalisten haben Verständnis, sind aber froh zu erfahren, dass Herlings am nächsten Tag am Eurocircuit sein wird, während die anderen Fahrer wieder ihrer Trainingsroutine nachgehen.

Red Bull KTM SX Factory Bike Test 2018 © Ray Archer

Frühmorgens beginnt der Testtag mit einer von Jennifer Dick, Offroad-PR-Managerin bei KTM, gehaltenen Präsentation. Nachdem alle technischen Details der Bikes sowie des Testtages besprochen sind, steht noch eine unerwartete Überraschung auf dem Programm. Anlässlich Herlings erster MXGP-Weltmeisterschaft launcht KTM eine limitierte Auflage seiner KTM 450 SX-F. Nachdem die Journalisten die Replica eingehend betrachtet haben, ist es Zeit, die MX-Gear anzulegen. Spannung liegt in der Luft, als die Mechaniker wenig später die Werksmaschinen in aller Ruhe warmlaufen lassen. Zwar wird die Strecke bewässert, aber schon nach wenigen Runden steigen bei den warmen Temperaturen erste Staubwolken auf. Krzysztof Tomaszek kümmert das wenig, in einigen Minuten geht für ihn ein Kindheitstraum in Erfüllung. Er darf fünf verschiedene Werksmaschinen testen und danach seine Eindrücke mit der Leserschaft von scigacz.pl teilen. Am Ende des Tages sieht er erschöpft, aber zufrieden aus. 20 Minuten Testfahrt auf fünf verschiedenen Werksmotorrädern haben bei dem polnischen Journalisten Eindruck hinterlassen. „Ein Wahnsinnstag, den ich sicher nie vergessen werde. Es war das erste Mal, dass ich die Möglichkeit hatte, ein Werksbike zu testen und ich muss zugeben, ich war im Vorhinein ziemlich aufgeregt. Ich habe viel Erfahrung mit den Serienbikes von KTM, aber die Werksbikes sind ein komplett anderes Niveau.“ Tomaszek ist vor allem von der Maschine von Weltmeister Herlings überrascht. „Für mich war diese Maschine am schwersten zu fahren“, gibt er zu. „Sie ist sehr aggressiv. Daran merkt man, dass dieses Bike dazu gemacht ist, schnell gefahren zu werden. Pausenloser Angriff, danach schreit die Herlings KTM.“

Testdag KTM fabriekscrossers 250827_KTM 450 SX-F HERLINGS REPLICA
<
>
Red Bull KTM SX Factory Bike Test Valkenswaard (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Nachdem die ersten Journalisten ihre Runden gedreht haben, geht Jeffrey Herlings auf die Strecke. Statt ein paar Demonstrationsrunden, beeindruckt der Niederländer einmal mehr mit seinem Speed und unterstreicht eindrucksvoll, warum er der neue MXGP-Weltmeister ist. Seine Dominanz in Valkenswaard ist beeindruckend: in Valkenswaard verzeichnet Herlings eine Serie von sieben Siegen in Folge. „Das MX2-Bike von KTM hat ein sehr leistungsstarkes Motor-Setup und das macht einen entscheidenden Unterschied im tiefen Sand von Valkenswaard. Dort brauchst du jedes PS, das du zur Verfügung hast“, erklärt Herlings. „In der 450er-Klasse liegt die Konkurrenz näher beieinander, wenn es um die reine Leistung geht. Hier macht das Gesamtpaket von KTM den entscheidenden Unterschied: Wir haben ein großartiges Bike, ein starkes Team und natürlich die besten Fahrer.“

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Valkenswaard (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Auf höchstem Niveau
Ein Journalist, der schon mehr als einmal auf einem Werksmotorrad gesessen hat, ist Paul Malin. Der ehemalige GP-Motocrossfahrer aus Großbritannien arbeitete nach seiner Karriere als aktiver Rennfahrer für verschiedene Medien wie das MotoX-Magazin und ist jetzt vor allem als MXGP-Kommentator bekannt. „Ich bin gerade die Maschinen von Pauls Jonass und Jorge Prado gefahren, und man kann den Unterschied wirklich spüren. Sie haben zwar das exakt das gleiche Motor-Setup, aber das Handling ist verschieden. Das hat mit dem hinteren Zahnrad zu tun, denn Jorge verwendet einen Zahn weniger. Dadurch hat sein Bike mehr Punch und ein etwas schnelleres Ansprechverhalten im dritten Gang“, erklärt der Gewinner des MX of Nations des Jahres 1994. Auch wenn Malin schon oft an solchen Media Events teilgenommen hat, ist es für ihn immer wieder ein Privileg, diese Bikes fahren zu können. „Bessere Motocross-Bikes wird man nicht finden, das ist das höchste Niveau. Und jedes einzelne vermittelt ein ganz eigenes Fahrgefühl. Auch wenn die Basis der Bikes die gleiche ist, fahren sie sich komplett unterschiedlich, weil jeder Fahrer sein eigenes Setup entsprechend seiner persönlichen Vorlieben hat. Es geht darum, all die kleinen Details zu einem funktionierenden Gesamtpaket zu kombinieren.“

Ein weiterer Veteran in der Welt der Offroad-Journalisten ist Toine van Dijk, der über Jahre hinweg bereits verschiedenste Werksbikes getestet hat. „Und trotzdem ist es jedes Mal aufs Neue etwas Besonderes“, sagt der Testfahrer des niederländischen Magazins Noppennieuws. „23 Jahre mache ich diesen Job jetzt schon, aber jedes Mal, wenn ich die Chance habe, diese Bikes zu fahren, ist es wie ein Adrenalinstoß. Und dieses Jahr ist es für mich als Niederländer natürlich noch bedeutender, nachdem Jeffrey die Weltmeisterschaft gewonnen hat. Letztes Jahr konnte ich sein MXGP-Bike nicht testen, deshalb war ich auf das diesjährige Motorrad besonders neugierig.“ Van Dijk zeigt sich überrascht, über die deutlich spürbaren Unterschiede zwischen den KTM-Werksbikes. Jedes der drei MXGP-Bikes, das er auf der Strecke bewegte, fühlte sich völlig unterschiedlich an. „Das Setup von Cairoli ist klarerweise an seine Körpergröße angepasst, wie zum Beispiel das niedrigere Heck. Allein durch meinen Körperbau [Van Dijk ist gute 1,94 m groß] passe ich also besser auf die Maschine von Herlings, weil er auch ein eher großer Fahrer ist. Es sind diese persönlichen Präferenzen der Fahrer, die dazu führen, dass sich die Bikes komplett unterschiedlich anfühlen.“

Paul Malin (GBR) KTM 250 SX-F Valkenswaard (NED) 2018 © Ray Archer

Eine einmalige Chance
Mit seiner jahrelangen Erfahrung in der Offroad-Welt fallen Van Dijk von Jahr zu Jahr die Verbesserungen und Updates auf. „Bei den Serienbikes fallen die Unterschiede besonders auf. Jedes Mal bin ich aufs Neue erstaunt, dass es den Ingenieuren wieder gelungen ist, Fortschritte zu erzielen. Man denkt ja, dass es irgendwann eigentlich nicht mehr viel besser werden kann. Und dann schaffen sie es doch immer wieder ein neues, atemberaubendes Modell zu präsentieren. Hier hat KTM einen großen Vorteil. Ihre Inputs erhalten sie von den verschiedensten Seiten, auch von den Werksfahrern, so dass sie sich stetig verbessern können.“

Nach einem langen Tag auf dem Eurocircuit werden in den Hotelduschen die Wasserhähne voll aufgedreht und der lästige Sand verschwindet im Abfluss. Frisch geduscht brechen die Journalisten wenig später zu ihrem letzten gemeinsamen Programmpunkt auf. Während des Abschiedsdinners werden angeregt Erfahrungen ausgetauscht. Das breite Lächeln auf dem braungebrannten Gesicht von Christoph Betrand verrät, dass auch er heute auf den Werksmaschinen von KTM großen Spaß hatte. Und genauso wie alle anderen Journalisten hat auch er einen Favoriten. „Das letzte Bike, das ich heute gefahren bin, das von Jorge Prado. Für mich war das die einzige Maschine, die auch für Hobbyfahrer geeignet ist. Sie ist ein bisschen besser gefedert, das fand ich sehr angenehm. Auf der Maschine hatte ich richtig Spaß“, erklärt der ehemalige GP-Fahrer und Journalist bei mxmag.be. „Selbst wenn man mir die Maschine von Herlings in die Garage stellen würde … ich würde sie nicht anrühren, glaube ich. Unglaublich, man muss echt hart im Nehmen sein, um mit dieser Maschine so richtig Vollgas zu geben. Wenn man körperlich nicht in Höchstform ist, dann sollte man davon wirklich die Finger lassen. Deshalb ist es ja auch so schön, von den Teams die einmalige Chance zu bekommen, auf den Werksmaschinen zu fahren. Erst dann weißt du, wie schwer es ist, diese GP-Bikes zu fahren. Nur ein paar Minuten sind schon extrem anstrengend. Man hat ja von vornherein schon enormen Respekt für die Jungs, aber der wird noch einmal größer, wenn man die Möglichkeit hat, eine Runde auf ihren Bikes zu drehen. Da begreift man dann erst, wie gut man sein muss, um Alles aus diesen Motocross-Maschinen herauszuholen.“

Red Bull KTM SX Factory Bike Test Valkenswaard (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Fotos: Ray Archer | Jarno van Osch/Shot Up Productions