Staubige Zeiten

Südafrika ist ein Land der Abenteuer. Was für die Einheimischen ganz normal ist, bereitet Europäern so einige Überraschungen, dann nämlich, wenn du die Großstädte hinter dir gelassen hast und in das Reich des Sandes, des Schotters und des roten Lehms eingedrungen bist. Für das österreichische KTM-Paar Barbara und Tom und ihre KTM 1190 ADVENTURE R war es jedenfalls eine fantastische Entdeckungsreise. Es folgt ein Bericht über eine einwöchige Fahrt auf Stollenreifen durch malerische Gegenden nördlich von Johannesburg zwischen dem Waterberg und dem Blyde River Canyon.

Tom & Barbara Matzek KTM 1190 ADVENTURE R

Tom & Barbara Matzek KTM 1190 ADVENTURE R

Europäische Enduro-Fahrer können es oft kaum glauben, was ein Land wie Südafrika für sie bereithält. Zu Hause sind sie eine bedrohte Spezies. Sobald man dort den Asphalt verlässt und in den Busch fährt, gilt man als Verbrecher und wird nicht selten von Jägern mit Gewehren gejagt. Stelle dir diese Erfahrung nun mit vertauschten Rollen vor und biege mit uns ab auf eine der unzähligen Schotterstraßen, welche das Land bedecken. Der Staub zwischen den Bäumen scheint sich bis zum Horizont zu ziehen. Es fühlt sich an, als wäre uns ein Tor in den Offroad-Himmel geöffnet worden.

So begann, direkt am Stadtrand von Johannesburg, unsere großartige einwöchige Reise mit der KTM 1190 ADVENTURE R, welche uns zu den Highlights Limpopo, Mpumalanga und Northwest Province führen sollte – mit etwas Hilfe von unserem Navigationssystem hielt sie außerdem einige unerwartete Begegnungen bereit.

Manche sagen, dass die richtigen Abenteuer dank Navigationssystemen der Vergangenheit angehören. Das kann ich nicht behaupten. Nur wenige Kilometer abseits der wichtigen Highways liegt die bekannte Magaliesberg-Gegend – eindrucksvolle Natur, schöne Seen und schnelle Straßen inbegriffen. Plötzlich fordert mich mein Navigationssystem – welches auf die schnellste Route eingestellt ist – auf, scharf links abzubiegen. Da waren aber keine Schilder, kein Asphalt, kein Schotter. Nachdem ich die Stelle drei Mal passiert hatte, entdeckte ich, was wohl einmal ein Feldweg gewesen war. Alles klar, dann versuchen wir‘s.

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Mein Navigationssystem – ein kleiner Zauberkasten, der für tägliche Überraschungen sorgt
Nach einigen Metern beginnt sich der einspurige Weg, der auf dem Bildschirm des Navigationssystems als fette rote Linie eingezeichnet ist, über grasbewachsene Steine einen Hügel hinaufzuschlängeln. Ich beginne, mich zu fragen, was wohl die Autofahrer auf der Hauptstraße denken werden, wenn sie sehen, wie ich dieses Beast von einem Motorrad nur wenige Meter von der Fahrbahn entfernt durch den Busch prügle.

Egal, es fängt an, Spaß zu machen: zu spüren, wie die Federung die mitunter fußballgroßen Steine absorbiert, oder das Bike mit einer Bewegung am Gasdrehgriff in die richtige Position zu bugsieren. Nach wenigen Sekunden ist die zivilisierte Welt vergessen. Ich genieße es, den Kamm zu erklimmen und hoffe – obwohl ich mich in der Hitze des Tages hin und wieder mit Energieriegeln stärken muss – dass dieser Weg niemals endet. Ein Paradies für Enduro-Fahrer!

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Aber es sollte dennoch zu Ende gehen. Ein Schild mit der Aufschrift „Achtung! Vermintes Gebiet!“ brachte mich augenblicklich zum Stillstand. Ausflüge in die West-Sahara und auf den Balkan haben mich gelehrt, solche Warnungen ernst zu nehmen. Nur ein klein wenig enttäuscht mache ich also kehrt.

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Nach mehr lechzend erreiche ich die kleine Industriestadt Brits. Von hier aus lädt ein Netzwerk an Schotterstraßen den geneigten Fahrer ein, die Northwest Province zu erkunden. Mein Tagesziel ist das kleine Dorf Mohaswe in der Gegend um den Pilanesberg. Ich ignoriere aber die Straßen, die direkt dorthin führen, und bahne mir meinen Weg zickzackförmig durch den Busch, was mich für viele Kilometer durch atemberaubende Landschaften führt.  Zuerst fahre ich Richtung Nordwesten nach Assen, danach zurück nach Süden und Motshikiri, vorbei an idyllischen Dämmen, bevor ich endlich, bei Sonnenuntergang, den richtigen Kurs einschlage. 270 km, die meisten davon in staubigem Terrain, ist ein vielversprechender Start. So genieße ich die große Flasche Bier, die mir in meinem gemütlichen kleinen B&B angeboten wird.

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Ein weiterer Tag, dieselbe Strategie:  Zuerst geht‘s nach Northam, eine Stadt, die nur 40 km nördlich von Mohaswe an der R510 liegt. Ich folge aber meinem Navigationssystem und bald finde ich mich auf einem örtlichen, den Eisenbahnschienen folgenden Weg wieder, der direkt zur nächsten Township führt. Eine KTM auf einem einspurigen Weg bringt aber nicht nur den Fahrer zum Lächeln …

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Vertraue auf die Schilder mit den Löwenköpfen – sie weisen dir den Weg in die Wildnis
Mein Ziel liegt im Osten an der Grenze zu Botswana, wo ich meine Frau abholen werde.

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In Northam angekommen, folge ich der Beschilderung nach Dwaalboom. Nach etwa 60 Kilometern auf abgelegenen Schotterstraßen und kurz vor Dwaalboom führt eine nette kleine Straße durch den Busch. Ein lächerliches Gefühl steigt in mir hoch und die Musik aus dem Film „Jenseits von Afrika“ klingt in meinen Ohren. Die Emotionen steigen, als ich sehe, dass ich mich in einem Gebiet befinde, in dem es Löwen gibt – es ist von einem Zaun umgeben – aber nichtsdestotrotz gibt es hier Löwen!

Ich denke sofort an all die Geschichten von Löwen, die wohl viel lieber auf den Hauptstraßen als im Busch herumspazieren. Auf den Sound des V2-Motors vertrauend, drehe ich beherzt am Gasgriff und schieße jenem Ort entgegen, wo meine Frau und ich tatsächlich geplant hatten, Löwen aus nächster Nähe zu beobachten: Madikwe Game Reserve und die Etali Lodge, wohin uns Freunde aus Südafrika eingeladen hatten.

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Nach zwei fantastischen Tagen der Tierbeobachtung kehren wir in den Staub zurück und nehmen die Schotter-Highways von Deerdeport an der Grenze zu Botswana nach Thabazimbi, einer Kleinstadt am Rand der Waterberg-Kette.

Mit mehr als 100 Pferdestärken aus dem gigantischen V2 – einer Konfiguration, die auf eine 15-jährige Siegesserie bei der Rallye Dakar zurückgeht – hält dich nichts davon ab, auf jenen endlosen Straßen durch den Bushveld Vollgas zu geben. Fast nichts …

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Erstens ist meine Frau die Disziplin in Person und die Tatsache, dass wir zwei Kinder zu Hause haben, hält meine rechte Hand etwas zurück. Zweitens ist die fantastische Vielfalt der Natur so atemberaubend, dass du immer Gefahr läufst, etwas zu verpassen. Drittens – so versicherten uns unsere südafrikanischen Freunde – sollten wir uns vor Kudus in Acht nehmen. Auf dem Teller schätzt du sie vielleicht, aber du willst sicher nicht mit einem zusammenstoßen.

Nördlich von Johannesburg – ein gigantischer Erzberg
Den meisten von uns zaubert das Wort „Bergbaugebiet“ nicht gerade automatisch ein Lächeln auf die Lippen. Wenn du aber aus einem Land kommst, wo das Erzbergrodeo auf einem Berg aus Eisen ausgetragen wird, denkst du anders.

In unserem Fall bot das Gebiet zwischen den beiden Städten Thabazimbi an der R510 und Mokopane neben der N1, wo ständig Bergbau betrieben wird, unserer großen ADVENTURE den perfekten Spielplatz. Es handelt sich um die Waterberg-Region, welche eine große Vielfalt an natürlichem Terrain bereithält: von rollenden Steinen bis hin zu Flussbetten und felsigen Abschnitten.

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Wir starten bei der wunderschönen Marula Cottage Guest Lodge außerhalb von Thabazimbi am Fuß der Berge. Nach nur wenigen Asphalt-Kilometern zeigen uns Zäune und Kontrollpunkte an, dass wir uns in einem Bergbau-Gebiet befinden. Direkt vor den legendären Felsen der Waterberg-Kette beginnt eine gewundene Straße, die zum Bakkers-Pass auf ca. 1.500 Metern Seehöhe führt.

Nach etwa 40 Kilometern erreicht man eine wichtige Abzweigung, die zum Rankins-Pass – einem verlassenen, ehemaligen Posten der südafrikanischen Polizei – führt. Dieses Mal verzichten wir aber auf diese Attraktion und nehmen die sandige Straße nach Norden in Richtung Vaalwater. Nachdem wir einen Steilhang überwunden haben, erreichen wir ein Plateau mit weitläufigen Weizenfeldern und Nadelwäldern (welche uns an Nordeuropa erinnern) sowie romantischen kleinen Seen.

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Die Vielfalt der Natur genießend, kommen wir in dem kleinen Dorf Vaalwater an. Es liegt direkt an der R33 und bietet einige gemütliche Plätze, um sich mit Speisen zu stärken oder einen Drink zu sich zu nehmen. Es ist 2 Uhr nachmittags und anstatt die 1190 weiterzubewegen, entscheiden wir uns, eine typisch südafrikanische Rast einzulegen – mit Reh-Burgern und einem Windhoek-Bier.

Völlig ausgeruht nehmen wir unsere Reise am späten Nachmittag wieder auf. Neuerlich führt uns die Zickzack-Schule der Navigation durch das Gebiet. Zwischen Vaalwater und der N1 kann man eigentlich nichts falsch machen. Hier findet sich ein Offroad-Gebiet mit unzähligen Wegen. So kann man einfach seinem Instinkt folgen. Bei Sonnenuntergang erreichen wir Mokopane, eine durch und durch vom Bergbau geprägte Stadt. Die Tagesschicht ist zu Ende, hunderte Arbeiter verlassen die Mine und machen sich auf den Nachhauseweg. Ein eindrucksvolles Bild!

Kudus! Dieses Mal nicht auf unserem Teller, sondern vor unserem Motorrad
Nach einem Tag mit gewundenen Asphaltstraßen, die uns durch die dichten Wälder in den Hügeln rund um Tzaneen – die idyllische Waldstraße nach Debengi Falls inklusive – führte, fahren wir weiter zu einer der spektakulärsten Landschaften der Erde: die riesigen Steilhänge der Drakensberge und ihre berühmten Plätze um den Blyde River Canyon wie den Three Rondavels oder God‘s Window – ein Land der fallenden Seen und legendären Gebirgskämme.

Nach einer Nacht in einem ländlichen Dorf nahe Ohrigstad – einem weiteren Bergarbeiterdorf – dringen wir von Westen aus in dieses berühmte Gebiet ein. Hier beginnt ein fantastischer Weg, der vielleicht das Highlight unserer Reise darstellt: Der Casper-Nek-Pass. Eine sehr kleine Schotterstraße, die in einer landwirtschaftlichen Gegend beginnt und durch den Busch führt, um sich schließlich steil bergauf durch fantastische Berglandschaften zu schlängeln.

Hier fühlen wir zum ersten Mal die echte Wildnis Südafrikas. Keine Zäune weit und breit. Stattdessen kreuzen große Gruppen von Pavianen, einige Springböcke und schließlich drei riesige Kudu-Weibchen in nur wenigen Metern Entfernung unseren Weg. Ein weiterer augenscheinlicher Hinweis darauf, nicht immer das Letzte aus deiner KTM rauszuholen.

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Blyde River – dieser Name ist vielen ein Begriff. Tausende Touristen sehen ihn als eindrucksvollen Wasserfall bei den berühmten Burke‘s Luck Potholes. Einige Kilometer weiter südlich, auf dem Weg nach Gaskop und Sabie, folgt man einem Blyde River, der sich – eher einem kleinen Bach gleich – wie eine dünne Linie durch das Tal zieht. Auf einer wunderschönen Schotterstraße erreichen wir das malerische Städtchen Pilgrim‘s Rest – heute ein Mekka für Motorradfahrer, an dem jedermann Halt macht, um sich einen Burger und ein Bier zu genehmigen.

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Unser Plan für den Tag ist ehrgeizig, aber das Wetter in den Bergen kann in Nullkommanichts umschlagen. Ein Gewitter zwingt uns, alle vielversprechenden Bergpfade zu ignorieren. Stattdessen wechseln wir in den Race-Modus der 1190, geben Vollgas und zischen die Straße von Sabie nach Lydenburg über Long Tom‘s Pass hoch – ein Highlight für Fahrer von Straßenmotorrädern.

Danach ist es an der Zeit, unsere fantastische einwöchige Expedition zu beenden. Bevor wir aber den Highway nach Johannesburg nehmen, begeben wir uns noch einmal vertrauensvoll in die Hände unseres Navigationssystems und hoffen auf einige unerwartete Abstecher. Dieses Mal scheint es, als hätten wir den Dreh raus. Zwischen dem Loskop-Damm und Middelburg finden wir ein Netzwerk an schönen kleinen Farmstraßen, die sanft in sandige Pfade übergehen, welche durch weiche Landschaften führen. Alle Wünsche gingen in Erfüllung …

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Angesichts unserer bevorstehenden Rückkehr zu den wesentlich ärmeren Landschaften Europas genießen wir diese letzten Stunden des Offroad-Fahrens umso mehr. Von unseren Erinnerungen werden wir aber noch lange zehren! Die Aussicht auf eine Rückkehr und die Gewissheit, dass wir uns auf das passende Bike und unser magisches Navigationssystem verlassen können, werden wir wieder auf staubige Reisen gehen.

Fotos: Thomas Matzek


Die Autoren: Offroad-Expeditionen sind das Steckenpferd von Barbara und Tom. Seit 15 Jahren reisen sie auf verschiedenen KTM-Modellen zu magischen Plätzen wie der Sahara, Rub Al-Khali oder Karoo.