STILLSTAND IN DER MOTOGP™️! DIE WICHTIGSTEN FRAGEN
zu Bikes, Reorganisation, Notbesetzung für GPs ohne Zuschauer, zu Testrückständen und zur Zukunft. Sebastian Risse, MotoGP™️ Technical Coordinator bei KTM, klärt einige der großen Fragen, die derzeit über dem Sport hängen.
Während die Welt gespannt auf Neuigkeiten zur MotoGP™️-Saison 2020 wartet, hängt das Red Bull KTM-Team in der Luft: Es gibt keinen Kalender, an den man sich halten könnte, und keine Routine, die normalerweise das Leben der Teammitglieder bestimmt. Die RC16-Rennbikes sind vor zwei Monaten in Kisten verpackt und seitdem nicht angefasst worden – den letzten Einsatz hatten sie Ende Februar bei einem Test in Katar. Um mehr darüber zu erfahren, wie das Team mit der Zwangspause und der Homologation umgeht und was es von Rennen ohne Zuschauer hält (und wie es mit dem ‚Einfrieren‘ einiger Bereiche der Entwicklung bis 2022 fertig wird), haben wir Sebastian zum Interview gebeten …
Die Bikes sind in Kisten verpackt und erst kürzlich von Katar nach Spanien geschickt worden …
Wenn sich Materialien so lange im Transport befinden, kann es zu feuchtigkeitsbedingten Schäden kommen. Natürlich trifft man alle möglichen Vorsichtsmaßnahmen, aber diese sind auf die zwei bis drei Wochen ausgelegt, die die Bikes normalerweise in Kisten verbringen. Mittlerweile ist viel Zeit vergangen und wir müssen uns darum kümmern. Wir müssen die Teile aus den Kisten holen, sie reinigen und auf Feuchtigkeit und Oxidation testen. Es geht nicht nur um die Haltbarkeit der Teile, sondern um Oxidation am Motor. Normalerweise verwenden wir spezielle Materialien auf Silikonbasis, die die Feuchtigkeit in der Kiste absorbieren. Wenn diese aber aufgebraucht sind, fangen für uns die Probleme an. In einer normalen Umgebung würden die Teile ewig halten, aber die Vorkehrungen helfen eben nur eine gewisse Zeit lang.
Ihr habt die Bikes seit dem letzten Test nicht gesehen …
Das ist eigentlich nicht so dramatisch. Wir hatten beim Test keine großen technischen Probleme, die zuhause analysiert werden müssten. Wenn es Probleme gegeben hätte, hätten wir die betreffenden Teile gleich nach Auftreten des Problems separat zurückgeschickt. Diese Komponenten wären also in einer anderen Sendung gewesen. Wir haben hauptsächlich mit den Daten, die wir auf unseren Laptops hatten, gearbeitet und diese wurden mit dem Werk synchronisiert. Die Daten sind also bereits auf den vernetzten Computern vorhanden. Die Schwierigkeiten beginnen, wenn wir auf Erkenntnisse reagieren wollen, denn das würde bedeuten, an den Bikes selbst oder in der Werkstatt zu arbeiten. Wie viele andere Unternehmen ist KTM in Sachen Arbeitskraft, Arbeitszeit und Zugang zur Werkstatt eingeschränkt. Nach der Absage des Grand Prix in Katar hatten wir Dinge zu erledigen und einige Nebenprojekte, die wir angehen konnten: Diese Nebenprojekte wurden dann für viele im Rennteam zu ‚Hauptprojekten‘.
Welchen Zeitplan habt ihr, um wieder (voll) READY TO RACE zu werden?
Zuerst müssen wir unsere Materialien sortieren. Wir müssen die Bikes reinigen und fertig machen. Die LKW sind bereits beladen, da wir vorausgesehen hatten, dass die nächsten Rennen in Europa stattfinden würden – das wäre alles kurzfristig organisierbar, besonders wenn die Reisebeschränkungen wieder aufgehoben sind. Unsere LKW-Fahrer sind über ganz Europa verstreut und wenn sie zuhause bleiben müssen, müssen wir eine andere Möglichkeit finden, die Lastwagen zu den Rennstrecken zu bringen, was die Organisation erschweren und zu Verzögerungen führen könnte. Abgesehen davon können wir schnell reagieren.
Was denkst du über verkleinerte Teams für Rennen ohne Zuschauer?
Vieles ist möglich! Alle Änderungen an der Struktur und unseren regulären Renntagen bedeuten, dass alle Prozesse des Teams und seiner einzelnen Mitglieder auch geändert werden müssen. Das ist eine Herausforderung, die wir aber annehmen und meistern werden. Alle werden damit leben müssen und es wird zu einem Wettstreit der anderen Art werden: Die Teams, die diese Herausforderung am besten meistern, werden Rennen gewinnen, oder wenigstens große Schritte nach vorn machen. Beim Rennfahren und bei der Effizienz geht es oft darum, sich auf die wichtigsten Dinge zu konzentrieren. Wenn man die Zeit hat, gibt es immer Dinge zu erledigen – hier ist es genau das Gleiche, aber eben auf einer anderen Ebene.
Zur Homologation für 2020 …
Normalerweise wird alles dokumentiert, wir müssen unsere Teile der Technikmannschaft der MotoGP™️ aber auch in Natura präsentieren, wenn wir sie homologiert haben wollen. Dank der Notwendigkeit von Referenzdokumenten war der ganze Prozess ohnehin schon digitalisiert, das war also recht einfach und nicht viel anders als bisher. Als Konzessions-Team müssen wir gewisse Dinge normalerweise nicht homologieren. Das war in diesem Jahr anders, da wir bereits zugesagt hatten, diese zu ‚richten‘ [auch für 2021]. Beim Motor konnten wir das nicht digital machen, sondern mussten einen Mustermotor einschicken, damit er mit anderen eingereichten Motoren verglichen werden kann.
Wie denkst du über das ‚Einfrieren‘ der Technik von 2021 bis 2022 und den damit verbundenen Druck?
Als Techniker will man immer Fortschritte machen, Dinge ausprobieren und verbessern, aber gleichzeitig auch das Beste aus den vorhandenen Ressourcen machen. Momentan ist unklar, welche Ressourcen das sein werden. Natürlich werden wir dem Sport treu bleiben und alle werden ihr Maximum geben, um konkurrenzfähig zu bleiben. Wir müssen aber abwarten und uns die Details ansehen, um die Situation bestmöglich zu erfassen. Einen gewissen Druck gibt es immer. Sehen wir uns nur einmal den Motor an. Natürlich entwickeln wir ihn ständig weiter und der Motor, den wir heuer verwenden wollten, ist anders als der vom letzten Jahr. Während der Winterpause haben wir unser Möglichstes getan, um die richtige Abstimmung zu finden. Wir hatten keinerlei technische Probleme, die uns echtes Kopfzerbrechen bereitet hätten. Allerdings sind wir auch noch keine Rennen gefahren! Wenn dieser Motor – den wir dieses Jahr und Anfang 2021 verwenden müssen – nun im Renneinsatz nicht funktioniert, dann haben wir ein Problem. Aber daran können wir momentan nichts ausrichten. Wir wissen, was für ein Paket wir haben, und wenn wir eine Schwachstelle entdeckt hätten, hätten wir uns darum gekümmert. Leider kommen wir um die Homologation nicht herum und so müssen wir das Beste aus jeder Situation machen. Während der Tests haben wir mehrere Rennen simuliert und unsere Bikes extremen Bedingungen – etwa der Hitze Malaysias – und schwierigen Strecken ausgesetzt. Wir können diese Bedingungen auch auf dem Teststand simulieren und führen Belastungstests durch, bevor wir überhaupt auf die Strecke gehen. In der Theorie haben wir also alles getan, um sicherzugehen, dass der Motor funktioniert … das Problem ist nur, dass sich die Realität nicht immer mit der Theorie deckt! Manchmal hält sie Überraschungen bereit! Und die kannst du nicht simulieren. Auf Basis unseres Wissensstandes läuft der Motor gut und wir sind eigentlich guter Dinge, da wir auch in den letzten Jahren keine großen Dramen hatten. Jetzt können wir nur hoffen, dass uns nicht irgendeine unvorhersehbare Katastrophe trifft!
Seht ihr euch in eurer neu gewonnenen Zeit Lücken in den Regeln an oder arbeitet ihr an kleinen Innovationen?
Das kommt immer darauf an, wie groß unsere Ressourcen sind. Wenn du dich etwa den ‚Grauzonen‘ in den Regeln widmest, musst du die ganze Arbeit machen und es schaffen, dass das Resultat irgendwie noch ‚legal‘ ist. Dann musst du dich in den technischen Besprechungen mit der Konkurrenz und den Offiziellen herumschlagen. Dazu brauchst du die Ressourcen und am Ende kann es passieren, dass doch alles im Schredder landet. Wir sind noch nicht lange in der MotoGP™️ aktiv und es gibt viele Bereiche, in die wir unsere Ressourcen investieren könnten. Wir müssen aber aufpassen, dass wir klug investieren und nur Ideen entwickeln, die sich voll und ganz mit den Regeln decken, damit nichts im Schredder landet. Es ergibt einfach mehr Sinn, sich auf solche Dinge zu konzentrieren anstatt auf ‚50:50‘-Chancen oder Komponenten, die ein paar Rennen lang erlaubt sind und dann verboten werden. Wann immer wir an etwas arbeiten, was die anderen Teams nicht haben, sprechen wir früh mit den Offiziellen der MotoGP™️, um deren Rat einzuholen und Absagen in letzter Minute zu vermeiden.