Vergangenheit & Gegenwart: Heinz Kinigadner über die Dakar

Der Name Heinz Kinigadner ist untrennbar mit der berühmten Rally Dakar verbunden. Der Österreicher hat die Dakar sieben Mal bestritten. Gewonnen hat er nicht, nicht einmal das Ziel erreicht, jedenfalls nicht in Wertung. Aber der ehemalige Motocross-Weltmeister hat entscheidend dazu beigetragen, dass es überhaupt zu einer KTM Ära in der 36-jährigen Dakar-Historie kommen konnte. Seit den frühen 90er Jahren ist Kini mit KTM bei der Dakar am Start, erst als Aktiver, dann als Betreuer – und er hat nie aufgehört, alle, die nicht selbst dabei sein können, zu begeistern. Wir haben uns mit dem 53-Jährigen über seine Dakar Erfahrungen unterhalten.

Über die Dakar 2014, bei der die KTM Piloten auf starke Konkurrenz von Honda und Yamaha stoßen …
„Erst vor Kurzem hatten wir in Mattighofen ein Meeting mit allen Teammitgliedern des KTM Dakar-Teams, nur Chaleco konnte leider nicht dabei sein. Allen ist klar, dass die Dakar 2014 großartig werden wird und noch eine Nummer höher anzusiedeln ist als bisher, denn die Konkurrenz ist zahlreicher und stärker denn je. KTM hat in den letzten zwölf Jahren alle Siege abgeräumt und galt im Vorfeld stets als großer Favorit. Trotzdem war es teamintern nicht immer einfach. Wenn Marc Grund zum Klagen hatte, dann meist wegen Cyril. Oder eben umgekehrt. Für das Team und alle Beteiligten war diese Situation nicht immer einfach. Manchmal haben wir mehr mit uns selbst als gegen die Konkurrenz kämpfen müssen. Das wird heuer anders.”

Über seine persönlichen Dakar-Erlebnisse …
„Ich weiß noch, wie ich mich zu Beginn für die Rally stark gemacht habe und mich fast jeder bei KTM für verrückt erklärt hat. Für dieses Zeug mit langen Etappen sei das Bike nicht gemacht und überhaupt seien Wüsten-Rallys doch der komplette Wahnsinn. Mir war das Potential der Dakar aber von Anfang an klar. Um diese Jahreszeit findet kein anderer Motorsport statt. Alle Motorradfahrer sitzen zu Hause und sehnen sich nach Motorradsport. Und dann kommen diese Geschichten, wie wir durch atemberaubende Landschaften fahren, mit unfassbaren Bildern und mit Eindrücken, die auf der Welt absolut einmalig sind.

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Kini Dakar 1996

Die Dakar war immer ein überwältigendes Abenteuer – kein Spitzensport, obwohl der sportliche Aspekt, wenn man genau hinschaut, nicht zu übersehen ist. Die Dakar war jedenfalls eine neue Dimension, für KTM wie für die Kunden, die uns alle einen Schritt weiter gebracht hat. KTM baut sehr erfolgreich Offroad-Motorräder und Travel-Enduros wie die Adventure, heute mehr denn je; ein besseres Schaufenster ist kaum vorstellbar. In den ersten Dakar-Jahren waren unsere Bikes noch nicht so weit. Nicht für diese Strecken und nicht für diese Belastung. Es gab mehr Probleme als uns lieb war. Viermal musste ich nach technischen Defekten aufgeben. Dreimal war nach Stürzen vorzeitig Feierabend, wobei auch hier technische Probleme die Auslöser waren. Ich war nicht mehr der Jüngste, als ich als Ex-Motocrosser mit der Dakar anfing. Trotzdem war es nicht so einfach, eine Balance zu finden zwischen Speed auf der einen und Sicherheitsdenken auf der anderen Seite – wobei mir Letzteres zunächst ziemlich egal war. Für mich war die Dakar Abenteuer pur. Volles Rohr. Alles was ging. Sicher war es hart und lang und anstrengend und gefährlich. Immerhin hatten wir Peilsender mit an Bord, es gab Begleitfahrzeuge und sogar Helikopter. Das Ganze war sicherer, als wenn man alleine durch die Wüste gebraust wäre. Die Dakar ist heute immer noch gefährlich: wenn du zwei Wochen lang täglich 600 bis 700 Offfroad-Kilometer abreißt, sind Konzentrationsfehler kaum zu vermeiden. Die Unfallgefahr ist groß, und wenn mir inzwischen etwas zu schaffen macht, dann das. KTM ist seit 1992 bei der Dakar unterwegs. Alle schlimmen Unfälle unserer Werksfahrer, mit Ausnahme von Pit Beirer, sind bei der Dakar oder anderen Wüsten-Rallys passiert. Dieser Sport ist wirklich großartig, aber es bricht einem das Herz, wenn man dabei Freunde verliert.”

„Ich weiß noch, wie ich mich zu Beginn für die Rally stark gemacht habe und mich fast jeder bei KTM für verrückt erklärt hat. […] Mir war das Potential der Dakar aber von Anfang an klar.”

Über die Dakar-Frühzeiten und den Trubel in der Heimat …
„Als ich meine erste Dakar fuhr, gab es noch keine satellitengestützte Navigation. Das fing erst im zweiten Jahr an. Das GPS war noch sehr einfach; man konnte immerhin mehrere Roadbook-Zwischenpunkte eingeben. Wir hatten keine Karten, sondern fuhren unsere Punkte nacheinander an. Manchmal boten sich Abkürzungen an, aber man wusste nie genau, ob da ein Berg, ein Fluss oder ein paar Dünen dazwischen waren. Hier und da ging man mehr Risiko ein und traute sich einfach ein paar Kilometer abzukürzen. Manchmal klappte es, manchmal nicht. Wenn man seinen Konkurrenten bei der Navigation in kniffligen Sektionen mal eben 20 Minuten abknöpfen konnte, war es natürlich doppelt befriedigend. KTM ist seit 20 Jahren bei der Dakar dabei. Organisatorisch war früher alles anders, es gab nicht einmal Begleitfahrzeuge. Auch unsere Bikes waren für solche Belastungen eigentlich kaum geeignet. Gestaunt haben wir hinterher, als wir die Berichterstattung in den Medien sahen. Die war gewaltig, absolut unglaublich. Ich war vorher zweimal Motocross-Weltmeister, aber die mediale Aufmerksamkeit war im Vergleich dazu ein Klacks. Ganz Österreich wusste plötzlich über die Dakar Bescheid, zwei Wochen lang war die Rally tagtäglich überall ein Thema und jeder schaute hin. Als ich nach Wien flog, kannte mich auf einmal jeder. Vom Taxifahrer bis zu den Leuten auf der Straße – überall wurde man angesprochen. „Sie sind der, der die Dakar mitgefahren ist!” Für meine beiden Motocross-Titel habe ich viel härter gearbeitet, aber die Aufmerksamkeit war bei der Dakar um ein Vielfaches größer!”

„Für meine beiden Motocross-Titel habe ich viel härter gearbeitet, aber die Aufmerksamkeit war bei der Dakar um ein Vielfaches größer!”

Was an der Dakar so fasziniert …
„Als Dakar-Teilnehmer wird man schnell als verrückt abgestempelt. Das ist aber in Ordnung. Als Außenstehender ist nicht einfach zu verstehen, warum sich das jemand freiwillig antut. Als ich Motocross-Rennen fuhr, empfand ich Wüsten-Rallys auch als etwas Schräges. Für mich war das eigentlich kein Sport. Als ich selbst damit anfing, habe ich das natürlich mit anderen Augen gesehen. Am besten hat mir getaugt, dass man mit dem Motorrad durch Gegenden oder Landschaften fährt, wo sonst niemand hinkommt, es sei denn mit dem Hubschrauber. Das fand ich richtig Klasse. Ich bin später auch bei anderen Anlässen mit dem Motorrad durch Afrika gefahren. Einmal mit Red Bull Boss Didi Mateschitz, der in einer abgelegenen, aber wunderschönen Landschaft plötzlich meinte: „Ich fühle mich wie John Wayne”. Das trifft es! Ich meine, man fährt dahin, durch dieses unglaubliche Land, und dann erwischt einen die Natur mit atemberaubender Schönheit. Ich stamme aus Tirol, war also zeitlebens von Bergen umgeben. Diese unglaubliche Weite in Afrika ist ergreifend. Es haut einen einfach um, mal eben 2.000 Kilometer am Stück durch die Wildnis fahren zu können. Dazu kommt das grandiose Feeling, ein Offroad-Motorrad am Limit zu bewegen, während man gleichzeitig um die Gefahr weiß, die hinter jeder blinden Biegung lauern kann. Das Risiko ist allgegenwärtig, aber gleichzeitig ist die Befriedigung enorm. Es ist etwas sehr Spezielles, unter diesen Umständen schneller und besser unterwegs zu sein als die Anderen. Wenn alles gut läuft, kommt man in einen Flow. Man fühlt sich gut und stark und so gut wie unverwundbar – in solchen Momenten ist man nur noch Racer. Die Dakar ist ein großartiges Abenteuer. Es ist unmöglich, sich dem zu entziehen, wenn man einmal drinnen steckt. Die Dakar fährt man mit Leib und Seele, ohne wenn und aber. Ich bin mit dem Motorrad durch Südamerika gefahren, von Peru nach Rio und von Paris über Moskau nach Peking. Ich habe Australien durchquert. Meine erste Dakar führte von Paris nach Kapstadt in Südafrika. Für mich waren Rallys immer auch ein Mittel, um durch die Welt zu reisen und Länder zu entdecken, die ich sonst nie zu Gesicht bekommen hätte.”

Winning the '94 Pharaoh's Rally with mechanic Fernando. Living the Adventure

Winning the ’94 Pharaoh’s Rally with mechanic Fernando. Living the Adventure

„Am besten hat mir getaugt, dass man mit dem Motorrad durch Gegenden oder Landschaften fährt, wo sonst niemand hinkommt, es sei denn mit dem Hubschrauber. […] Ich bin später auch bei anderen Anlässen mit dem Motorrad durch Afrika gefahren. Einmal mit Red Bull Boss Didi Mateschitz, der in einer abgelegenen, aber wunderschönen Landschaft plötzlich meinte: „Ich fühle mich wie John Wayne”. Das trifft es!”

Über die Verlegung nach Südamerika …
„Südamerika ist für die Dakar ein echter Gewinn. Die Rally ist dort eine Riesengeschichte geworden und strahlt immer mehr auch nach Nordamerika ab, was früher nicht der Fall war. Südamerika ist für alle beteiligten Hersteller ein wichtiger und riesiger Markt. Auf der Dakar-Website wurden allein 34 Millionen Zugriffe bei den Live-Streams gezählt, ein unglaublicher Erfolg. Ich glaube nicht, dass dieses Event jemals nach Afrika zurückkehren wird. Nicht nur, dass es im Landesinneren die Sicherheit nicht gewährleistet ist; hinzu kommt, dass praktisch keine Wachstumsmöglichkeiten mehr gegeben sind. Das Konzept der Rally hat sich stark verändert. Heute kreuzen überall entlang der Strecke Zuschauer auf, in Gruppen, ganze Familien, manche sogar mit dem Motorhome. Das ist kein Vergleich mehr mit dem, was man in Afrika gewohnt war. In Mali kreuzte man ein Städtchen, danach kam 800 Kilometer nichts mehr; man war alleine unterwegs, fast einsam. In Südamerika ist das komplett anders. Marc Coma und einige andere Fahrer haben mir erzählt, dass man glaubt sich verirrt zu haben, wenn man einmal ein paar Kilometer keinen Zuschauer oder keine Häuser mehr sieht. Das Rennen hat sich toll entwickelt. Auch wenn man sich die Rally-Bikes anschaut. KTM und Honda schicken neue Bikes an den Start. Es sind großartige, konsequent durchdachte Maschinen, da muss man einfach den Hut ziehen. Würde man die neue KTM 450 RALLY, deren Handling stark verbessert wurde, unserem mehrfachen MX1 Weltmeister Cairoli in die Hand drücken, würde er auf einer MX-Piste wahrscheinlich sehr ordentliche Rundenzeiten fahren. Moderne Rally-Bikes von heute unterscheiden sich dramatisch von den – wie wir sie nannten – Afrika-Dickschiffen vergangener Tage, die in erster Linie querbeet mit Vollgas geradeaus laufen mussten.”

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KTM 620 LC4 1997/1998

„Südamerika ist für die Dakar ein echter Gewinn. […] Das Konzept der Rally hat sich stark verändert. Heute kreuzen überall entlang der Strecke Zuschauer auf, in Gruppen, ganze Familien, manche sogar mit dem Motorhome. Das ist kein Vergleich mehr mit dem, was man in Afrika gewohnt war.”

Mehr Informationen rund um die Dakar 2014 gibt´s im Dakar Newsroom sowie über den KTM Newsletter.