Vom Supercross zum Motocross: Marvin Musquin und sein „Formwandler“ – die KTM 450 SX-F

Die US-amerikanische AMA Pro National Motocross-Serie 2019 ist in vollem Gange und Marvin Musquin vom Red Bull KTM-Team erzählt uns, wie seine KTM 450 SX-F technisch von ‚drinnen‘ auf ‚draußen‘ getrimmt wird.

Marvin Musquin (FRA) KTM 450 SX-F Hangtown (USA) 2019 © Simon Cudby

Marvin Musquin, einer der Top-Athleten im hektischen Trubel des Supercross- und Motocross-Sports in den USA, sitzt auf seiner KTM 450 SX-F und gibt ein Fernsehinterview. Heute ist Medientag bei einem der letzten Rennen der 17 Läufe in 18 Wochen umfassenden AMA Supercross-Serie. Musquin fühlt sich sichtlich wohl auf dem Bike, das er mitentwickelt hat und auf dem er im SX/MX-Sport seit mittlerweile zehn Jahren unter dem Banner von Red Bull KTM für Furore sorgt.

Am Ende der Supercross-Saison dachten der Franzose und alle anderen im Fahrerlager bereits über die bevorstehende Motocross-Meisterschaft nach, deren zwölf intensive Rennwochenenden die Sommermonate ausfüllen werden.

„Es ist immer eine Suche“, sagt der 29-Jährige (der seinen TV-Termin soeben beendet hat) zu jener Zeit, in der das Team versucht, die KTM 450 SX-F optimal auf den Umstieg von Supercross auf Motocross vorzubereiten. „Natürlich beginnen wir immer mit der Basisabstimmung des Vorjahres. Der Plan ist, gegen Ende der Supercross-Saison einige Tage auf Motocross-Strecken zu verbringen, um für die Rennen unter freiem Himmel vorbereitet zu sein.“

„Wir fahren viele Rennen und Tests mit dem ‚Supercross‘-Bike, das eine härtere Federung hat“, fügt er hinzu. „Und darum geht es hauptsächlich. Wir sind an diese Abstimmung gewohnt … und wenn wir dann auf das Motocross-Bike umsteigen, brauchen wir eine Weile, um uns daran zu gewöhnen. Besonders im Zusammenhang mit den Geschwindigkeiten auf Motocross-Strecken.“

Marvin Musquin (FRA) KTM 450 SX-F Hangtown (USA) 2019 © Simon Cudby

Für Athleten, die sich auf die AMA-Serien konzentrieren, dreht sich fast alles um die Supercross-Rennen. Die Meisterschaft selbst läuft von Januar bis Mai und wenn die Motocross-Rennen vorüber sind, beginnen im Spätsommer die Tests für die nächste Saison. Der Monster Energy Cup Mitte Oktober in Las Vegas kommt beinahe einem ‚Vorsaison-Rennen‘ gleich und die gesamte Trainings-, Test- und Vorbereitungsarbeit gipfelt schlussendlich im ersten Anaheim-Rennen und dem Start der neuen Saison.

Trotz der Priorität der spektakulären, in Stadien ausgetragenen Serie sind viele der Fahrer auf Motocross-Bikes großgeworden. „Fühlt es sich an, wie in ein altes Paar Schuhe zu schlüpfen?“ Marvin grinst. „Ha! Das könnte man so sagen! Wenn du auf das Bike steigst und mit den Mechanikern den Durchhang checkst und sich das Ding im Stand bewegt, weißt du, dass du nicht mehr auf einem Supercross-Bike sitzt!“

Auf die Frage, in welchem Bereich sich seine KTM 450 SX-F am Deutlichsten von der Supercross-Abstimmung unterscheidet, antwortet Musquin wie aus der Pistole geschossen. „Die Federung ist viel weicher. Hier ist der Unterschied wirklich riesig. Was die internen Teile betrifft, sind die Änderungen sehr gering. Wir spielen aber immer wieder mit Neuerungen herum. Wir können außerdem mit dem Versatz des Bikes – also dem Vorderbau – spielen, um den Radstand zu verlängern, wenn wir das wollen.“

Während im Grand-Prix-Sport Prototypen eingesetzt werden, sind die Regeln in den AMA-Serien strenger und verlangen, dass die Rennbikes auf Serienmodellen basieren. „Anders als in der MXGP und der Weltmeisterschaft dürfen wir den Rahmen eigentlich gar nicht verändern“, erklärt die #25. „Wir können nur mit dem Radstand und dem Versatz und so Dingen herumspielen.“

„So sind sich das Motocross- und das Supercross-Bike sehr ähnlich“, fügt er hinzu. „Sie fühlen sich wie ein und dasselbe Motorrad an, mit dem Unterschied, dass viel mehr Bewegung in der Federung ist, weil sie weicher abgestimmt ist, um die Schläge besser zu absorbieren. Im Supercross springen wir extrem viel und wollen, dass die Federung die Landezonen und die Waschbrett-Abschnitte gut absorbiert. Von der Vollgas-Power her fühlen sich das Supercross- und das Motocross-Bike sehr ähnlich an.“

KTM 450 SX-F Hangtown (USA) 2019 © Simon Cudby

Eine Runde dauert im Supercross normalerweise 30-40 Sekunden. Im Motocross mindestens doppelt so lange. Doppel- und Dreifach-Sprünge, Rhythm Lanes und Waschbrett-Abschnitte machen Platz für Furchen und Wellen, höhere Geschwindigkeiten und mehr Fahrzeit auf dem Boden. Ein weiteres Problem ist, geeignete Strecken zu finden, die denen in den AMA Nationals ähnlich genug sind, um die Feinabstimmung vorzunehmen.

„Im Motocross-Sport geht es immer darum, die Federung auf Komfort zu trimmen, ohne sie so weich zu machen, dass sie bei hohen Geschwindigkeiten hinten durchschlägt, wenn du auf einen Bremshügel triffst. Das kann nämlich ganz schön böse ausgehen“, gibt Musquin zu bedenken. „Wir versuchen, auf einigermaßen guten und holprigen Strecken zu trainieren. Aber erst, wenn du am Start des Rennens stehst, realisierst du, wie holprig es tatsächlich sein kann. In Europa kannst du Mittwochs auf Strecken wie Lommel [in Belgien – eine der härtesten Sand-Strecken der Welt] trainieren, wenn sie garantiert holprig ist! Unten in Kalifornien versuchen wir, auf Strecken wie Glen Helen zu trainieren. Die ist am Ende des Tages immer schön uneben, aber weit nicht so weich, zerfurcht und holprig wie die Strecken, auf denen wir in den Nationals fahren. In Florida gibt es Kurse, die viel sandiger und tiefer sind und wir versuchen, mit dem Bagger ein paar Schläge ‚einzubauen‘, um uns an die Rennbedingungen anzunähern.“

Marvin Musquin (FRA) KTM 450 SX-F Pala (USA) 2019 © Simon Cudby

Musquin hat das Handling seiner KTM 450 SX-F also an die Motocross-Rennen angepasst. Damit ist es aber noch nicht getan. „Im Freien ist es nicht ratsam, Supercross-Motoren zu verwenden“, hält er fest. „Diese sind sehr aggressiv. Im Motocross benötigst du eine längere Getriebeabstufung, was dann eben bedeutet, dass die Kennlinien, die Nockenwellen und eben die Getriebeabstufung geändert werden. Hier ist der Unterschied riesig.“

„Wenn du aus einer Kurve herausbeschleunigst, willst du nicht im Getriebe rühren müssen“, fügt er hinzu. „Ich habe es gern, wenn die Gänge 2 und 3 lang ausgelegt sind. Das macht einen großen Unterschied und hat Einfluss auf die Rückmeldung und das Federbein. Bei bestimmten Geschwindigkeiten musst du etwas vom Gas gehen, damit sich die Federung nicht zu stark bewegt oder das Bike zu sehr herumhüpft.“

Marvin Musquin (FRA) KTM 450 SX-F Pala (USA) 2019 © Simon Cudby

Im aktuellen Aufgebot von KTM hat niemand so viel Erfahrung mit den SX-F-Bikes wie Musquin. Auf dem Weg zu seinem ersten MX2-Titel ergriff er Mitte 2009 zum ersten Mal den Lenker der 250er (Tony Cairoli und Jeffrey Herlings schlossen sich 2010 dem Red Bull KTM-MXGP-Team an). Seine Erfahrung verhilft ihm zu einer einzigartigen Perspektive auf die Werksbikes und der optimalen Abstimmung für den Grand Prix-Sport, Supercross und die Herausforderungen der Nationals. „In zehn Jahren hat sich einiges verändert!“ so Musquin. „Besonders die WP-Federung. Im Jahr 2009 fuhr ich die 250er mit dem PDS-Federbein … beim Rennen in Lommel war das Bike einfach unglaublich! Ich gewann beide Rennen auf meiner 250er und die Leute konnten es kaum glauben. Mit dem PDS-System hatte ich ein großartiges Gefühl auf sandigen Strecken. Es wäre super, noch einmal nach Lommel zurückzukehren, die Bikes heute zu vergleichen und zu sehen, was mir damals so gefiel. Ich habe mich so sehr an die 2018-2019-Modelle gewöhnt.“

Musquin hat sowohl im Freien als auch in den Stadien Rennen gewonnen und in beiden Meisterschaften um den Titel gekämpft. Er ist ein Fahrer, der für seine Freundlichkeit ebenso bekannt ist, wie für seine Vielseitigkeit und technische Stärke. Als wir ihn fragen, ob er lieber ein Supercross- oder ein Motocross-Rennen bestreiten würde, wenn er in seinem Leben nur noch ein einziges fahren dürfte, beginnt er zu grinsen. „Argh! Das ist eine verdammt knifflige Frage. Wenn es um das Feedback geht, würde ich Motocross sagen. Was das gesamte Fahrgefühl betrifft aber eher Supercross, weil ich die Sprünge und all das so liebe … es ist aber wirklich schwer zu sagen! Im Motocross hast du die Furchen und krasse Strecken mit fantastischem Schlamm und … arghh! Am liebsten wäre mir eine riesige Supercross-Strecke mit super Schlamm und Furchen und Sprüngen!“

Marvin Musquin (FRA) KTM 450 SX-F Pala (USA) 2019 © Simon Cudby

Fotos: Simon Cudby