Von A nach B

Schon mal überlegt, was für ein enormer logistischer Aufwand hinter einem MotoGPTM-Rennen steckt? Wenn du am nächsten Rennwochenende den Fernseher einschaltest, denk doch mal darüber nach! Es ist nämlich alles andere als einfach, alle Teams und Maschinen rechtzeitig an und auf die Rennstrecke zu bekommen. Wir haben auf die Suche nach ein paar Insider-Informationen gemacht.

Jeremy Wilson (GBR) 2018 © Guus van Goethem

Unser erster Ansprechpartner ist Jeremy Wilson, Logistic Coordinator von Red Bull KTM Factory Racing. Wir können den Briten aus Driffield getrost einen MotoGPTM-Veteranen nennen, denn mittlerweile arbeitet Wilson schon die dreiundzwanzigste Saison im Paddock. Seit den Anfangstagen des Red Bull KTM MotoGP-Teams ist er für dieses aussichtsreiche Projekt zuständig, seine heutige Funktion führt er aber erst seit dieser Saison aus. Für Wilson selbst war es eine ziemliche Überraschung, dass er gebeten wurde, Logistic Coordinator des Teams zu werden. „Früher habe ich unter anderem für Red Bull Yamaha, WCM und Rizla Suzuki gearbeitet. Dort hatte ich verschiedene Aufgaben inne, gewissermaßen war ich das Mädchen für alles. Auch bei KTM war das anfangs so. Im ersten Jahr fuhr ich einen der Trucks zur Rennstrecke und war für die Reifen von Pol Espargaró zuständig. Bis Mike Leitner (Team Manager MotoGP) mich eines Tages in sein Büro bat. Ich dachte mir noch: habe ich etwas falsch gemacht? Aber nichts dergleichen, er fragte mich geradeheraus, ob ich Coordinator werden wolle. Sollte das ein Witz sein? Nein, es war sein voller Ernst! Anfangs fehlten mir echt die Worte, das hatte ich überhaupt nicht kommen sehen.“

Einigermaßen verblüfft war Wilson deshalb, weil er im Umgang mit Computern nicht allzu versiert ist und einen englischen Dialekt spricht, der sich gewaschen hat. „Wir Engländer sind ein bisschen faul, wenn es darum geht, Fremdsprachen zu lernen“, gibt der 51-jährige Brite ehrlich zu. „Ich versuche jetzt, mich ein bisschen gewählter auszudrücken und mich an die Arbeit am Computer zu gewöhnen. Schnell tippen kann ich noch immer nicht, aber mit dem Laptop habe ich mich mittlerweile angefreundet. Außerdem erledige ich noch immer viel auf die altmodische Art und Weise: mit Stift und Papier. Mein Notizblock ist mir heilig. Da schreibe ich mir meine Aufgaben auf und streiche sie durch, wenn ich sie erledigt habe.“

Jeremy Wilson (GBR) 2018 © Guus van Goethem

Keine Sorgen
Dank Wilsons Erfahrung und der Hilfe des gesamten Teams gab es dieses Jahr bei KTM noch keine logistischen Aussetzer. Mit seiner ungebrochenen Motivation und wissbegierigen Art geht er seiner Arbeit so gut wie möglich nach. Im Übrigen stehen ihm dabei zwei weitere Logistic Coordinators zur Seite. Wilson ist vor allem für die Trucks und Pitboxen zuständig, während sich seine Kollegin Beatrice Garcia eher um die menschlichen Anliegen kümmert. Sie sorgt dafür, dass alle Teammitglieder einen Schlafplatz haben und sich keine Sorgen über Hin- und Rückflüge machen müssen. Thomas Rockenmeyer wiederum ist für die Logistik rund um die Ersatzteile verantwortlich.

Jeremy Wilson ist immer frühzeitig an der Strecke, denn auch wenn er jetzt Coordinator ist, steuert der Brite nach wie vor einen der drei MAN-Trucks von Rennen zu Rennen. „Man muss ab der ersten Sekunde des Rennwochenendes da sein, wenn es um die Logistik geht. Es können zum Beispiel immer noch Dinge geliefert werden, da ist es besser, man ist vor Ort und kann sich darum kümmern. Warum dann nicht auch gleich selbst einen der LKWs fahren? Dann ist man garantiert immer rechtzeitig an der Rennstrecke.“ Wilson ist am Dienstag schon zu Mittag vor Ort, obwohl er erst um 14:00 Uhr erwartet wird. „Bei der Organisation gibt es strenge Regeln. Wir müssen uns außen an die Strecke stellen, von dort aus werden wir dann einer nach dem anderen an den uns zugewiesenen Platz geleitet. Am Abend werden die Trucks dann noch gewaschen, damit alles für den am Mittwoch anstehenden Aufbau der Pitboxen bereit ist.“ Dann werden die Trucks ausgeräumt und alle packen mit an, damit sich die Pitbox schnellstmöglich in einen perfekt vorbereiteten Arbeitsplatz für das Wochenende verwandelt. Wände aufstellen, Maschinen hereinrollen und die Werkzeuge an der richtigen Stelle platzieren. Alles muss bereit sein, damit die Mechaniker und Ingenieure ihre Arbeit so gut wie möglich ausführen können. Am Donnerstag ist Wilson hauptsächlich vor seinem Laptop anzutreffen. So nimmt er Kontakt mit den Mitarbeitern aus dem HQ sowie seinen Ansprechpartnern in Kooperationsbetrieben wie DHL, dem wichtigsten Logistikpartner des Teams, auf. Während des Wochenendes sorgt der Brite aus dem Red Bull KTM MotoGP-Team dafür, dass alles reibungslos abläuft. Gibt es Anfragen oder Probleme im Bereich Logistik, überlegt Wilson sich eine Lösung. Während der MotoGPTM-Trainings steht er meist mit einem Scooter neben der Rennstrecke. Oft an Stellen, wo am ehesten davon auszugehen ist, dass es zu einem Sturz kommt. „Dann können Pol oder Bradley bei mir hinten aufspringen und ich bringe sie so schnell wie möglich zurück zur Pitbox.“

TT Assen 2018 TT Assen 2018 TT Assen 2018 TT Assen 2018
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© Guus van Goethem

Lieferung der Einzelteile
Sonntagabend, nachdem alle Rennen beendet sind, beginnt das Team wieder zusammenzupacken. Zurück ins HQ ins österreichische Munderfing fahren die LKWs aber fast nie. Sie werden strategisch günstig zwischengeparkt, so dass Kosten gespart werden können. Die Logistik fällt im Budget des Red Bull KTM MotoGP-Teams nämlich ordentlich ins Gewicht. Wilson: „Ich schätze, der Transport macht an die 40% der Gesamtkosten aus.“ Deshalb versucht Wilson, das Material so günstig wie möglich transportieren zu lassen. Überflüssige Kilometer werden möglichst vermieden. „Wenn man zum Beispiel zurück nach Munderfing fährt, ist man von Barcelona aus drei Tage unterwegs. Und sobald man angekommen ist, kann man gleich zum nächsten GP aufbrechen. Das ergibt also eigentlich wenig Sinn. Sollte es unerwartet doch nötig sein, dass einzelne Teile nachgeschickt werden müssen, springt DHL ein. Die bringen sie dann zur Rennstrecke.“ So legt Wilson gerade einmal 35.000 Kilometer im Jahr zurück, während er mit dem Grand-Prix-Zirkus an zwölf Wochenenden durch ganz Europa tourt. „Indem wir die Trucks strategisch günstig platzieren, bringen wir auch deutlich weniger Kilometer hinter uns.“

Rennen in Übersee stellen wiederum eine ganz andere Herausforderung dar, wird das Material doch mit dem Flugzeug transportiert. Für die diesjährigen Überseerennen (Thailand, Japan, Australien, Malaysia) wurde nach dem GP von Aragon alles in Frachtcontainer verladen. Für die Import- und Exportdokumente („Carnets“ genannt) muss alles mit den richtigen Aufschriften versehen werden, damit es beim Zoll keine Schwierigkeiten gibt. Unterstützt wird Wilson bei dem Papierkram von DHL, jenem Unternehmen, das den Transport für KTM bei GP-Rennen außerhalb Europas regelt. Nachdem die Beförderung per Flugzeug eine sehr kostspielige Angelegenheit ist, unterstützt die Dorna die Teams. „Der teuerste Grand Prix ist Argentinien, da kostet nämlich jedes Kilo neun Euro. Normalerweise bewegen wir uns eher im Rahmen von vier bis fünfeinhalb Euro. Wenn man dann bedenkt, dass wir 15.700 Kilo mitnehmen, ist das wahrlich kein Schnäppchen. Deshalb schießt die Dorna hier Geld zu. Die Top 10 der MotoGPTM-Weltmeisterschaft können 11.000 Kilo kostenlos transportieren, den Rest muss das Team selbst bezahlen. Im Moment liegen wir mit unseren Rennfahrern nicht in den Top 10, deshalb bekommen wir nur 9.000 Gratiskilo von den Organisatoren.“

Um die Kosten möglichst gering zu halten, sieht sich KTM momentan auch nach einer ganz anderen Lösung für die GP-Wochenenden außerhalb Europas um. „Wenn wir mehr Material und Werkzeug hätten, könnten wir es abwechselnd einsetzen. Dann könnten wir alles mit dem Schiff um die Welt befördern, das ist wesentlich günstiger als mit dem Flugzeug. Das Problem ist nur, dass die Sachen dann viel länger unterwegs sind. Deshalb bräuchte man alles mindestens in zweifacher Ausführung. Ein Beispiel: Saisonauftakt. Da schickt man dann ein Set nach Katar, während das andere nach dem Test in Malaysia nach Argentinien geschickt wird. Und das Set aus Katar wird dann weiter nach Austin transportiert. In der Formel 1 kommt diese Taktik zum Einsatz und bei Suzuki auch in der MotoGPTM, aber in der Anschaffung ist das richtig teuer, da man viel mehr Material braucht. Aber langfristig sind die Kosten geringer. Vielleicht steigen wir in Zukunft ja auf dieses System um.“

© Guus van Goethem

Extremfall
Die Rennen in Übersee können gelegentlich ordentlich Kopfzerbrechen bereiten, denn dort hat das Team weniger Kontrolle über die Logistik. „Man bestellt bestimme Dinge und kann dann nur hoffen, dass das entsprechende Unternehmen alles gut hinbekommt. Zum Glück haben wir verlässliche Partner. Wenn ich eine Mail von ihnen bekomme, dass die Fracht unterwegs ist, kommt sie meistens auch an. Andernfalls haben wir ein Problem. Außerhalb Europas haben wir nämlich weniger Möglichkeiten, schnell eine Lösung zu finden. Das hat also das Potenzial, sich ganz schnell in einen Alptraum zu verwandeln.“

Zum Glück hatte Wilson mit solchen Transportproblemen noch nie zu kämpfen. Doch im letzten Jahr ist durchaus klar geworden, wie wichtig die Arbeit der Logistiker im Red Bull KTM MotoGP-Team ist. Nach einem erfolgreichen Test von KTM-Testfahrer Mika Kallio musste die neue Version des RC16-Motors so schnell wie möglich zum nächsten Grand Prix transportiert werden. „In Munderfing hatten wir zwei Exemplare dieser Version übrig, denen musste aber noch der Feinschliff verliehen werden. Sobald das geschehen war, mussten sie sofort weiter nach Jerez, für den ersten europäischen Grand Prix des Jahres. In einem Frachtflugzeug darf man Flüssigkeiten nicht offen transportieren, das kam für uns also eher nicht infrage. Deshalb beschlossen wir, die Motoren per Privatjet nach Jerez zu transportieren. Das war eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen, die die ganze Saison auf den Kopf stellte, denn dieser Motor hat für Fortschritte gesorgt.“

Dass Jeremy Wilson sich in seiner Rolle als Logistic Coordinator bei KTM wohlfühlt, ist offensichtlich. Und das liegt vor allem auch daran, dass er im MotoGPTM-Paddock seinen Traumjob gefunden hat. Das überrascht nicht wirklich, wenn man mehr über Wilson erfährt. „Mein ganzes Leben ist dem Rennfahren gewidmet. Als kleines Kind fuhr ich mit meinem Vater regelmäßig zu den GPs. Das war die Zeit, als unter anderem Barry Sheene aktiv war.“ Später kam er im Road-Racing selbst zum Einsatz. Die Isle of Man und die nordirischen Straßenrennen sind ihm auch nicht fremd. Sogar dieses Jahr hat Wilson noch einige Straßenrennen bestritten. „In meiner Garage habe ich zwei 250er. 2-Taktmotoren natürlich, das sind mir die Liebsten. Etwas Schöneres gibt es für mich nicht. Dass ich über das Rennfahren schließlich in der GP-Welt gelandet bin, ist natürlich ein Wahnsinn. Meinen ersten Job hatte ich im Team von Clive Padgett, mit Jay Vincent als Rennfahrer. Und seitdem haben mich die Motorradrennen nicht mehr losgelassen. Ich bin sehr glücklich darüber, dass ich meinen Lebensunterhalt in der Racing-Welt bestreiten kann. So fühlt sich die Arbeit für mich auch gar nicht wie Arbeit an. Es ist mir viel mehr eine große Freude, hier im Paddock zu sein und so ein bisschen zum Erfolg von KTMs MotoGP-Team beizutragen.“

Bradley Smith (GBR) & Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Motegi (JAP) 2018 © Gold and Goose

Fotos: Guus van Goethem | Gold and Goose