VON AUSGEZEICHNET ZU PERFEKT: WIE AUS DER NEUEN KTM 250 SX-F EIN GRAND-PRIX-SIEGER WURDE

Neue Saison, neue Herausforderung, neues Motorrad, selbes Ergebnis? Wir haben gefragt, wie Red Bull KTM Factory Racing die neue KTM 250 SX-F des Modelljahres 2023 für Siege auf höchstem Niveau trimmen konnte.

Tom Vialle vom Red Bull KTM Factory Racing Team mit seiner neuen KTM 250 SX-F in Runde 11 in Teutschenthal (Deutschland)
PC @RayArcher

Nach zwölf Runden der FIM-Motocross-Weltmeisterschaft 2022 führt Tom Vialle mit der brandneuen KTM 250 SX-F die MX2-Kategorie an. Der Franzose hat sieben Grand Prix gewonnen, die meisten Runden angeführt und in zwölf Runden zehn Podestplatzierungen errungen. Obwohl die Strapazen des Motocross bedeuten, dass schon ein kleiner Unfall für einen Fahrer das Ende der Saison bedeuten kann, ist das Jahr 2022 bisher für das Unternehmen, das kürzlich eine neue Generation von SX-Dirtbikes präsentiert hat, so geschäftig wie erfolgreich.

Grand-Prix-Fahrer trainieren mehrmals pro Woche auf der Strecke. Daraufhin müssen sie freies Training, Zeittraining, einen Qualifikationslauf und zwei 30 Minuten- + 2-Runden-lange Motos am Sonntag absolvieren: Über festen Boden, tiefe, schwierige Gräben, Sand, Schlamm, harte Schläge, große Sprünge und weitere technisch anspruchsvolle Hindernisse hinweg. Vialles Werks-KTM 250 SX-F ist den glänzenden Motorrädern, die bei den autorisierten KTM-Händlern geparkt sind, sehr ähnlich, mit Ausnahme einiger Modifikationen, die dem 21-jährigen helfen, perfekte Hole-Shots hinzulegen und harten Landungen und den Strapazen einer Weltmeisterschaft mit 20 Runden zu widerstehen. Neben der Vorbereitung des KTM 250 SX-F auf den MXGP muss das Team das Motorrad auch an Vialles Fahrstil und Präferenzen anpassen. Angesichts dessen, dass die Saison 2021 erst Mitte November (der späteste Schlusstermin in der Geschichte des Sports) endete und die Saison 2022 Ende Februar begann, hatte KTM nur wenig Zeit für die Entwicklung des Motorrads. Vialles Knöchelverletzung und der tragische Tod seines früheren Teamkollegen Rene Hofer trugen das ihrige zu einer der hektischsten Saisonvorbereitungen, die das Factory-Team in den letzten Jahren durchlaufen musste, bei.

Technical Director Dirk Grübel erklärt, wie das Bike vom Red Bull KTM Factory Racing Team perfekt für Tom abgestimmt wurde
PC @RayArcher

Bisher konnten Vialle und Red Bull KTM überzeugend demonstrieren, wie effizient und leistungsfähig die Änderungen an Fahrwerk, Motor und Ergonomie der brandneuen 2023 KTM 250 SX-F gelungen sind. Um zu erfahren, wie die Crew an der Strecke und in der Werkstatt in Munderfing, Österreich dies geschafft haben, haben wir Toms Rennmechaniker Harry Norton und den Technical Director Dirk Grübel über ihre Methoden ausgefragt…

Erste Schritte

Harry Norton: Wir sehen uns das Standard-Motorrad an, um die Unterschiede zu verstehen und festzustellen, wo das neue Konzept eine Verbesserung darstellt. Dann bringen wir die speziell auf die Grand-Prix-Anforderungen ausgelegten Teile herein. Das erste ist die Factory-Federung und die auf Tom zugeschnittenen Einstellungen. Wir haben technische Partner wie Kite und WP und so weiter, aber wir bauen auf die serienmäßige KTM 250 SX-F auf, weil sie bereits eine so gute Plattform ist. Davon ausgehend müssen wir ermitteln, woran wir arbeiten müssen, weil das neue Serienmotorrad schon so gut oder sogar besser als die alte Rennmaschine sein kann. Da geht es ums Testen und Verstehen.

Harry Norton mit dem Pitboard für Tom Vialle in Indonesien
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Dirk Grübel: An erster Stelle steht Ergonomie und Körperposition, ob das zu den Fahrern passt. Müssen wir direkt die Position der Sitzbank und Fußrasten verändern? Das hängt immer von den Wünschen des jeweiligen Werksfahrers ab. Bei Tom waren das keine großen Arbeiten, aber die größeren, breiteren und anders gebauten Fußrasten hatten schon einen Einfluss darauf, wie er auf dem Bike stand. Das war dennoch einfach zu konfigurieren. Wir haben das Serien-Motorrad nicht vollständig umgekrempelt, viel weniger verändert, als man denken würde, aber Tom hat einen Factory-Motor für den Grand Prix, bei dem wir Feedback zu den Eigenschaften und der Leistung brauchen; dann können wir ihn zusammen mit unseren Partnern wie Akrapovič dahin bringen, wo er hin soll. Natürlich hat jedes neue Motorrad seine Herausforderungen, wenn man anfängt, sich mit seinem vollen Potenzial vertraut zu machen. Bei der Federung kann man versuchen, die Einstellungen des Vorjahrs anzupassen, aber mit einem neuen Konzept wie hier kann man das nicht einfach übernehmen. Die ersten Tests machen wir zu Hause, um die ungefähre Richtung zu bestimmen, und festgelegt wird es am Ende vom Fahrer, wenn er sich wohl fühlt.

Tom wird gebraucht, Rene wird vermisst

HN: Natürlich haben wir ein Inhouse-Testteam, das ist sehr hilfreich, und dann können wir ein Paket gestalten, von dem wir denken, dass es zu Toms Fahrstil passt, wie beispielsweise die Motoreinstellungen. Tom ist schon seit einigen Jahren im Team, wir wissen also, was er will. Wir geben ihm basierend auf unseren Ergebnissen einige Optionen, die Nacharbeit und Richtung ist seine Entscheidung. Dieses Jahr war schwierig, weil Tom sich verletzt hat, daher konnte er erst sehr spät in der Vorsaison auf das Motorrad steigen. Wir begannen die Arbeit mit Rene Hofer, er machte viel Vorarbeit und Tests, um eine Entwicklungsrichtung zu finden. Als Tom auf das Motorrad stieg, nur vier Wochen vor Runde 1, hatten wir weniger Zeit, als wir wollten, aber das war einfach eine Konsequenz seiner Genesungszeit und der sehr kurzen Vorsaison dieses Jahr.

Rene Hofers Motorrad im Zelt in Matterley Basin, UK – in liebevoller Erinnerung an #711
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DG: Rene machte die ersten Einstellungen mit WP Suspension, um das System für den Grand Prix bereit zu machen. Das ist sein Erbe, die Richtung kommt von ihm. Tom war nur bei 80 %, als die Saison begann, und je mehr Rennen wir fahren, je mehr verschiedene Strecken, wenn die Geschwindigkeit der Fahrer steigt, dann lernen wir mehr… wir wissen, dass wir noch einiges zu tun haben. Wir haben noch immer einen Entwicklungsprozess, weil die anderen Marken auch keinen Winterschlaf gehalten haben, aber wir fahren auf den Sieg zu.

HN: Rene hat viele der grundlegenden Arbeiten geleistet und das Motorrad zu einem sehr guten Punkt für MX2 gebracht, als Tom also auf das Bike stieg, war es schon auf sehr hohem Niveau. Die meisten Bauteile für 2023 unterscheiden sich komplett von dem GP-Bike 2021, wir mussten also grundlegende Elemente wie Negativfederweg, Federraten von unseren alten Einstellungen und so weiter ermitteln.

Tom Vialle scheint zufrieden zu sein mit seiner neuen KTM 250 SX-F – in der laufenden Saison gelang es ihm in fast allen Rennen eine Trophäe zu holen
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Sofort alles im Griff

HN: Jedes neue Motorrad hat einen eigenen Lernprozess, aber wir konnten schnell zu einem guten, wettbewerbsfähigen Punkt kommen. Wir konnten gute Referenzeinstellungen für verschiedene Strecken finden. Mit der Ergonomie und dem „Fahrpaket“ des Serienmotorrads sind die Leute wirklich zufrieden. Es hat einfach viel Grip, und der Motor hat sehr gute Leistungseigenschaften. Wir müssen für jede Strecke die perfekte Einstellung finden, und das braucht nur Zeit und Kilometer.

DG: Im Rennsport kommen wir von einer sehr guten Generation an KTM SX-F-Motorrädern, die über Jahre entwickelt wurden, manchmal mit nur sehr kleinen Änderungen. Da ist das Motorrad 2023 eine größere Aufgabe, weil das Konzept anders ist und das Verhalten des Bikes sich verändert hat. Einige Faktoren waren problematisch: Einiges Material hat sich etwas verspätet, unsere Saison war ungewöhnlich lang, und Tom hatte sich verletzt. Er konnte uns also nicht helfen, und Renes Fahrstil unterschied sich stark von Toms. Und dann kamen schon die ersten Rennen. Bei dem alten Motorrad wussten wir genau, was funktionierte, unter allen Bedingungen. Mit diesem Modell müssen wir unter den härtesten Bedingungen lernen… aber das ist ja auch einer der Gründe, warum wir Rennsport betreiben. Bisher läuft das sehr gut. Tom ist sehr zufrieden, und die Ergebnisse zeigen das.

Tom Vialle und sein Mechaniker Harry Norton bei den letzten Vorbereitungen zum Beginn der Saison
PC @RayArcher

„Aus Mechanikersicht ist das Modell 2023 sehr anders: Der Ausbau des Luftfilters ohne Werkzeug, der Tank, die Position der Kraftstoffpumpe und einige andere Bauteile sind besser und zuverlässiger. Das ist ein sehr anderes Konzept, und nur sehr wenige Bauteile wurden aus dem Motorrad des Jahres 2021 übernommen.“

Harry Norton