Von der Königin der Dakar und des Erzbergrodeos: „Ich werde zurückkommen und das Rennen beenden!“

Ende Mai war der Iron Giant nicht in bester Stimmung. An einem frostigen und stürmischen Tag versammelten sich 1800 Fahrer an seinem Fuß. Unter ihnen warteten auch 34 furchtlose Frauen in schlammigen Stiefeln auf den Iron Road-Prolog. Auch die wohl zäheste Frau im Motorsport fühlte sich plötzlich wieder wie ein Rookie. Als eine Veteranin der Rallye Dakar kennt sie den Reiz des Unbekannten nur zu gut, aber nichts ist vergleichbar mit dem Erzbergrodeo.

Für Laia Sanz war das härteste, eintägige Hard-Enduro-Rennen der Welt nicht nur ein neues Rennen, sondern auch eine neue Disziplin, auf die sie sich einstellen musste. Außerhalb ihrer gewohnten Umgebung stellte sie sich mit einem KTM-2-Takter einem völlig neuen Abenteuer.

Laia Sanz (ESP) Erzbergrodeo (AUT) 2019 © Future7Media

Mission Erzbergrodeo
Wir sitzen im Schatten des Iron Giant und sprechen über den Wahnsinn, der sie in absehbarer Zeit erwartet. „Was habe ich mir eigentlich gedacht! Ich hätte letztes Jahr teilnehmen sollen. Da war es sonnig und die Strecke war kürzer. Für eine Hard-Enduro-Anfängerin ist das schon eine Herausforderung“, sagte Sanz und ich dachte: „Das ist, was du immer machst. Du liebst die Herausforderung und schreckst vor nichts zurück. Du siehst der Gefahr direkt ins Auge. Und verstehst es auch, zu verlieren. Und deshalb gewinnst du immer.“

Und genau so verlief Laia Sanz‘ erstes Erzbergrodeo.

Die Zielsetzung war klar: Als erste Frau in der 25-jährigen Geschichte des berüchigten Red Bull Hare Scramble ins Ziel zu kommen. Nach CP 20 war die Zeit abgelaufen. Mit anderen Worten: Sie kam zwar nicht ins Ziel, schaffte es aber unter die 30 besten Teilnehmer.

Wenn man bedenkt, dass 500 gestartet waren, aber nur 16 die Ziellinie erreichten, erübrigt sich jeder weitere Kommentar. Ohnehin ist die beste Erfahrung, die Laia in der Vorbereitung und beim Rennen gemacht hat, die, dass Hard Enduro zu viel Spaß macht, um das Rennen in das Reich der Erinnerungen zu verbannen. Die 18-malige Trials- und Enduro-Weltmeisterin und erfolgreichste Frau in der Cross-Country-Szene plant bereits ihre Rückkehr zum Erzbergrodeo.

Laia Sanz (ESP) KTM 300 EXC TPI Erzbergrodeo (AUT) 2019 © Future7Media

30 Tage vor dem Sturm
Erst einen Monat vor dem Start zum härtesten Hard-Enduro-Rennen der Welt fühlte sie sich fit genug, um mit dem Hard-Enduro-Training zu beginnen. Zuerst rief sie ihre guten Freunde aus Trials-Tagen an: Alfredo Gomez und Pol Tarres, die das Red Bull Hare Scramble 2019 auf den Plätzen 4 und 9 beendeten: „Jungs, ich brauche eure Hilfe. Ich habe mich für das Erzbergrodeo eingeschrieben.“ Die beiden zeigten sich sofort bereit, sie bei dieser neuen Herausforderung zu unterstützen. Sie warfen sie ins kalte Wasser und Laia musste schnell schwimmen lernen. Außerdem fuhr sie zum ersten Mal eine speziell für das Erzbergrodeo vorbereitete 2-Takt KTM 300 EXC TPI.

„Ich wollte mit den Besten trainieren. Nur so kannst du an deine Grenzen gehen. Die ersten beiden Trainingstage waren ein Albtraum. Die Jungs fuhren unfassbar steile Anstiege hinauf und ich habe mich ernsthaft gefragt, auf was ich mich da eingelassen hatte. Aber ich hatte keine andere Wahl. Ich musste es schaffen oder den Erzberg abschreiben. Anfangs rollte ich die Hügel hinunter, aber am Ende hatte ich auch den Dreh bei den Anstiegen raus. Und es fühlte sich großartig an! Das Team hatte ein fantastisches Bike für mich aufgebaut. Die Reifen haben umwerfend viel Grip, die Federung ist perfekt und es ist unglaublich, wozu das Bike fähig ist. Ich lernte an jedem Tag etwas Neues dazu. Mein Selbstvertrauen wuchs mit jedem Tag. Gleichzeitig war mir aber klar, dass ich körperlich nicht rechtzeitig fit genug sein würde“, gab sie direkt vor dem Iron Road-Prolog zu. „Ich wünschte mir, gleich nach der Dakar mit den Vorbereitungen begonnen zu haben. Unglücklicherweise hatte ich mir in der letzten Sonderprüfung eine Verletzung zugezogen, die sich als ernster als ursprünglich angenommen herausstellte. Mir war am Anfang meiner Vorbereitungen klar, dass die Möglichkeit bestand, dass mir vor der Ziellinie die Puste ausgehen würde“, fügte sie hinzu.

Laia Sanz (ESP) KTM 300 EXC TPI Erzbergrodeo (AUT) 2019 © Future7Media

Komplizen
Jaume Betriu, ihr Partner und einer der besten Enduro- und Motocross-Fahrer der Welt, unterstützte sie auf weiten Teilen ihres Wegs. „Ich kann mich glücklich schätzen. Niemand kennt mich besser als Jaume. Er hilft mir immer weiter, bringt mich aber auch an meine Grenzen. Wenn du auch emotional verbunden bist, ist es gleichzeitig hart und lustig. Ich kann mir gut vorstellen, ihm zu sagen, wohin er sich seine guten Ratschläge stecken kann, wenn ich völlig erschöpft im Carl‘s Dinner feststecke – der schwierigsten Sektion der Strecke, wo Hilfe erlaubt ist. Obwohl der ganze Prozess ziemlich stressig war, war es eine großartige Erfahrung, gemeinsam zu trainieren. Nach diesem Rennen wird er mir entweder einen Heiratsantrag machen oder mich für immer verlassen“, scherzte Laia.

Laia Sanz (ESP) Erzbergrodeo (AUT) 2019 © Future7Media

Dinner mit Karl
Heute kennen wir den Ausgang des Rennens. Laia Sanz legte beim ersten Durchlauf des Iron Road-Prologs eine beeindruckende Zeit hin und fuhr am nächsten Tag noch besser. Nach 1800 Fahrern war die 13,5 km lange Strecke allerdings nicht mehr im Idealzustand. Dank einer Wild Card, welche die Veranstalter den zwei besten weiblichen Startern gaben, nahm sie das Rennen am Sonntag von der ersten Startreihe in Angriff. Sie hatte einen guten Start und konnte dem Stau am Fuß der Three Kings-Sektion ausweichen. Nachdem sie den ersten Checkpoint passiert hatte, war sie zwischen den Rängen 16 und 18 platziert. Zu diesem Zeitpunkt schien ihr Ziel, als erste Frau das Rennen zu beenden, noch in Reichweite. Danach verpasste ein unvorhersehbarer Faktor ihrem Rennen eine Wende. Kurz vor Carl‘s Dinner machte sie einen Fehler und rutschte einen schneebedeckten Abhang hinunter. Sie verwendete all ihre Energie darauf, wieder hinauf zu kommen, während ihr Bike leicht beschädigt war.

Als Laia den gefürchtetsten Teil des Rennens – das so genannte Carl‘s Dinner – erreichte, war sie völlig erschöpft. „Um zu verstehen, wie schwierig Carl‘s Dinner ist, musst man es selbst erlebt haben. Das Problem ist die Länge dieses Abschnitts. Du schlägst eine psychologische Schlacht“, erklärte sie. Der geniale Chef des Erzbergrodeos, Karl Katoch, bevorzugt Slow Food. Natürlich waren Jaume und Alberto Cano – Laias Mechaniker – immer in ihrer Nähe, um sie zu unterstützen. „Normalerweise sieht Alberto nur zu. Wenn ich keine Probleme mit dem Bike habe, kann er während des Rennens nicht viel machen. Dieses Mal machte er seine Sache richtig gut. Noch nie zuvor habe ich ihn so geschäftig gesehen“, lacht sie.

Laia Sanz (ESP) KTM 300 EXC TPI Erzbergrodeo (AUT) 2019 © Future7Media

Hard Enduro macht so viel Spaß
Als wir sie fragen, ob sie zurückkommen oder sogar ein paar andere Hard-Enduro-Rennen bestreiten will, sagt Laia: „Wenn ihr mich das am Sonntag nach dem Rennen gefragt hättet, hätte ich ‚auf keinen Fall‘ gesagt. Heute ist die Antwort ‚ja, bestimmt‘. Tatsächlich werde ich all das sogar vermissen. Das Erzbergrodeo hat etwas Magisches an sich. Die Atmosphäre ist unverwechselbar. Und, was am Wichtigsten ist, Hard Enduro macht einfach Spaß. Und ich hatte bereits bei der Vorbereitung so viel Spaß. Zugegeben: Am Anfang hasste ich die Sache, wurde aber schnell süchtig. Ich werde also wiederkommen – mit mehr Erfahrung und besser vorbereitet. Das einzige Problem ist, dass das Rennen von Jahr zu Jahr länger und schwieriger wird. Karl ist zwar ein netter Kerl, aber ein bisschen verrückt.“

Das Fazit: Laia und Jaume sind immer noch zusammen und ihr Ziel ist immer noch das gleiche: Die erste Frau zu werden, die das unmöglich erscheinende Erzbergrodeo beendet. Eines ist aber klar: Karl wird sich nie ändern.

Die Herausforderung geht weiter …

Laia Sanz (ESP) KTM 300 EXC TPI Erzbergrodeo (AUT) 2019 © Future7Media

Fotos:  Future7Media