Wheelie Academy mit Rok Bagoroš: Hoch das Vorderrad

Alle, die schon einmal eine Motorrad-Stunt-Show gesehen haben, fühlen danach den Drang, das auch zu versuchen! Obwohl es einfach aussieht, sind die Stunts und Tricks, die Profis wie Rok Bagoroš auftischen, aber extrem schwierig zu meistern. Aber das wirst du schnell genug herausfinden, wenn du an der Wheelie Academy des slowenischen Stunt-Fahrers teilnimmst.

Jahrelang mühte ich mich damit ab, für das Motorrad-Magazin, für das ich als Testfahrer gearbeitet habe, einen akzeptablen Wheelie hinzulegen. Am Ende schaffte ich es nie, das Vorderrad hoch genug zu bekommen – zumindest nicht auf eine Art und Weise, bei der ich mich wohlgefühlt hätte. Auf Kommando das Vorderrad zu heben, brachte mich regelmäßig zur Verzweiflung. Besonders, wenn ich mir danach die Fotos ansah. Meine Wheelies waren wirklich nicht berauschend, obwohl ich dachte, dass mein Vorderrad extrem hoch oben war. Falsch gedacht. Jedes Mal war es nur ein paar Zentimeter vom Boden entfernt. Zu wissen, was die ganze Sache so schwierig macht, führt zu zusätzlicher Frustration; ich habe einfach zu viel Angst, mich zu überschlagen. Auch die Tatsache, dass ich sicher noch nie auch nur in die Nähe des berüchtigten ‚Point of no return‘ kam, ist bizarr.

Oft zog ich in Erwägung, mir ein billiges Bike zu kaufen, um damit Wheelies zu trainieren, setzte diesen Plan aber nie in die Tat um. Nach und nach gab ich es auf, einen kontrollierten Wheelie hinzulegen. Bis ich von Rok Bagoroš’ Wheelie Academy hörte. Seit letztem Jahr teilt der slowenische Freestyle-Stunt-Fahrer sein Wheelie-Wissen mit seinen Schülern – natürlich ohne dabei reihenweise Bikes zu verschrotten.

© Jowin Boerboom

Berge von schmutzigem Geschirr
Ich kannte Rok Bagoroš als die YouTube-Stunt-Sensation, zu der er sich über Jahre entwickelt hatte, indem er vor laufender Kamera die wildesten Tricks mit seinen Bikes aufführte. Ihm dabei zuzusehen, wie er scheinbar mühelos das Bike auf dem Vorder- oder Hinterrad herumdreht (für ihn ist das kein Unterschied), ist eine surreale Erfahrung. Wie bei allen Meistern ihres Faches lohnt sich die investierte Zeit und Arbeit aber zehnfach – obwohl von beidem natürlich enorme Mengen erforderlich sind. Bagoroš wuchs in Radenci, einem an der österreichischen Grenze gelegenen, winzigen slowenischen Dorf mit gerade einmal 2.000 Einwohnern auf. Diese bescheidenen Anfänge hielten Bagoroš aber nicht davon ab, seine Träume in die Tat umzusetzen. Er verkaufte Zeitungen und wusch in einem örtlichen Restaurant bergeweise schmutziges Geschirr; und mit 17 hatte Bagoroš genug Geld zusammengespart, um sich einen Roller zu kaufen. Nicht, um damit zur Schule oder zur Arbeit zu fahren, sondern um Stunts zu trainieren! „Ich war von Andreas Gustafsson und seinen Stunt-Videos wie verzaubert. Er legte Stunts auf Rollern hin und ich wollte es ihm gleichtun.“ Rok erwies sich als Naturtalent und trainierte viele Stunden lang, um seine Stunts zu verfeinern und immer schwierigere Tricks zu erlernen. „Später war ich von Chris Pfeiffers Stunts fasziniert. Pfeiffer war der erste Stunt-Fahrer, der einen Vertrag mit einem Hersteller bekam.“ Schnell wurde es Roks Mission, ein professioneller Freestyle-Stunt-Fahrer zu werden. Er arbeitete so hart, wie er nur konnte, und fuhr sich mit seinen Tricks in die Herzen der Fans. Im Jahr 2011 dann der Durchbruch: KTM bot dem Slowenen an, die orangefarbenen Bikes als Profi zu bewegen. „Mein Traum war wahr geworden. Obwohl ich gehofft hatte, eines Tages vom Stunt-Fahren leben zu können, hatte ich nicht damit gerechnet, dass es so schnell gehen würde.“

© Jowin Boerboom

Runde um Runde
Acht Jahre später stellen sich Rok Bagoroš und sein Team einer neuen Herausforderung. Rok und seine Jungs werden die Welt natürlich auch weiterhin mit den Stunt-Shows und Videos erfreuen, für die wir sie lieben, haben aber nebenbei ihre eigene Wheelie Academy ins Leben gerufen. In kleinen Gruppen vermittelt Rok Motorradfahrern, wie man kontrollierte Wheelies hinlegt. „Nicht mehr als acht Fahrer gleichzeitig“, sagt er kategorisch. „Große Gruppen interessieren mich nicht; ich möchte sicherstellen, dass jeder meiner Schüler genug Zeit bekommt, um zu lernen. Das wäre in einer großen Gruppe einfach nicht möglich.“ Der 4-stündige Kurs beginnt mit einer einfach anmutenden Übung: Runden fahren. Rok drückt mir die Schlüssel für eine brandneue KTM 390 DUKE in die Hand und erklärt mir, was ich tun soll, während wir uns zu einem abgesteckten Kurs begeben. „Wir werden jetzt ganz enge Kreise fahren, damit du dich daran gewöhnst, die hintere Bremse zu benutzen.“ Meine Führerscheinprüfung liegt schon einige Zeit zurück und so bin ich gespannt, wie ich einen Handling-Kurs wie diesen meistern werde.

© Jowin Boerboom

Nach nur 3 Runden hält Rok mich an. „Keine Angst, du hast nichts falsch gemacht. Mir ist aber aufgefallen, dass du den Kupplungshebel mit allen 4 Fingern ziehst. Damit kommen wir heute nicht weiter. Wir wollen den Lenker gut festhalten können. Deshalb solltest du nicht mehr als deinen Zeige- und Mittelfinger benutzen, um die Kupplung zu bedienen. Wir haben den Bowdenzug genau so eingestellt, dass der Druckpunkt der Kupplung perfekt ist und mit nur 2 Fingern kontrolliert werden kann.“ Als ich so Runde um Runde fahre, muss ich öfters die Richtung wechseln, damit mir nicht schwindelig wird. Schnell schaffe ich es, im Kreis zu bleiben. Dann werde ich aber wieder von meinem slowenischen Lehrmeister gestoppt. „Nicht schlecht“, sagt Rok mit einem Lächeln. „Jetzt werden wir aber versuchen, den Kreis noch enger zu machen. Konzentriere dich weiter auf die hintere Bremse.“ Wieder im Kreis fahre ich mal im Uhrzeigersinn, dann wieder entgegen dem Uhrzeigersinn. Manchmal muss ich kurz einen Fuß auf den Boden stellen, Rok aber vergibt mir diese kleinen Schnitzer. Zeit für eine Pause. Dieses Mal lassen wir die KTM 390 DUKE fürs Erste. „Ist dir aufgefallen, dass du viel engere Kreise fahren kannst, wenn du die hintere Bremse verwendest? Diese Tatsache wird oft übersehen, spielt aber eine wichtige Rolle dabei, einen Wheelie zu kontrollieren.“

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Höher, Baby!
Nach einer kurzen Verschnaufpause erläutert Rok die Anatomie eines Wheelies. „Zuerst lernen wir, wie man Wheelies kontrolliert. Grundsätzlich schafft es jeder, das Vorderrad mit dem Gas alleine zu heben. Dafür sind wir aber nicht hier. Hier geht es um Balance – ihr sollt schließlich wissen, was ihr tut.“ Kein Wunder, dass die Wheelie Academy eine kleine Flotte von KTM 390 DUKEs einsetzt. „Wie du sehen wirst, braucht man nicht viel Power, um Wheelies zu machen. Ein leichtes Bike wie die 390er ist perfekt zum Anfangen. Ihr drehmomentstarker 1-Zylinder wird dir helfen, das Vorderrad vom Boden zu bekommen.“

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Um sicherzugehen, dass die Gruppe die Aufmerksamkeit bekommt, die sie benötigt, hat Rok Radislav Mihajlov – einen Stunt-Fahrer-Kollegen aus Serbien – als zweiten Lehrer verpflichtet. Er erklärt mir, worum es bei unserer ersten Wheelie-Session geht. „Der größte Vorteil unserer Methode ist, dass sich unsere Schüler beim Wheelie-Training nicht überschlagen können. Sobald du den Kipppunkt überschreitest, fangen die Gummimatten dich ab. Wenn du die Gummimatten berührst (und das wirst du), lass die Finger von der Kupplung und verwende stattdessen die hintere Bremse. So kommt das Vorderrad ganz schnell wieder runter.“

© Jowin Boerboom

Bevor er mich auf den Weg schickt, erlaubt mir Radislav, mich an die Konstruktion mit 5 Rädern zu gewöhnen. Die KTM, mit der ich heute Wheelies trainieren werde, trägt die merkwürdigsten Stützräder, die ich jemals gesehen habe. Diese halten das Bike aufrecht. Ein von diesen Rädern getragener Wagen enthält die Gummimatten, die dich abfangen, sowie ein zusätzliches Hinterrad. Ich versuche, mich an das komische 5-Rad-Gerät, das sich wie ein Motorrad mit Seitenwagen fährt, zu gewöhnen und fahre die Wheelie-Strecke auf und ab.

© Jowin Boerboom

Wenig später ist es Zeit, das Gelernte in die Praxis umzusetzen. Ohne irgendwelche Bedenken lasse ich die Kupplung kommen, gebe etwas Gas und schnell hebt sich das Vorderrad meines Untersatzes, nur um sofort wieder runterzukommen. Nach vier weiteren lächerlichen Versuchen hält mich Radislav an. Ich befürchte schon, dass er mir auf die Finger hauen wird. „Du schlägst dich nicht schlecht. Versuche aber, mehr Höhe zu bekommen; hebe das Vorderrad höher. Mach dir keine Sorgen, versuch es einfach!“ Seine ermunternden Worte sollten auf mich eigentlich eine beruhigende Wirkung haben, dem ist aber nicht so. Eine Art mentale Barriere hält mich davon ab, das Vorderrad richtig anzuheben, und am Ende dieser Sitzung habe ich nur einen Wheelie hingelegt, den man als mäßig hoch bezeichnen könnte. Die meisten Schüler sind zu dieser Zeit in einer ähnlichen Situation. Nur wenige schaffen hohe Wheelies oder berühren die Gummimatten, die sie abfangen. Keiner von uns kann behaupten, irgendetwas unter Kontrolle zu haben. Aber wenigstens konnten wir erleben, wie es ist, ein Motorrad in die Vertikale zu zwingen.

© Jowin Boerboom

Als ich zu meiner zweiten Wheelie-Trainings-Sitzung aufbreche, konzentriere ich mich auf Höhe. Glücklicherweise ist Radislav nicht der Einzige, dem meine Fortschritte auffallen. Auch ich selbst fühle, wie ich immer besser werde. Rok meldet sich ab und zu mit zusätzlichen Tipps zu Wort. „Wenn du die Kupplung einfach ‚schnalzen‘ lässt, musst du gar nicht mehr viel Gas geben; wenn du dein Gewicht nach hinten verlagerst, sollte dir das dabei helfen, das Vorderrad nach oben zu bekommen. Die meisten Schüler neigen dazu, die Front buchstäblich hochreißen zu wollen, ohne zu ahnen, dass sie damit ihr Gewicht nach vorne verlagern.“

© Jowin Boerboom

Überhaupt kein Problem
Am Ende meiner zweiten Sitzung macht sich so etwas wie Selbstvertrauen breit. Rok Bagoroš scheint mit meinen Fortschritten zufriedener zu sein als ich selbst. „Bald hast du den Dreh raus; gar nicht schlecht. Du scheinst die einzelnen Handlungen gut unter Kontrolle zu haben. Zeit, all diese Handlungen zu kombinieren.“ Stundenlang Wheelies zu üben macht ganz schön müde, das kann ich euch sagen. Deshalb freue ich mich, eine kleine Pause einlegen zu können und mit den anderen Schülern der Wheelie Academy zu plaudern. Was diese kleinen KTM 390 DUKEs leisten, ist beeindruckend. Sie werden stundenlang geprügelt, ohne auch nur einmal aus dem Takt zu kommen. Ab und zu verlangen sie nach Kraftstoff, machen aber den ganzen Tag lang nicht schlapp. „Am Anfang lassen die Schüler das Vorderrad schon ganz schön heftig herunterkommen, was der Vorderradfederung natürlich alles abverlangt. Bis jetzt stecken die KTM 390 DUKEs diese Bestrafung aber mit links weg“, so Tomaž Bratusa, Rok Bagoroš’ Mechaniker. „Die Schüler glauben, dass wir die Kupplungslamellen und Teile der Vorderradfederung pausenlos tauschen, das ist aber wirklich nicht der Fall. Wir warten die Bikes regelmäßig, aber das war‘s dann auch schon. Natürlich checken wir die Bikes durch, bevor wir sie am Ende des Tages wieder verladen. So stellen wir sicher, dass die KTM 390 DUKEs für die nächste Gruppe wieder in Schuss sind.“

Im Laufe der dritten Sitzung habe ich den Dreh raus; langsam stellt sich ein Gefühl der Kontrolle ein, obwohl es mir immer noch schwerfällt, einen perfekten Wheelie aus dem Hut zu zaubern.

Manchmal verlagere ich zu wenig Gewicht nach hinten, dann gebe ich wieder zu viel Gas. Trotzdem kann ich nicht anders, als zu grinsen, als ich das Bike einem anderen Schüler übergebe. Rok reckt beide Daumen in die Höhe und ich nehme auf einem der bequemen Stühle im KTM-Zelt Platz. In erster Linie habe ich gelernt, dass man nicht mal einfach so lernt, wie man schöne Wheelies hinlegt. In der Academy gilt es, eine harte Nuss zu knacken. So viele Aspekte müssen perfekt zusammenspielen und das erfordert viel Arbeit. Schneller als erwartet sitze ich wieder auf der 390er. Der Tag neigt sich dem Ende zu und ich werfe noch einmal alles in die Waagschale. Ich will einen perfekt kontrollierten Wheelie hinlegen – so, wie Rok es mir den ganzen Tag beibringen wollte. Je mehr ich mich anstrenge, desto schwieriger wird es. Je mehr ich mich auf die Technik konzentriere, desto frustrierter werde ich. Ich will es einfach zu sehr. Nach der fünften Sitzung kann ich mich einfach nicht mehr konzentrieren und auch die anderen Schüler sind erschöpft. Es hat alles so einfach gewirkt: Bezahlen, auf die Wheelie-Maschine klettern und fertig ist der perfekte Wheelie. Eine der wichtigsten Lektionen, die ich von Rok Bagoroš’ Wheelie Academy mitnehme, ist, dass es nicht so einfach ist. Übung macht den Meister – das ist bei Wheelies nicht anders. Nach 4 Stunden Training schickt uns der slowenische Freestyle-Stunt-Fahrer nach Hause, aber nicht, ohne uns zu ein paar abschließenden Sätzen zu versammeln. „Zu lernen, wie man Wheelies macht, ist wie schwimmen zu lernen“, so Rok. „Schwimmen lernt man nicht an einem Vor- oder Nachmittag. Wenn ihr wirklich schöne Wheelies auf den Asphalt zaubern wollt, müsst ihr viele Stunden üben. Ihr habt die Grundlagen gut gemeistert. Jetzt müsst ihr euch ein abgesperrtes Areal suchen, und auf diesen Grundlagen aufbauen – ihr braucht einfach mehr Praxis. Aber denkt daran: Mit dem heutigen Kurs habt ihr euch viel Geld erspart – Geld, das ihr in Reparaturen eures Bikes gesteckt hättet, nachdem es euch ein paar Mal abgeworfen hat. Außerdem habt ihr euch ein paar gebrochene Knochen erspart. Mit unserer Methode habt ihr euch an den Tipppunkt angenähert und diesen überschritten – ohne euer Motorrad völlig zu zerstören. Auf Basis dessen, was ich heute gesehen habe, bin ich sicher, dass jeder von euch irgendwann einen perfekten Wheelie schaffen kann. Um perfekt zu werden, müsst ihr nur Zeit und Energie investieren.“

© Jowin Boerboom

Willst auch du Rok Bagoroš’ Wheelie Academy besuchen? Kein Problem! Die nächsten Kurse finden vom 25. bis zum 27. Juni in Murska Sobota in Slowenien statt. Auf Roks Webseite erfährst du alles, was du wissen musst. Und vergiss nicht, Roks YouTube-Kanal einen Besuch abzustatten. Darauf findest du jede Menge … sagen wir mal: Inspiration!

Fotos: Jowin Boerboom