Wie geht es eigentlich in einer MotoGP-Box zu?

Dank großartiger Fernsehbilder und weitreichender Informationen sind die internen Abläufe eines MotoGP™-Teams lange nicht mehr so sagenumwoben oder geheim, wie sie es früher waren. Wir verbrachten sogar eine ganze Rennsitzung in den Boxen von Pol Espargaró und Bradley Smith auf der Rennstrecke von Losail in Katar. Was wir dabei erlebt haben …

Losail (QAT) 2017

Sich zwischen den Koffern und sauber gestapelten Kisten im hinteren Teil der Garage zu bewegen, kommt einer ‚Backstage‘-Tour gleich. Wir befinden uns auf der dunklen Rennstrecke von Losail und fiebern dem ersten Lauf der MotoGP™-Saison 2017 – der ersten Station in einem weiteren, aufregenden Kapitel der Renngeschichte KTMs – entgegen. Obwohl das Werksteam beim letzten Rennen im November 2016 in Valencia bereits eine Vorstellung als ‚Wild-Card-Team‘ geben durfte, schlägt nun – nach mehr als einem Jahr des Testens und Vorbereitens mit den Stars Espargaró und Smith an Bord – die Stunde der Wahrheit. Zum ersten Mal müssen sich Mensch und Maschine auf der Strecke beweisen und die beste Abstimmung finden.

Unser Weg führt uns vorbei an einem breiten Ständer mit Michelin-Rennreifen. Das blinkende Licht an den Reifenwärmern verrät uns, dass die Gummis bereits auf Temperatur sind. Der Rest der beengten Box beherbergt außerdem viele ordentlich verstaute Ersatzteile für die KTM RC16. Als es anfängt, in der Garage hektisch zu werden, tauchen die Teile die Atmosphäre in helles Orange, während man Werkzeuge scheppern und das Echo der brüllenden MotoGP™-Maschinen, die die Zielgerade runterschießen, hört.

Vorbei an einem langen Tisch, an dem fünf Mitarbeiter auf ihre Laptops starren und Daten auswerten, kommen wir in die Mitte der Box, wo wir versuchen, den mit Headsets ausgerüsteten Mechanikern und Technikern aus dem Weg zu gehen, die unentwegt um das Motorrad herumwuseln. Diese kleine und intime Welt besteht aus blitzsauberen Schränken, Werkzeugschubladen und Arbeitsplätzen.

KTM-Box Losail (QAT) 2017

Zu unserer Rechten stehen die mit der Startnummer 44 beklebten Motorräder des Katalanen Espargaró, der seinen Technikern in seiner kleinen Ecke lautstark Rückmeldung gibt. Auf der linken Seite steht eines der #38-Bikes von Smith. Das andere wird gerade auf der Rennstrecke von Losail malträtiert.

Trotz des Getöses der Renn-Motorräder, die mit 340 km/h die Zielgerade runterdonnern oder laut gurgelnd in die Boxengasse rollen, ist es in der hell beleuchteten Box beinahe still. Mikrophone erlauben es den Mechanikern, die einen dynamischen Teil des fast 40-köpfigen Teams ausmachen, sich mit nahezu unheimlicher Effizienz zu unterhalten. Ein TV-Monitor zu unserer Linken zeigt Live-Bilder von der Rennstrecke. Ein weiterer rechts von uns informiert über Rundenzeiten und Intervalle. Im Zentrum hängt eine Batterie von LEDs, welche alle möglichen Daten zu den KTMs, ihren Rivalen und den Streckenbedingungen anzeigen.

Wir sind nicht alleine. Außer uns blicken noch Kameraleute, Spezialisten von WP, Michelin-Personal, Vertreter von Motorex und die Manager der Fahrer interessiert auf die Bildschirme.

Mechaniker KTM RC16 Losail (QAT) 2017

Plötzlich kommt Leben in Smiths Hälfte der Box. Zwei Mechaniker laufen heraus. Einer weist den Fahrer an, wo er anhalten soll, der andere ergreift die KTM RC16, während der Brite bremst, anhält, den Motor ausmacht und absteigt. Das Bike wird rückwärts in die Garage geschoben und aufgebockt. Wir sind nur wenige Meter vom Heck des Motorrads entfernt und fühlen die Hitze und Energie, die von ihm ausgeht. Außerdem steigt uns ein seltsamer Geruch in die Nase – eine Mischung aus Reifenabrieb und verbranntem Popcorn.

Während ein verschwitzter Smith auf dem Weg zu seinem Sitzplatz aus unserem Blickfeld verschwindet und weiteres Feedback zum ersten Einsatz des Motorrads unter Rennbedingungen abgibt, werten Techniker Daten aus. Das KTM-Team kämpft hart um schnellere Rundenzeiten, legt dabei aber die Arbeitsmoral und Organisation einer erfahrenen und gut geölten Crew an den Tag und macht so gar nicht den Eindruck eines ‚Rookies‘.

Espargaró erhebt sich, geht zu seinem ‚Schlachtross‘ und schließt mit einem hörbaren Schnappen sein Visier. Etwa neun Leute auf seiner Seite der Box machen ihm Platz. Unter ohrenbetäubendem Lärm wird die KTM RC16 mittels eines Startgeräts angeworfen und sodann abgesenkt, worauf der Katalane ins Dunkel der Nacht verschwindet.

Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Losail (QAT) 2017

Smith bleibt nicht mehr als fünf Minuten sitzen, während die Uhr runterzählt und seine Reifen gewechselt werden. Als das Motorrad bereit für seinen nächsten Einsatz gemacht wird, müssen wir uns die Ohren zuhalten, damit der Screamer-Motor uns nicht das Trommelfell zerreißt. Während das freie Training verstreicht, wird uns klar, wie wenig Zeit die MotoGP™-Teams zur Verfügung haben, um ihre Abstimmung für das Rennen zwei Tage später zu finden. In diesen alles entscheidenden Momenten, wenn nur mehr die Stoppuhr zählt, machen sich die Anstrengungen, Entbehrungen, Theorien und das Training bezahlt.

Nachdem die karierte Flagge geschwenkt wurde, ist Espargaró der erste, der in die Box zurückkehrt. Seine #1-Maschine wird auf eine Bank und ein großer Ventilator zum Kühlen unter die Verkleidung geschoben. Das Bike wird zerlegt, um eventuelle Änderungen für die zweite Sitzung am nächsten Tag umzusetzen. Pol nimmt seinen Helm herunter und spricht mit seinen Crewmitgliedern, darunter der aufmerksame Sportdirektor Pit Beirer, und das Garagentor wird halb heruntergezogen.

Das Team wird sich nun an die verbleibenden Aufgaben des Abends machen – die erste von vielen Herausforderungen für KTM im härtesten und prestigeträchtigsten Sport auf zwei Rädern in einer Ära, die garantiert in die Mattighofner Geschichtsbücher eingehen wird.

Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Losail (QAT) 2017

Fotos: KTM