Wie hat es Herlings geschafft, diese unglaubliche Saison 2018 hinzulegen?

17 von 19 möglichen Siegen und sein erster Titel in der MXGP machten 2018 zu einem fantastischen Jahr für Jeffrey Herlings. Wie hat er das nur angestellt? Wir haben Team Manager Dirk Grübel um ein paar Antworten gebeten.

Dirk Gruebel (GER) Valkenswaard (NED) 2018 © Ray Archer

Langsam legt sich der Staub des letzten MXGP-Laufs 2018 und neben der Erkenntnis, dass er Weltmeister ist (und Red Bull KTM mit zwei Fahrern in diesem Jahrzehnt zum siebten Mal die Lorbeeren einheimsen konnte), könnte Jeffrey Herlings schon bald klar werden, was für eine monumentale Leistung er dieses Jahr vollbracht hat.

Bei verschiedensten Bedingungen und auf unterschiedlichstem Terrain hat es der 24-jährige Niederländer regelmäßig geschafft, seine Rivalen völlig verblassen zu lassen. Die Rekorde, die er dabei aufgestellt hat, machen das nur noch deutlicher. Um bei jedem Lauf auf dem Podium zu stehen, 17 Grand Prix-Siege von 19 möglichen zu erringen, 33 von 38 Läufen und 14 Mal beide zu gewinnen und im Laufe des Jahres nur 17 Punkte (die 50, die er aufgrund seiner Verletzung beim Grand Prix der Lombardei verlor, nicht mitgerechnet) abzugeben, hat Herlings laut eigener Aussage „wie ein Mönch“ gelebt.

„Ich bin mir nicht sicher, ob er dieses Jahr motivierter war als zuvor, das war er eigentlich immer“, so KTM Group VP of Offroad Robert Jonas. „Er begann das Jahr in bestechender Form. Ich glaube, dass Jeffrey noch immer ‚wächst‘ und sein ganzes Potential noch nicht erreicht hat.“

Jeffrey Herlings (NED) Red Bud (USA) 2018 © Ray Archer

Hinter Herlings stand dabei sein loyales Team sowie die Mannschaft von Red Bull KTM, die ihm geholfen und sein unglaubliches Talent seit seinem GP-Debüt als 15-Jähriger im Jahr 2010 gefördert haben. Besonders bei den ersten paar Rennen der Serie feilte das Team an der KTM 450 SX-F mit der Nummer 84 und nach dem Grand Prix von Portugal – dem fünften der Saison 2018 – hatte Herlings bereits das Gesamtpaket aus Pace, Harmonie mit dem Bike, Zuverlässigkeit, Selbstvertrauen und blitzschnellen Starts geschnürt. Außerdem entschied er regelmäßig das teaminterne Duell mit Titelverteidiger und Teamkollegen Tony Cairoli für sich.

Um noch besser zu verstehen, wie Herlings nach seinem großen Erfolg beim ersten Rennen in Argentinien aufgeblüht ist, sich nach seinem Trainingsunfall und einem gebrochenen Schlüsselbein schnell und bestimmt wieder zurückgemeldet und danach Rekord um Rekord geholt hat, haben wir seinen deutschen Team Manager Dirk Grübel zum Interview gebeten …

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Imola (ITA) 2018 © Ray Archer

Ok, was hat Jeffrey im Jahr 2018 anders gemacht als alle anderen? Seine Rivalen und die anderen Teams sprechen nicht mehr davon, in der MXGP zu gewinnen, sondern nur noch davon, „Herlings einzuholen“ …
„Jeffrey hat 2017 einige große Fehler gemacht, als er seine erste Saison in der MXGP bestritt. Vielleicht war seine Einstellung nicht die richtige, weil alle anderen Jungs, die vor ihm von der MX2 aufgestiegen waren, sofort Weltmeister wurden [Romain Febvre 2015 und Tim Gajser 2016] und es für ihn eine ‚sichere Sache‘ war und er Weltmeister werden ‚musste‘. Außerdem gab es Fahrer, die ihm das Leben schwer machten, weil er sie zuvor in der MX2 deutlich dominiert hatte. Bei den Internationals vor dem Saisonstart 2017 wurden also alte Rechnungen beglichen und manche Rivalen schnitten ihm den Weg ab und fassten ihn meiner Meinung nach etwas härter an … das war aber zu erwarten gewesen, da er schließlich der Neuling war und es Fahrer gab, die ihm zeigen wollten, wo es langgeht. So sah es zumindest aus. Ganz bestimmt war er körperlich nicht so gut beisammen wie in diesem Jahr und er brauchte eine Weile, seine eigene Linie und seinen Weg zu finden. Er hat dazugelernt. Seine Starts waren ein großes Problem und daran haben wir mit ihm gearbeitet. Heute ist er dabei fast unschlagbar, besonders unter der Woche. Ich bezweifle, dass es jemanden gibt, der das härter als er trainiert, und er hat sich stark verbessert. Heute ist er nach dem Start zumindest unter den ersten Fünf, meistens sogar unter den besten Zwei. Ein paar Kurven später liegt er schon vorne und legt von der ersten bis zur letzten Runde einen Speed vor, den kaum ein anderer Fahrer mitgehen kann. Tony versucht alles und fährt auch richtig gut, aber selbst er schafft es meist nicht, mit Jeffrey mitzuhalten. Wenn sie miteinander kämpfen, liegen sie fast immer dreißig oder vierzig Sekunden vor dem Drittplatzierten, was in diesem Sport nicht normal ist.“

Er scheint auf jeder Strecke gleich schnell zu sein …
„Ja, das spielt für ihn keine Rolle mehr. In der MX2 war er im Sand der Schnellste, da waren aber auch noch Tommy Searle oder Dylan Ferrandis, die ihn auf hartem Untergrund manchmal abhängen konnten. In der MXGP passiert das eigentlich nicht mehr. So etwas bekommt man nicht alle Tage zu sehen: Er ist auf jedem Untergrund der Schnellste, sogar wenn es sich um eine neue Strecke handelt. Das ist schon beeindruckend.“

Egal, welche FIM-Weltmeisterschaft man sich ansieht: So eine Erfolgsbilanz können nicht viele Motorradrennfahrer aufweisen …
„Letztes Jahr haben wir ihm gesagt, dass er versuchen solle, es ‚unter die besten Fünf oder Drei zu schaffen‘, um Weltmeister zu werden. Bei ihm kam aber scheinbar an: ‚Wir wollen, dass du jedes Wochenende gewinnst!‘ Das setzte sich bis 2018 fort und er war etwas enttäuscht, wenn jemand anderes gewann. Gleichzeitig war es aber gut, dass diese Idee der perfekten Saison aus seinem Kopf verschwand, denn mit so einem Druck wird keiner fertig. Dann hatte er einen guten Start in die Saison, brach sich aber das Schlüsselbein und musste einen Lauf auslassen. Nach dieser Enttäuschung so stark zurückzukommen und gleich wieder zu gewinnen – damit hatte niemand gerechnet.“

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Assen (NED) 2018 © Ray Archer

Hast du irgendwann einmal gedacht, dass er zu weit ging?
„Ja, in Indonesien [Lauf zwölf von zwanzig]. Bei seinem ersten Rennen nach dem Unfall fuhr er meiner Meinung nach mit zu viel Risiko. Ok, er hatte den Sieg vor Augen, hätte aber ebenso gut einen hohen Preis dafür zahlen können. Er ging das Risiko ein und Tony machte es ihm nach. Tony verletzte sich am Finger und am Ende fuhr Jeffrey den Sieg ein. Meiner Meinung nach wäre es nicht notwendig gewesen, sich selbst gleich nach der Operation so unter Druck zu setzen.“

Kannst du uns ungefähr sagen, wie lange Jeffrey jede Woche auf dem Bike trainiert? Legen die anderen Fahrer ähnliche Strecken zurück?
„Nein. Glenn [Coldenhoff] versucht seit dem letzten Jahr, mit ihm mitzuhalten. Das ist aber verdammt schwer. Normalerweise fährt er zwischen den Rennen dreimal die Woche. Wenn am Samstag oder Sonntag kein Rennen auf dem Kalender steht, schiebt er noch eine Session ein.“

Jeffrey hat von dem Preis gesprochen, den er für 2018 gezahlt hat. Besteht die Möglichkeit eines Burnouts?
„Schwierig zu sagen. Das kann man nicht voraussehen. Momentan ist er der Schnellste auf der Strecke, aber solche Dinge können sich über Nacht ändern. Der menschliche Körper ist kompliziert und kann einem einen Strich durch die Rechnung machen. Er trainiert wirklich hart, aber das haben andere Athleten vor ihm auch schon getan und auch die haben in ihrer Disziplin gute Resultate erzielt. Es ist wirklich schwierig zu sagen.“

Jeffrey Herlings (NED) KTM 450 SX-F Afyon (TUR) 2018 © Ray Archer

Von außen macht er den Eindruck des perfekten Motocross-Fahrers und Schwächen sind kaum zu erkennen. Wie ist er eigentlich persönlich? Versprüht er da auch diese Aura der Stärke?
„Meiner Meinung nach umgibt er sich mit einer Mauer. Wenn du so jung schon so erfolgreich bist, musst du dich schließlich auch selbst schützen. Obwohl er jetzt älter ist, ist diese Mauer noch immer da. Er schätzt seine Privatsphäre und eine gewisse Distanz zu anderen Menschen. Er legt eine ‚Rüstung‘ an und das ist seine Entscheidung. Eines ist sicher – er ist nicht der gesprächigste oder offenste Fahrer im Fahrerlager, wenn du ihn aber besser kennenlernst, ist er ein richtig netter Bursche.“

Hat das Team vor Portugal einen großen Schritt gemacht und die Lösung für seine Starts gefunden?
„Das war ein kontinuierlicher Prozess. Wir haben den ganzen Frühling an den Starts gearbeitet und sie wurden besser und besser. Außerdem bekamen wir ein paar technische Teile, die ihm halfen, die Drehzahl konstant zu halten. Dann fand er noch seine eigene Vorgehensweise, die er letztes Jahr noch nicht hatte. Das war der Schlüssel zu seinen guten Starts und heute wiederholt er das Woche für Woche.“

Wird es ihm möglich sein, diese Saison nächstes Jahr zu wiederholen?
„Ich glaube, dass wir nächstes Jahr den gleichen Jeffrey sehen werden. Er ist immer noch hungrig nach dem Sieg. Manche Jungs haben dieses ‚große Ziel‘ und treten dann einen Schritt zurück oder fallen in dieses [Motivations-]Loch. Ich denke aber nicht, dass ihm das passieren wird. Er möchte einen weiteren Titel holen und ich glaube, dass wir auch 2019 unglaubliche Leistungen von ihm erleben werden.“

Jeffrey Herlings (NED) Red Bud (USA) 2018 © Ray Archer

Fotos: Ray Archer