Die richtigen Schultern: ein Treffen mit Chase Sexton

Er ist der amtierende AMA Supercross-Champion und die frische Hoffnung von Red Bull KTM für die Mamoth Amerika Rennserie. Wie hat sich Chase Sexton an das Leben in Orange gewöhnt?

Die Supercross Saison 2024 hat begonnen, und Chase Sexton ist READY TO RACE.
PC: Simon Cudby

Der 24-jährige aktuelle Champion der größten Rennsportserie in Nordamerika kann als Inbegriff eines Athleten bezeichnet werden: Mit seinen strahlend blauen Augen, dem makellosen Teint und seiner kräftigen, durchtrainierten Figur sieht er ausgesprochen gut aus. Er ist aufgeschlossen, lacht gern, und auf seiner KTM 450 SX-F FACTORY EDITION ist er ein Wunder an Kraft, Selbstsicherheit und Geschwindigkeit Ungeachtet dieser Attribute ist Chase Sexton noch immer dabei, sich an das Leben als Teil des prominenten Red Bull KTM Factory Racing Teams und damit an den rappelvollen Kalender des amerikanischen Dirtbike-Rennsports zu gewöhnen, der nicht weniger als 17 Runden AMA Supercross, 11 Termine AMA Pro Motocross und 3 Playoffs im SuperMotocross (SMX) umfasst.

Supercross dominiert das Umfeld und die Gedankenwelt am südkalifornischen Sitz des Red Bull KTM Teams in Murrieta. 2023 lockte die Rennserie landesweit 850.000 Fans in die Stadien; 23 Millionen Stunden verbrachten Zuschauer bei den Sendern NBC, USA Network und Peacock vor ihren Bildschirmen. Supercross hat den Glanz, das Unterhaltungsformat, die breitere Zuschauermacht und die finanzielle Durchschlagskraft, um trotz seiner starren amerikanischen Basis eine der lohnendsten und lukrativsten Wettbewerbe der Welt zu sein.

Supercross hat alle Komponenten die es braucht, um Stadien in ganz Amerika zu füllen.
PC: Simon Cudby

Sexton gewann 2023 die 450 SX und errang damit den Sieg in der Königsklasse, nachdem er zuvor bereits zwei Titel in der 250 SX East Coast-Meisterschaft gewonnen hatte – alle auf dem Bike eines einzigen Herstellers. Aufgrund seines Stils und seines Potenzials haben ihn die Verantwortlichen von KTM schon lange auf dem Radar: als potenziellen Nachfolger von Fahrern wie Ryan Dungey und Cooper Webb und damit als nächsten großen Star für die Marke KTM, die vor fast einem Jahrzehnt in diese Sportart einstieg.

Mit Aaron Plessinger (der in dieser Saison bereits ein Rennen gewonnen hat) und dem ehemaligen zweifachen MX2-Weltmeister Tom Vialle (in der 250SX East) konnte Red Bull KTM Factory Racing seine Erfolgsserie auch 2024 fortsetzen. Dazu kommen der Rookie Julien Beaumer und natürlich der prominente Chase Sexton, der all den Glamour und die Aufmerksamkeit einer Nr. 1 mitbringt.

Die Red Bull KTM Factory Rider Chase Sexton und Aaron Plessinger auf ihren KTM 450 SX-F FACTORY EDITIONs.
PC: Simon Cudby

Ein neues Team, ein neues Motorrad, ein neuer Arbeitgeber – der Fahrer aus Illinois musste sich erheblich umstellen und auch an eine neue Arbeitskultur anpassen. Sehr bald nach der Unterzeichnung seines Vertrags mit KTM reiste Chase nach Österreich. Dort konnte er sich ein Bild von der engen Zusammenarbeit zwischen der Motorsportabteilung und den Managementverantwortlichen machen, die seinen Vertrag mit ausgearbeitet haben. Außerdem lernte er einige Mitarbeitende aus der Forschung und Entwicklung sowie aus der Produktion kennen, die an der Herstellung seines Racing Bikes beteiligt waren.

„Das Erste, was mir auffiel, war die allgemein große Begeisterung für den Rennsport“, erzählt er uns auf seinem Klappstuhl im engen Fahrerlager des AMA Supercross-Teams, dessen Ausstattung zwei Lkws in Beschlag nimmt. „Ich bin so lange für ein Wettbewerberteam gefahren und war nie in einem ihrer Headquarters. In der Regel umfassen Herstellerbetriebe [nur] Produktion und Logistik. Bei KTM dagegen habe ich viele verschiedene Bereiche gesehen, die den Rennsport leben. Natürlich ging es auch hier hauptsächlich um die Produktion, aber die immense Bedeutung des Rennsports kommt klar hervor. Das fand ich sehr cool, und auch die direkten Gespräche mit den Leuten, die die Bikes entwickeln waren wirklich cool. Leute wie Pit [Beirer] und Robert [Jonas, VP Motorsport Offroad] kannte ich noch nicht so lange, aber ich habe mich sofort wohlgefühlt.“

Chase konnte sich selbst von der Qualität im KTM-Werk in Mattighofen überzeugen und unterzeichnete bei der Gelegenheit noch gleich sein #1 Nummernschild.
PC: Sebas Romero

Spitzensportler sind oft vielschichtige Charaktere, die in ihrem konsequenten Streben nach Spitzenleistungen ihren eigenen körperlichen und geistigen Zustand sehr genau überwachen. Das bedeutet auch, dass sie recht sture „Gewohnheitstiere“ sein können, denen es schwerfällt, sich an Veränderungen anzupassen. Deshalb ist eine schnelle Kommunikation mit ihrem Umfeld unabdingbar, wenn Änderungen am Training, an der Herangehensweise oder an der Ausrüstung erforderlich werden. Durch seinen Besuch hat Chase Sexton nun direkte Verbindungen in die oberen Etagen von KTM geknüpft – eine für ihn neue, aber auch beruhigende Erfahrung. „Ich habe Roger [De Coster, Director of Racing SX/MX] und Ian [Harrison, Red Bull KTM Teammanager] hier, und es passiert nur sehr selten, dass sie nicht alles im Griff haben. Aber zu wissen, dass man sich auch mit jemandem unterhalten kann, der die Entscheidungen trifft, ist wirklich super. Man hat einfach das Gefühl, dass die gesamte Crew und das Unternehmen hinter einem stehen“, sagt er. „Ihre Begeisterung ist überall spürbar und das ist auch, was mich zu KTM hingezogen hat. Sie wissen, was man braucht, um zu gewinnen. Davon ein Teil zu sein, ist extrem cool.“

Auch wenn er schon Medaillen gewonnen hat, ist Sexton in der 450 SX und im (anspruchs)vollen SMX-Kalender noch ein recht junger Akteur. Bei KTM weiß man mit ihm ein Juwel in den eigenen Reihen. Der Prozess des beiderseitigen „Feinschliffs“ ist in vollem Gange. „Ein entscheidender Vorteil von Chase ist meines Erachtens, dass er auf der Strecke jede Menge Speed hat“, sagt Ian Harrison, angesprochen auf Vergleiche mit früheren KTM-Fahrern. “Einen Typen wie ihn müssen wir langsamer machen, nicht beschleunigen.“

“Einen Typen wie ihn müssen wir langsamer machen, nicht beschleunigen.“ – Ian Harrison, Red Bull KTM Team Manager
PC: Simon Cudby

„Aufgrund seiner Fahrweise braucht es für sein Bike ein sehr spezielles Set-up. Das herauszufinden, hat einige Zeit gedauert“, fügt der Südafrikaner hinzu.

Während Chase viele Blicke auf sich zieht mit der Magie die er auf der Strecke entfalten kann, schätzen ihn aber auch viele aufgrund seiner Offenheit in Gesprächen mit den Medien und Fans – selbst dann, wenn Ergebnisse oder Rennverläufe möglicherweise nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Dieser liebenswerte Charakterzug wird im Umgang mit ihm schnell deutlich. Fragen beantwortet er ehrlich: „Ich denke, man kann natürlich zurück blicken und stolz sein auf die eigenen Erfolge. Doch ich blicke lieber nach vorn und ich möchte zukünftig noch sehr viel mehr erreichen, bevor ich meine Karriere beende“, reflektiert Chase. „Verrückt, wenn man bedenkt, dass ich erst 24 bin und das schon mein siebtes Jahr als Pro ist. Es ist echt verrückt. Es kommt mir vor, als hätte ich gestern erst angefangen. Ich fühle mich jung und bin in guter physischer Form. Ich habe viel zu geben.“

Abgesehen von seinem Talent auf dem Bike, strahlt Chase Sexton auch mit seiner herzlichen Persönlichkeit.
PC: Simon Cudby

„Für mich ist es am wichtigsten, dass ich mir selbst treu bleibe. Ich möchte so bleiben wie ich war, als ich als Rookie angefangen habe“, ergänzt er. „Das ist etwas, das ich den Leuten zeigen möchte, und generell einen positiven Einfluss haben.“

Was an Sexton auch auffällt, ist sein Körperbau. Er ist nicht übermäßig groß, doch sein Körper ist von unzähligen Stunden im Fitnessstudio und auf dem Motorrad geprägt. Diese beachtlichen Schultern tragen viel. „Zu den besonderen Kennzeichen von Chase gehört für mich auch seine pure Kraft“, sagt Harrison. „Er ist definitiv einer der stärksten Jungs, mit denen ich je zu tun hatte. Bemerkenswert ist auch, dass er sowohl im Motocross als auch im Supercross brilliert und auch den Schlamm nicht fürchten muss: gute Voraussetzungen für einen Rennfahrer.“

Ein weiterer Teil von Sextons Erfolgsrezept ist seine sportliche Statur.
PC: Simone Cudby

Körperliche Vorbereitung ist offensichtlich eine Facette, auf die Sexton sehr viel Wert legt. Seine neue Verbindung zu Red Bull bringt in dieser Hinsicht weitere Vorteile mit sich. „Red Bull engagiert sich sehr, um dir als Sportler zu helfen“, sagt er mit einem Strahlen in den Augen. „Ich stehe total auf Fitness und alles, was damit zusammenhängt. Das Red Bull Performance Center in L. A., all die Tests, die dort durchgeführt werden, das ist wirklich cool. Hightech pur. Sie haben alle Teile des Puzzles, um dir zu helfen. [Mir] geht es um mehr als nur mein Gehalt. Sie möchten dich wirklich dabei unterstützen, ein besserer Athlet zu werden. Meiner Meinung nach spielt Red Bull ganz oben mit, du musst nur auf die Namen der Athleten schauen, die sie unter Vertrag haben. Das ist eine sehr sorgfältig ausgewählte Gruppe. Zu dieser Gruppe zu gehören, ist etwas ganz Besonderes. Das Performance Centre würde ich gern regelmäßig besuchen und mit diesen Tests arbeiten.“

Chase Sexton hat definitiv alles, was es braucht, um zu gewinnen, und er wird sicher alles tun, um erfolgreich zu sein.
PC: Simon Cudby

Ein Besuch im Legenden-Bereich der KTM Motohall während seines Aufenthalts in Mattighofen verdeutlichte die Tradition und Geschichte von KTM im Rennsport: Sie reicht bis in die Mitte der 1970er Jahre und zu den ersten der über 340 Weltmeistertitel von KTM zurück. Wie den meisten Champions traut man auch ihm sofort zu, diese Last zu tragen. „Ich habe hohe Erwartungen, und die möchte ich auch erfüllen“ sagt er. „Das ist für mich kein Stress, sondern motiviert mich. Ich möchte unbedingt da rausgehen und das tun, was ich kann. Wenn ich diese KTM-Champions vor mir sehe, alle diese Sieger, dann wird mir klar, dass auch ich alles habe, was ich brauche. Jetzt muss ich nur noch meinen Job machen.“