Mitten ins Spektakel: Supercross-Trip in die USA

Supercross in Amerika ist schon etwas anderes. Nach etlichen Jahren in der Motocross-WM war es für mich als interessierter Beobachter eine neue Erfahrung, dem Red Bull KTM Team auf der anderen Seite des Ozeans bei zwei Rennen sowie dazwischen über die Schulter zu schauen.

 

Ich komme eben noch rechtzeitig am Angel-Stadium in Anaheim im Osten von Los Angeles an, nachdem der ursprüngliche Flug von London aus wegen starkem Schneefall gecancelt werden musste. Ich drücke dem Burschen am Parkplatz also 20 Dollar Gebühr für mein Rental-car in die Hand und sehe zu, dass ich ins imposante Stadion-Infield komme, in dem sonst Baseball gespielt wird. Eben werden die ersten Qualifikationsläufe gestartet.

Bei Red Bull KTM dreht alles gelassen busy im orangen Bereich. Das Programm für den Samstag hat es wie üblich in sich. Mit Trainingsläufen und mehreren Quali-Durchgängen, dazu kommen Gespräche mit Pressevertretern und Autogrammstunden für die Fans (obwohl es diese Pflichten auch am Freitag schon zu absolvieren galt) und schließlich die Hauptevents mit Rennen über 15 und  20 Runden. Um dieses Programm ohne Schluckauf bewältigen zu können, ist ein Team notwendig, bei dem jeder genau weiss, wann er wann zu tun hat.

Bei Red Bull KTM funktioniert alles wie geschmiert. Fahrer, Mechaniker, Techniker und Teamführung sind eingespielt, die Truppe in dem großen Arbeitszelt neben dem Truck  funktioniert wie eine gut geölte Maschinerie. Die Atmosphäre lässt sich mit geschäftig konzentriert am ehesten umschreiben. Das eine oder andere Gesicht kennt man sogar von den Rennen auf europäischem Boden.

In der AMA Supercross-Serie stehen 17 Rennevents in 18 Wochen auf dem Programm. Das lässt sich ohne halbwegs straffe Organisation nicht bewältigen, schon gar nicht auf höchstem Level. Das Tageswerk am Rennsamstag beginnt Nachmittags um 13 Uhr und zieht sich durch bis Nachts um 22 Uhr. Wenn alles vorbei ist, wird umgehend mit dem Abbau und Einpacken begonnen, damit der Rückweg in das Team-Hauptquartier in Murietta in Angriff genommen werden kann.

Das nächste Supercross-Event in Oakland steht eine Woche später auf dem Programm und vorher sind noch Testfahrten zu absolvieren. Stillstand ist Rückstand, den sich niemand leisten will. Ken Roczen liefert sich dieses Jahr mit seiner SX-F KTM ein hartes Gefecht mit Titelverteidiger Eli Tomac um die Führung in der 250er Meisterschaft. Auch für Ryan Dungey, dessen KTM 450 SX-F neu mit einem luftgefederten WP-Stoßdämpfer bestückt ist, ist nach einigen Podestplätzen bei der Titelverteidigung der großen Klasse noch alles drin.

 

Die hauseigene Teststrecke von Red Bull KTM liegt im Süden Kaliforniens, gleich neben dem Freeway 15, nördlich des Lake Elsinore. Während Dungey und Roczen hier fleißig Runden drehen, um die Abstimmungsarbeiten weiter voran zu treiben und nebenbei bestmöglich in Schwung zu bleiben, arbeitet ein Teil des Teams in der Werkstatt, um die Einsatz-Bikes für das nächste Supercross-Event zu präparieren. Auch der riesige Peterbilt-Truck verlangt  ständig in Schuss gehalten zu werden, auch wenn der Trip nach Oakland diesmal nur ein vergleichsweise kurzer 400 km-Hopser ist.

Ich darf beim Training mit dabei sein, halte mich aber weitestgehend zurück. Ich will nicht stören. In einer Pause zwischen seinen Trainingsrunden kommt Dungey zu mir und fragt, ob wir ein geplantes Video-Interview nicht gleich unter Dach und Fach bringen wollen. Das ist mir natürlich recht. Nach der nächsten Trainingseinheit knappst er noch Zeit für ein Fotoshooting für Red Bull ab.

Danach warte ich auf Ken, der weiter unablässig seine Runden dreht. Als er schließlich fertig ist, suchen wir wie vorher verabredet einen Schrottplatz in der Nähe auf, um ein paar Fotos in etwas anderem Ambiente in den Kasten zu kriegen. Als das erledigt ist (die Bilder werden in Kürze hier im Blog veröffentlicht, also ruhig mal zwischendurch reinklicken) fahren wir zusammen mit dem MX2-Weltmeister von 2011 in ein Restaurant etwas essen.

Anschließend geht es für mich zurück zum KTM-Testtrack, auf dem es nun ruhig geworden ist. Nur Marvin Musquin ist noch da, weil wir uns verabredet haben, noch ein paar spezielle Fotoaufnahmen zu schiessen. Dabei geht es im wesentlichen um Dirt und Sand, um das Spiel mit Triples und Whoops, bei dem Marvin immer besser zurecht kommt und alles im Griff bzw. in der Hand hat – Ihr werdet es sehen, hier im Blog, weil natürlich diese Bilder ebenfalls in Kürze eingestellt werden. Franzose Musquin startet wie Roczen in der 250er SX-Klasse. Dieses Jahr wurde das Jahresprogramm aufgeteilt. Roczen started bei der Light-SX-Championship im Westen des Landes, bei der später folgenden East-Championship im Osten der USA wird dann Musquin für Red Bull KTM angreifen.

Unser Trip endet aber nicht im Staub der KTM-Piste, auch nicht in der Dunkelheit, die uns schon bald wieder einholt. Am nächsten Tag geht es ins Team-Hauptquartier in Murietta. Wir finden Roger De Coster nicht am Schreibtisch vor, sondern an einer Bearbeitungsmaschine. Der Teamchef fertigt in aller Seelenruhe ein neues Spezialwerkzeug an, mit dessen Hilfe die Mechaniker die Radwechsel leichter bewerkstelligen werden. Dieser »hands-on-approach« ist typisch für den Belgier. Roger ist eben ein Mann der Praxis und mit seiner immensen Erfahrung als Fahrer wie Betreuer nicht umsonst eine Legende des Motocross-Universums.

Der Workshop bei Red Bull KTM in Amerika ist ungefähr so wie erwartet: sauber, großzügig, perfekt ausgestattet, tadellos organisiert. Für alle Teile gibt es bestimmte Plätze zur Aufbewahrung während der Servicearbeiten. Dazu liegt dieses gewisse Etwas in der Luft. Hier wird sorgfältig und gewissenhaft gearbeitet. Was hier passiert ist wichtig. Alle haben diesen inneren Trieb, der im Wettkampf engagierte Teams auszeichnet. Dazu gesellt sich eine lässige, entspannt freundliche Atmosphäre aller Leute untereinander, die eher nicht selbstverständlich ist, das Tagwerk und den Stress aber sicher leichter verkraften lässt.

Am nächsten Wochenende treffen wir in Oakland im Fahrerlager erneut auf die orange-blaue Truppe. Truckdriver Don taut immer mehr auf und hilft uns schließlich, als wir wieder einmal mit ein paar speziellen Fotowünschen neben dem mächtigen Auflieger aufkreuzen. Wie in Anaheim umschwirren auch in Oakland massenweise Fans das KTM-Camp, das Interesse der Zuschauer an Fahrern, Bikes und dem Treiben des Teams ist beeindruckend groß. Das Stadium in Oakland bietet 55.000 Sitzplätze, etwa 70 % davon sind belegt, als es nach den Trainingssitzungen und Quali-Läufen am Abend dann mit der Supercross-Action in die entscheidene Phase geht. Zuvor gab es ein Showprogramm mit Fahrer-Präsentationen, Feuerwerk und Lichterspielen  –  rundum actiongeladen und optisch extrem spektakulär.

Supercross ist Show und Dynamik pur, alles ist im Stadium bestens einzusehen. Ein Rennen folgt auf´s andere, die Action mit gewaltigen Sprüngen ist ergreifend, atemberaubend, laut, spannend und spektakulär. Jedenfalls ist leicht zu verstehen, dass dieser Sport in Amerika so viele Freunde hat und vor beindruckenden Zuschauerzahlen über die Bühne geht. Auch bei den Fernsehübertragungen stimmen die Einschaltquoten. Dass nur die Stadien in den Riesenmetropolen New York, Boston, Chicago oder Washington noch nicht erobert wurden, hängt wohl mit exorbitanten Mietkosten der Mega-Arenen zusammen.

Anyway – um uns herum scheint das Publikum, das wie im Kino nebenbei Pizzas, Hot-Dogs und Nachos einschiebt und mit Coke aus Oversize-Bechern nachspült, überaus zufrieden mit der gebotenen Action. Im 250er Rennen werden wir mit Augenzeuge, wie Ken Roczen nach irrer Aufholjad an Cole Seeley vorbei zieht und gewinnt. Der Jubel des deutschen KTM-Piloten über den ersten Saisonsieg ist ein ebenso passender wie denkwürdiger Abschluss unseres kurzen Amerika-Trips zur AMA Supercross-Serie.