Ein perfektes Wochenende für Luca Grünwald

Schnell hat sich KTM an der Spitze der extrem aufregenden World Supersport 300-Meisterschaft etabliert. Einer der Piloten auf der schnellen KTM RC 390 R ist Luca Grünwald. Wir begleiteten den Fahrer aus dem Freudenberg KTM WorldSSP Team im Rahmen des zweiten Rennens der Weltmeisterschaft um den Kurs von Assen.

Luca Grünwald (GER) KTM RC 390 R Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Mittwoch, 20:41 Uhr
Der 23-jährige Luca Grünwald erreicht in einem Fiat Ducato, den er sich von seinem Vater geborgt hat, die Strecke der Dutch TT in Assen und parkt den Bus zwischen den Wohnmobilen. Neun Stunden dauerte die Anreise des World Supersport 300-Fahrers aus Deutschland, der in den Niederlanden erst sein zweites Rennen in dieser Meisterschaft bestreiten wird. „Letztes Jahr fuhr ich in der IDM-Meisterschaft auf einem Superbike, es war aber unklar, ob es in diesem Jahr überhaupt eine deutsche Meisterschaft geben würde. Als mir ein Startplatz in der World Supersport 300 angeboten wurde, hatte ich zuerst leichte Zweifel, ging das Risiko aber dann doch ein. Das Niveau in dieser Klasse ist extrem hoch und wenn du hier zeigen kannst, was du draufhast, hast du gute Chancen, in eine der höheren Klassen der WorldSBK-Serien aufzusteigen.“ Im Laufe der Jahre trat Grünwald bereits in vielen Serien an. Obwohl er erst 23 Jahre alt ist, fährt er schon eine Weile Rennen. Mit dem Sieg des ADAC Junior Cups im Jahr 2007 machte er zum ersten Mal von sich reden. Danach reihte er Erfolg an Erfolg, indem er 2010 und 2012 die deutsche 125-ccm-Meisterschaft beziehungsweise die deutsche Moto3-Meisterschaft gewann. Auf internationalem Parkett konnte er sich erstmals im Jahr 2011 in einem Rennen zur 125-ccm-Weltmeisterschaft beweisen. „Es ist etwas verrückt, aber heute – sieben Jahre später – bin ich wieder da, wo für mich alles begann; da, wo ich meinen ersten Grand Prix bestritt. Meine Premiere in Assen hatte ich mit einer KTM 125 GP-Maschine des Freudenberg Racing Teams.“

Donnerstag, 15:32 Uhr
Bis jetzt ging es für den dreimaligen deutschen Meister ruhig zu. Der erste Einsatz für die World Supersport 300-Fahrer ist erst am späten Donnerstagnachmittag, für die technische Abnahme der Fahrausrüstung. Das Freudenberg Racing Team stellt die KTM RC 390 R zur Verfügung, aber um die Abnahme seiner Rennausrüstung muss sich Grünwald selbst kümmern. Schnell holt er seine Rennkombi und den Sturzhelm aus dem Team-Bus und stellt sich ans Ende der Schlange. Um Zeit totzuschlagen, unterhält er sich mit jemandem, den er noch aus seiner Zeit im Kiefer Racing-Team kennt. Der Niederländer Peter Bom war Grünwalds Chefmechaniker, als er in der GP-Weltmeisterschaft fuhr. „Das war natürlich ein absoluter Traum, aber leider ging er zu schnell vorbei. Das Bike war nicht gerade einfach zu fahren und es war besonders schwer, ein gutes Gefühl für das Vorderrad zu bekommen. Ich konnte keine wirklich guten Ergebnisse erzielen und auf GP-Niveau bedeutet das, dass du schnell wieder weg vom Fenster bist. Du bekommst nur eine Chance zu zeigen, wie gut du bist, und der Druck steigt schnell an. Es ist natürlich frustrierend, wenn du nach einem Jahr fallengelassen wirst, trotzdem bin ich froh, auf Grand Prix-Niveau gefahren zu sein, obwohl es nur eine Saison war. Man lernt extrem viel dabei.“

Luca Grünwald (GER) Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Gerade als der Waldkraiburger die Abnahme erfolgreich besteht, wird die Strecke für Begehungen geöffnet. Zusammen mit seinem Teamkollegen Max Kappler absolviert er ein paar Runden der Assen TT-Strecke mit dem Fahrrad, um sich auf die kommenden Tage einzustimmen. „Ich glaube, dass der Kampf um den Sieg hier sehr spannend werden könnte, da das Streckendesign von Assen das Überholen sehr schwierig macht. Es wird verdammt knapp werden und ich hoffe, am Ende ganz vorne zu sein“, so Grünwald.

Luca Grünwald (GER) Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Freitag, 11:35 Uhr
Luca Grünwald muss noch zwanzig Minuten auf seinen ersten Assen-Einsatz – das erste 30-minütige freie Training – auf der KTM RC 390 R warten. Er hat bereits seinen Rennanzug angelegt und studiert die Karte der Strecke. „Ich schließe meine Augen und stelle mir die Strecke vor meinem geistigen Auge vor. Damit kann ich an Sektionen arbeiten, in denen ich noch schneller werden muss. In der World Supersport 300 bekommen wir nicht viel Streckenzeit, man muss also gleich von Anfang an voll konzentriert sein. Wenn du keine gute Startposition herausfahren kannst, hast du im Rennen schlechte Karten“, so der Deutsche. Da die Fahrer dieser Klasse nur wenig Zeit auf der Strecke zur Verfügung haben, können Probleme schnell ausufern. „Wenn du etwa im FP2 Probleme bekommst, die Setup-Arbeit nötig machen, musst du bis Samstag warten, um das neue Setup auszuprobieren. Und am Samstag hast du nur die 15-minütige Superpole-Session, um es zu perfektionieren. Und da die Superpole eine derart entscheidende Sitzung ist, sind Abstimmungsänderungen immer mit einem Risiko verbunden.“ Wenig Streckenzeit bedeutet auch, dass die Fahrer nicht viel Zeit haben, um neue Strecken kennenzulernen. „Drei der acht Strecken im Kalender – Donington Park, Magny-Cours und Portimão nämlich – kenne ich gar nicht. Dort werde ich viel Zeit benötigen, um die richtige Linie zu finden. Ein Unfall oder ein technisches Problem wäre für das restliche Wochenende eine Katastrophe.“

Mit Rang 19 im ersten freien Training ist Grünwald alles andere als zufrieden. Seine Zeit von 1:54,767 ist erdrückende 2,695 Sekunden langsamer als die des schnellsten Koen Meuffels, der zwei Wochen zuvor in Aragon mit dem ersten Sieg für KTM in der World Supersport 300-Serie Geschichte geschrieben hatte.

Luca Grünwald (GER) KTM RC 390 R Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Freitag, 18:07 Uhr
In der zweiten Trainingssitzung kann sich Grünwald auf den 11. Platz verbessern, aber die gewünschten Resultate werden ihm nicht auf dem Silbertablett serviert. Um sich direkt für die Superpole 2 zu qualifizieren, muss er es in die Top Ten schaffen. So muss der deutsche Fahrer morgen noch etwas zulegen, damit der erhoffte Startplatz ganz vorne herausschaut. Vor dem Abendessen – bei dem das gesamte Freudenberg KTM WorldSSP-Team zusammenkommt – spricht der 23-Jährige offen über seine Zukunft. „Natürlich hofft man, jedes Jahr Rennen fahren zu können, garantiert ist das aber nie. Dutzende richtig schnelle Fahrer mussten den Sport aufgeben, weil sie einfach nicht das nötige Budget zusammenbekamen. Wenn du keinen großen Sponsor hast, der dir die Treue hält, kann alles ganz schnell wieder vorbei sein. Ich habe momentan keine solchen Sponsoren. Wenn ich also ein paar schlechte Saisonen hinlege, kann ich einpacken.“

Nur wenige Fahrer können sich glücklich schätzen, vom Rennfahren leben zu können, und so vergisst auch Luca Grünwald nie, dass es noch ein Leben abseits der Rennstrecke gibt. Er strebte eine Karriere als Automechaniker an, bekam dann aber eine interessante Chance angeboten. „Nach meinem Schulabschluss im letzten Jahr war ich auf Jobsuche, als mir ein Freund sagte, dass die Forschungs- & Entwicklungsabteilung von KTM auf der Suche nach einem Entwicklungsfahrer war. So begann ich, für KTM zu arbeiten.“ Trotzdem war es reiner Zufall, dass er jetzt auch eine KTM fährt. „Als ich begann, für KTM zu arbeiten, fuhr ich noch mit einer Suzuki. KTM machte das nichts aus und das war super. Man wollte nicht, dass meine Arbeit Einfluss auf meine Rennkarriere hatte.“

Luca Grünwald (GER) KTM RC 390 R Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Samstag, 10:12 Uhr
Auf der Rennstrecke von Assen steht der zweite Renntag bevor, für die World Supersport 300-Fahrer geht es aber eher gemütlich zu. Wer es in die Superpole 1 – von der nur die schnellsten 2 in die Superpole 2 aufsteigen – schafft und dann zusammen mit den schnellsten 10 an der zweiten Sitzung teilnimmt, verbringt trotzdem höchstens 30 Minuten auf der Strecke. Und das gilt nur für die schnellsten 2. Die anderen 37 fahren am Samstag nur 15 Minuten, bevor der Tag für sie auch schon wieder vorüber ist. „Mir wäre es lieber, wenn wir ein drittes freies Training hätten. So tun wir nicht viel mehr als warten. Und wir haben auch nicht viel Zeit, Dinge auszuprobieren, weil du in der Superpole nicht einmal daran denken kannst, etwas Neues auszuprobieren.“ Eine Stunde, bevor Grünwald den Rennanzug anlegt, geht er immer laufen. „Nur um meinen Körper auf Temperatur zu bringen. Um meinen Pulsschlag nach oben zu bringen und meine Muskeln aufzuwärmen. Die Konzentration kommt so automatisch. Wenn du einfach nur in der Box sitzt, streifen deine Gedanken umher und du verlierst deine Konzentration.“

Luca Grünwald (GER) Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Abgesehen von diesem physischen Training verwendet der Fahrer des Freudenberg KTM WorldSSP-Teams den Samstag auch dazu, Daten zu analysieren und sich Aufnahmen der vergangenen Sitzungen anzusehen und daraus zu lernen. „Wir haben nicht viele Sensoren am Bike, aber von denen, die wir einsetzen, bekomme ich trotzdem jede Menge Informationen. Auf diese Weise können wir sehen, wo wir schneller werden können.“ Am Ende schafft es Grünwald mit der zweitbesten Zeit durch die Superpole 1. Dank einer Zeit von 1:51,681 bestreitet er das Qualifying mit den 10 schnellsten seiner Klasse, kann seine Zeit aus der Superpole 1 aber nicht mehr verbessern und landet auf dem 9. Startplatz. Das bedeutet, dass er sein 2. World Supersport 300-Rennen von der 3. Reihe in Angriff nehmen wird.

Luca Grünwald (GER) Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Sonntag, 13:56 Uhr
„Am Sonntag steigt die Spannung rasant und früh an. Unser Warm-Up ist um 8:50 Uhr“, erklärt Grünwald. „Ich versuche, mich so gut wie möglich zu konzentrieren, um einen guten Start hinzulegen. In dieser Klasse herrscht in den ersten paar Runden Krieg. Es gibt viel Kontakt und in jeder Kurve sind andere Fahrer auf jeder möglichen Linie unterwegs. Danach beruhigt sich alles etwas und du kannst anfangen, dir einen Plan zurechtzulegen“, erklärt Grünwald. Das mit dem ‚Plan zurechtlegen‘ funktioniert in Assen aber für keinen Fahrer so richtig. Gleich nach dem Start formiert sich eine große und wilde Führungsgruppe. Strategien zu entwickeln und zu verfolgen, ergibt überhaupt keinen Sinn. Da viele Fahrer Startplatzstrafen bekommen haben, darf Grünwald vom 6. Platz aus starten, was ihm ermöglicht, sich der Spitzengruppe anzuschließen. Er schafft es auch, bis zur letzten Runde mit dieser Gruppe mitzufahren und schlägt in der letzten Schikane – der Geert Timmer-Bocht – zu. Mit einem kurzen Sprint bis zur Ziellinie lässt er seine Konkurrenten Glenn van Straalen und Scott Deroue hinter sich und gewinnt sein erstes Weltmeisterschaftsrennen!

WorldSBK Assen WorldSBK Assen WorldSBK Assen WorldSBK Assen WorldSBK Assen WorldSBK Assen
<
>
Luca Grünwald (#43, GER) KTM RC 390 R Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Nach einer ausgiebigen Ehrenrunde und einer Champagnerdusche zeigt sich der Deutsche erstaunlich ruhig. Der wohlverdiente Pokal wird im Zelt des Freudenberg KTM WorldSSP-Teams stolz zur Schau gestellt. „Was für ein verrücktes Rennen. Es war wieder mal ein totales Chaos“, berichtet Grünwald mit einem Lächeln auf den Lippen. „Ich wusste, dass ich gut in diese Klasse passe. Dass ich aber bereits mein 2. Rennen gewinnen würde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Es fühlt sich großartig an, wieder einmal auf einem Podium zu stehen. Mein letzter Rennsieg ist eine halbe Ewigkeit her – das war im Jahr 2016.“

Podium Supersport 300 Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Sonntag, 19:03 Uhr
Viel Zeit zum Feiern bleibt nicht. Der Fiat Ducato ist bereits bereit für den Heimweg. Bis nach Hause in Waldkraiburg ist es ein langer Weg für Luca Grünwald. „Morgen habe ich frei und werde versuchen, das Beste daraus zu machen. Ich habe keine Ahnung, wie viele Leute mir im Fahrerlager zu meinem Sieg gratuliert haben. Abgesehen von der letzten Runde hatte ich nicht einmal Zeit, mir das Rennen selbst anzusehen. Alle im Team haben es mir dauernd auf ihren Handys gezeigt.“ Am darauffolgenden Wochenende fährt Grünwald kein Rennen und hat sich deshalb mit Freunden verabredet. „Ich werde meinen Sieg mit Freunden feiern!“

Dank seines Sieges in Assen ist Grünwald auf den 2. Platz in der Meisterschaft vorgerückt. 2018 verspricht, eine gute Saison für den KTM-Fahrer aus Deutschland zu werden. „Ich glaube, dass ich es in dieser Saison regelmäßig auf das Podium schaffen sollte, und wenn mir das gelingt, ist automatisch auch der Meistertitel in Reichweite. Ich werde aber auf keinen Fall hier und jetzt voraussagen, dass ich Weltmeister werde, da noch so viel passieren kann. Es ist noch ein weiter Weg bis zum Ende der Saison aber so viel steht jetzt schon fest: Ich habe Freude am Rennfahren. Das könnt ihr mir glauben.“

Luca Grünwald (GER) Assen (NED) 2018 © Jarno van Osch/Shot Up Productions

Luca Grünwald – der noch immer den 2. Platz in der Meisterschaft hält – wird dieses Wochenende (vom 8. bis zum 10. Juni) in Brno antreten. Da keine deutsche Rennstrecke am Kalender der World Supersport 300-Serie steht, muss das Rennen in der Tschechischen Republik als Heimrennen des deutschen KTM-Fahrers herhalten. Willst du ihm folgen? Besuche seine Facebook-Seite oder die seines Teams.

Fotos: Jarno van Osch/Shot Up Productions