KTM Factory Racing: Vom ultimativen Begleit-LKW und der Logistik eines Rallye-Teams

Hinter jedem guten Team steckt – neben vielen anderen Dingen – immer auch ein beeindruckender Renntruck. Das trifft auf jeden Fall auf das KTM Factory Racing-Team zu. Zwei Jahre lang hat Michael Angerer damit verbracht, dieses Monster mit sechs Rädern zu entwickeln und zu bauen. Der KTM BLOG hat den österreichischen Mechaniker zum Interview gebeten, um mehr herauszufinden.

© Marcin Kin

„Es war ein Riesen-Projekt für mich“, gibt Angerer zu. „Wir haben ein Chassis von MAN gekauft und das ganze Ding von Null aufgebaut. Obwohl andere Unternehmen anfangs mitgeholfen haben, stammt die ganze Planung und die Konstruktion des Innenraums von mir.“

Michaels Job besteht darin, die Werks- und Kundenteams bei Events wie der FIM Cross-Country-Rallies-Weltmeisterschaft und natürlich der Rallye Dakar mit Ersatzteilen zu unterstützen. Der Renntruck wurde zu einem mächtigen Nebenprojekt.

„Es war die größte Herausforderung, der ich mich je gestellt habe, und sie hat neben meiner tagtäglichen Arbeit viel Zeit in Anspruch genommen. Ich wusste aber genau, was der Truck zu leisten imstande sein musste, und nach beinahe zwei Jahren hatte ich ihn soweit. Ich bin auf das Endresultat extrem stolz. Jetzt brauche ich aber erstmal Urlaub!“

Die technischen Daten des KTM Factory Racing Rallye-Begleit-LKW:

Basismodell: MAN TGS
Motor: 6-Zylinder-Dieselmotor mit 12,4 Litern Hubraum
Leistung: 500 Pferdestärken
Gewicht: 26 Tonnen
Generator: 26 kW
Sitzplätze: 3

© Marcin Kin

Hinter der Fahrerkabine ist der Truck in zwei Bereiche geteilt, wobei jeder eine andere Funktion hat. Vorne befindet sich die Werkstatt, wo zwei Bikes Platz finden und gewartet werden können. Alle Werkzeuge und Maschinen, die zum Warten oder zum Zerlegen von Motoren und Federung notwendig sind, werden hier aufbewahrt.

Der mittlere Bereich wird zur Lagerung von Ersatzteilen verwendet. In Rennsituationen arbeiten die Mechaniker an den Bikes und fordern die Teile an, die sie benötigen, welche dann von den ‚Ersatzteilmitarbeitern‘, in diesem Fall Michael, ausgegeben werden. Bei der Rallye Dakar 2018 war der Kundendienst ein riesiges Unterfangen – das Team kümmerte sich um 75 Fahrer, gut die Hälfte des gesamten Felds. Die Fahrer haben einen Vertrag mit ihrem Händler vor Ort, der dann eng mit dem Werk zusammenarbeitet, um jedem die notwendigen Teile zur Verfügung zu stellen.

Für Kundenfahrer sind die von KTM angebotenen Dienstleistungen unschätzbar wertvoll. Da sie ihre Ersatzteile vom Team bekommen, brauchen die Fahrer nur mehr mit ihrem eigenen Bike und ihrer eigenen Ausrüstung anreisen. Auch Federungs-Tuning wird angeboten – die Kunden bringen ihre Gabeln und Federbeine einfach beim Truck vorbei, um sie warten zu lassen – wenn sie möchten, jeden Tag. Selbst wenn jemand ein technisches Problem hat, tun die Teammechaniker ihr Bestes, um das Bike wieder flottzumachen.

Der hintere Teil des Fahrzeugs bietet einen Kühlschrank und Platz, um Nahrungsmittel aufzubewahren. Außerdem befinden sich hier eine kleine Dusche und ein Wachbecken für die Mechaniker. Ganz hinten finden sich noch Halterungen für die Ersatzräder. Der Truck befördert 25 Vorder- und 25 Hinterräder, welche fix vorbereitet sind und bei Bedarf sofort montiert werden können.

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Obwohl Regeländerungen dazu geführt haben, dass die Begleitfahrzeuge die Fahrer nur noch selten auf den Sonderprüfungen begleiten müssen, macht dem KTM-Renntruck im Gelände so schnell keiner etwas vor. Mit 6-Rad-Antrieb und 500 Pferdestärken lässt sich der 26-Tonner aus dem Hause MAN selbst von härtestem Terrain nicht beeindrucken. Trotz seines Gewichts kommt der Truck auch auf den weichen Sanddünen gut vorwärts.

Früher hat KTM auch in der Truck-Klasse Fahrzeuge an den Start gebracht. Aufgrund des großen Aufwands, sich sowohl um die Bikes als auch um die Trucks kümmern zu müssen, gehört das aber der Vergangenheit an.

„Bei einer früheren Dakar mussten wir uns um 6 Trucks kümmern“, erinnert sich Michael. „Wir hatten zwei Renntrucks und vier Kundentrucks. Das war einfach zu viel. Mir ist es lieber, dass ich mich heute nur mehr um die Bikes kümmern muss.”

„Als die Begleitfahrzeuge noch derselben Route folgen mussten, waren die Regeln anders. Alle schliefen damals in Zelten und diese mussten jeden Abend aufgestellt werden. Heute schlafen die Fahrer in Wohnwägen und die Begleitfahrzeuge nehmen meist asphaltierte Straßen, um von Basislager zu Basislager zu kommen. Früher mussten alle Fahrzeuge einen Überrollkäfig besitzen, die Fahrer mussten Helme tragen und die Trucks mit Schalensitzen und 5-Punkt-Gurten ausgestattet sein. Manchmal vermisse ich diese Zeiten – das Gefühl des Abenteuers war stärker und einige der Truck-Fahrer lieferten sich hitzige Schlachten!“

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Auf den Verbindungsetappen teilen sich zwei Teammitglieder das Cockpit und für alle Fälle gibt es noch einen dritten Sitzplatz. Das einzige Bett an Bord ist dem Fahrer vorbehalten, der sich außerdem über jeden nur denkbaren Komfort freuen kann – Klimaanlage und eine gute Heizung für die kalten Nächte in der Wüste inklusive. Das Leben der Mechaniker und Ersatzteil-Crew ist weniger glamourös.

„Bei der letztjährigen Dakar standen wir durchschnittlich um 3 Uhr morgens auf, um gegen 4 mit der Arbeit zu beginnen. Nachdem die Bikes zurück ins Rennen gegangen sind, packen wir das Lager zusammen und machen uns auf den Weg zum nächsten Stopp. Wenn du Glück hast, kannst du während der Fahrt ein paar Stunden schlafen. Normalerweise kommen wir zwischen 2 und 4 Uhr nachmittags an und bauen alles wieder auf. Die Top-Fahrer kommen üblicherweise kurz darauf an. Auf manchen Prüfungen sind sie auch schon vor den Trucks da.“

„Die schnellsten Kunden-Fahrer trudeln so gegen 9 Uhr abends ein – zu dieser Zeit sind wir mit den Werks-Bikes normalerweise fertig. Dann müssen wir aber noch auf die letzten paar Fahrer warten – einige hatten vielleicht Probleme auf der Prüfung und brauchen etwas mehr Hilfe. Oft kommen Fahrer erst in den frühen Morgenstunden an. Wir versuchen, so gut wie möglich zu helfen, und in den härtesten Nächten heißt das oft, nur wenige Stunden Schlaf zu bekommen.“

„Der Druck, die Kunden mit Teilen zu versorgen, ist enorm. Die Fahrer zahlen viel Geld, um bei einer Veranstaltung wie der Dakar dabei zu sein, und verlassen sich auf unsere Unterstützung. Die Hälfte des Motorrad-Starterfelds mit Teilen zu versorgen, ist eine große Aufgabe.“

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Aufgrund des brandneuen Designs der vom Werk eingesetzten, neuesten Version der KTM 450 RALLY musste das Team die Anzahl an Teilen aufstocken. Gemeinsam führen der Werks- und Kunden-LKW bei allen Rallyes insgesamt über 60.000 Teile im Wert von etwa einer viertel Million Euro mit. Allein das Zusammenstellen eines Inventars aller Teile nimmt mehr als zwei Wochen in Anspruch.

Als die Rallye Dakar 2019 in Peru am 6. Januar startete, lag das Hauptinteresse natürlich auf den Athleten, die sich der 5.000 km langen Route stellten. Ohne die Menschen und die Infrastruktur hinter den Kulissen würden aber selbst die Top-Fahrer nicht weit kommen. KTM und Toby Price erzielten den 18. Dakar-Sieg in Folge zu erringen, ein Erfolg, der nur durch eine starke Teamleistung möglich wurde.

© Marcin Kin

Fotos: Marcin Kin