Im Windschatten: Überholen in der Moto3

Der KTM BLOG sprach mit dem Red Bull KTM Ajo Moto3 Team über die Bedeutung des Windschattens und was in die Konstruktion der KTM RC 250 GP einfließt, um die Vorteile des Windschattens bestmöglich zu nutzen.

242,9 km/h. 150, 9 mph: die in dieser Saison beim GP in Mugello gemessene Höchstgeschwindigkeit der KTM RC 250 GP. Kann man bei solchen Geschwindigkeiten noch reagieren? So nah an einen anderen Piloten heranzukommen, so dass man förmlich die Abgase spüren kann, um dann mit einem kleinen Schlenker am Konkurrenten vorbeizugehen. Das Fahren im Windschatten ist keine Seltenheit in der Moto3-Klasse der MotoGP und eine der wichtigsten Waffen eines Fahrers, um sich auf der Strecke einen Vorteil zu verschaffen. Es ist ein riskantes, aber wirksames Mittel, um zu überholen und besonders in der kleinen Klasse der FIM-Weltmeisterschaft vergeht keine Runde ohne teils waghalsige Manöver.

Miguel Oliveira (#44) & Karel Hanika (#98) KTM RC 250 GP Mugello 2015

Miguel Oliveira (#44) & Karel Hanika (#98) KTM RC 250 GP Mugello 2015

Hersteller und Teams investieren große Summen, um die Aerodynamik ihrer Maschinen zu perfektionieren und innerhalb der Kampfgruppe einen möglichst großen Vorteil zu erlangen. MotoGP-Bikes erreichen Geschwindigkeiten von 350 km/h (gefahren von Andrea Iannone in Mugello) und wenn ein Fahrer erstmal die magische Grenze von 200 erreicht hat, dann kann jede noch so kleine Modifikation einen deutlichen Geschwindigkeitsunterschied ausmachen. Im Vergleich zur MotoGP ist dieser Unterschied in der Moto3 zwischen den Herstellern KTM, Husqvarna, Honda und Mahindra allerdings nicht so groß.

„Das Moto3-Motorrad ist sehr leicht, deshalb ist der Windschatten zum Beispiel im Vergleich zur Moto2 umso wichtiger“, sagt Red Bull KTM Ajo Teamchef Aki Ajo. „Auch wenn es im Moto3-Qualifying nicht so rund läuft, dann sind viele Fahrer trotzdem in der Lage, um den Sieg zu kämpfen oder wenigstens ums Podium zu fahren, auch wenn sie in der Startaufstellung nur auf Position 15 oder 25 standen. In der Moto2 oder MotoGP sieht man das eher selten, weil der Windschatten hier nicht so eine entscheidende Rolle spielt. In der Moto3 kann man das Rennen auch mit einer schlechteren Startposition gewinnen, aber natürlich hängt das auch von der Erfahrung des Fahrers auf der jeweiligen Strecke ab und es ist wichtig, den jungen Fahrern zu erklären, dass alle Strecken und Geraden unterschiedlich sind und der Windschatten an einigen Stellen wichtiger ist als an anderen.“

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Miguel Oliveira KTM RC 250 GP Barcelona 2015

Eine Gruppe von mehr als zehn Fahrern, die um die besten Positionen kämpft, ist in der Moto3 nicht ungewöhnlich. Für ein Team wie Red Bull KTM Ajo ist es wichtig, bereits in den Vorsaisontests sicherzustellen, dass größere Fahrer wie Karel Hanika (176 cm) sich hinter der Verkleidung verstecken und den Windschatten genauso effektiv nutzen können wie ein kleinerer Miguel Oliveira (170 cm). Aufgrund des kompakteren Profils der Moto3-Bikes müssen die Fahrer besonders auf ihr Gewicht achten; das Gesamtpaket zu optimieren, ist nicht immer einfach.

„In der Moto3 sind wir durch Homologationsvorschriften gebunden, das heißt, wir können nicht für jeden Fahrer eine individuelle Verkleidung bauen; es muss ein universelles Chassis sein, das idealerweise für alle Fahrer die ganze Saison über passt“, erklärt Sebastian Risse, Head of KTM Road Racing. „Es würde auch die Saisonvorbereitung erschweren, denn wir arbeiten mit einem halben Jahr Vorlauf.“

„Die grundlegende Aerodynamik der Motorräder ist wichtig“, sagt Ajo. „Das Werk will am liebsten immer schon lange im Voraus wissen, welche Fahrer wir in Zukunft verpflichten werden, so dass möglichst viele Informationen in die Entwicklung einfließen können. Wenn das Bike einmal steht, dann ist es schwierig im Nachhinein noch etwas zu ändern. Idealerweise fließen Änderungen bereits in die Entwicklungs- und Konstruktionsphase ein. Zwar kann man das Bike noch leicht anpassen, aber wenn die Saison erstmal begonnen hat, ist es immer schwierig. Größeren Fahrern kann man mit einer anderen Lenker- oder Fußrastenposition helfen, aber hier ist Vorsicht geboten, denn wenn man die Position um 10 mm nach hier oder da verschiebt, dann verändert das auch die Balance des Motorrads. Viele Kleinigkeiten sind zu beachten … nicht nur die Aerodynamik und die veränderte Position des Lenkers oder der Fußrasten, auch der Effekt auf die Federelemente und das Handling des Bikes. Deshalb ist es so wichtig, so viele Informationen wie möglich bereits im Vorhinein in den Designprozess einfließen zu lassen.“

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Karel Hanika KTM RC 250 GP Jerez Test 2015

„Die Aerodynamik ist etwas, an dem wir konstant im Windkanal, bei Testfahrten und mit der CFD-Technologie (Computer Fluid Design) arbeiten“, sagt Risse. „Wir nutzen verschiedene Möglichkeiten, aber natürlich kann ich darüber nicht zu viel verraten! Das ist bereits gängige Praxis in der Automobilindustrie, wo Hersteller verschiedene Kooperationen nutzen, um ihre Produkte zu testen und weiterzuentwickeln. Manchmal geht man einmal in den Windkanal und findet auf Anhieb Verbesserungspotenzial und manchmal braucht es drei Besuche.“

Die bekannte Agentur KISKA ist verantwortlich für das Design der Bikes, während sich die KTM Forschungs- und Entwicklungsabteilung um den technischen Feinschliff kümmert. „Das Basisdesign kommt von KISKA; von uns kommen dann kleinere Modifikationen, für die wir aber nicht immer wieder KISKA um Hilfe bitten müssen“, erzählt Risse. „Dabei geht es nur um kleinere Änderungen an den 3D-Parametern und ist nichts, was man am endgültigen Motorrad bemerken würde.“

Wenn die Fahrer-Motorrad-Kombi perfekt an Luftstrom und maximale Geschwindigkeit angepasst ist, dann ist ein erfolgreicher Windschatten nur noch eine Sache von Technik, Urteilsvermögen und Erfahrung. Oftmals sind die ersten 18-22 Runden in der Moto3 nur eine Art Prolog für die letzten hartumkämpften Umläufe, bevor die schwarz-weiß-karierte Flagge fällt. „Ich sage meinen Fahrern immer, dass sie ab dem ersten Training am Freitag, sobald sie die Boxengasse verlassen, genau auf diese letzten Runden am Sonntag hinarbeiten“, erklärt Ajo seine Strategie. „Es ist immer wichtig, das im Hinterkopf zu behalten. Was auch immer wir im Training oder das Wochenende über tun, am Ende geht es immer um diese letzten Rennrunden.“

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Brad Binder KTM RC 250 GP Jerez 2015

Bei diesen Schlüsselmomenten eines Grand Prix, spielt der Windschatten eine wichtige Rolle. Allerdings ist der Windschatten neben der Aerodynamik nur eine Facette des Gesamtpakets, das nötig ist, um das Rennen bestmöglich zu beenden. „Der Windschatten ist wichtig, aber nicht Priorität Nummer 1“, meint Ajo. „Es hilft keinem Fahrer, wenn er im Windschatten richtig gut ist, aber in anderen Bereichen nicht. Für junge Fahrer, die neu in der WM sind, ist es noch nicht so wichtig, aber wenn sie sich verbessern und näher an die Spitze kommen wollen, müssen sie wissen, wie sie den Windschatten ideal nutzen; eine grundlegende Fähigkeit für jeden professionellen Rennfahrer.“

„Auf einer Runde macht der Windschatten nicht so viel aus, aber wenn ein Fahrer jedes Mal am Ende der Geraden überholt wird, kann das über die Renndistanz ziemlich frustrierend sein“, beschreibt Risse die Sichtweise der Fahrer.

Während das Thema Aerodynamik von den Teams eher vertraulich behandelt wird, ist das Thema Windschatten bei jedem Rennen zu beobachten. Aber nur, wenn Aerodynamik und Windschatten zusammenkommen, kann der Fahrer zu spielerisch aussehenden Überholmanövern ansetzen. Was ist es für ein Gefühl, auf Weltmeisterschaftsniveau zu fahren und aus dem Windschatten zu überholen? Wer könnte diese Frage besser beantworten als der ehemalige Rennfahrer Aki Ajo: „Es ist ein großartiges Gefühl, wenn du diesen Extra-Schub spürst! Besonders, wenn du eine Gruppe vor dir siehst, wenn du den Zug von vier oder fünf Fahrern gleichzeitig nutzen kannst, dann ‘boom!’, es geht einfach vorwärts. Es ist, als hätte man den Turbo-Boost gefunden, den Unterschied in der Geschwindigkeit spürt man ganz deutlich.“

Fotos: www.ktmimages.com