Interview des Monats: Kurzer Chat mit dem zweifachen AMA Supercross-Weltmeister Ryan Dungey

Freitagnacht in Le Mans und im MotoGP-Fahrerlager kehrt so langsam Ruhe ein. Mechaniker und Teammitglieder arbeiten geschäftig in den beengten Boxen und in der Ferne hört man manchmal einen Motor aufheulen. Der Grand Prix von Frankreich steht gerade erst am Anfang. Es ist ein Zeitunterschied von 8 Stunden zur Westküste der USA, aber – im Gegensatz zur MotoGP – ist die AMA Supercross-Saison bereits so gut wie beendet.

Das Telefon klingelt. Roger De Coster ruft an und reicht das Telefon dann an den 26-jährigen Red Bull KTM-Werksfahrer weiter, der sich vor weniger als zwei Wochen zum zweiten Mal in Folge zum weltweit besten Supercross-Fahrer krönte. Es ist Pressetag im Sam Boyd Stadion in Las Vegas und das letzte von siebzehn Rennen in einem langen und anstrengenden Kalender, der die KTM-Mannschaft seit der zweiten Januarwoche quer durch Nordamerika schickte, steht auf dem Programm.

Roger De Coster (BEL) & Ryan Dungey (USA) St. Louis (USA) 2016

Roger De Coster (BEL) & Ryan Dungey (USA) St. Louis (USA) 2016

Ryan Dungey hat schon wiederholt über sich, seine siegreiche und rekordverdächtige Saison, seine 450 SX-F, sein Team, das Training und das gesamte Paket gesprochen, seit er sich auch für 2017 das Plate mit der Nummer 1 sicherte. Obwohl er die letzten Tage fast nichts anderes getan hat, spricht er immer noch gerne über seine Siege und seinen dritten Titel. Anstatt mit ihm über seine erfolgreiche Saison zu sprechen, konzentrieren wir uns darauf, wie es sich für Ryan anfühlt, ganz oben zu stehen …

Löst dieser zweite Titelgewinn in dir ein Gefühl der Erleichterung und Befriedigung aus? Das Wissen, dass du deine Leistung aus 2015 ein weiteres Mal bestätigen konntest?
„Erm, es ist eigentlich mehr Aufregung als eine Erleichterung. Der erste Titel war wichtig, aber aus Sicht des Teams, der Sponsoren und des Herstellers, war es gut, weiter Fortschritte zu machen, zu pushen und den Titel verteidigen zu können. Wir wussten, dass wenn wir gut arbeiten, unsere Chancen auf einen zweiten Titelgewinn gut stehen würden. Mir ist es in meiner Karriere bisher noch nie gelungen, einen Titel zu verteidigen und es fühlt sich an, als würde mir jetzt ein kleines Gewicht von den Schultern fallen. Ich war mir dessen bewusst, wir sprechen hier von Supercross, dem Gipfel unseres Sports. Das war dieses Jahr meine Herausforderung und jetzt, da wir sie als Team gemeistert haben, können wir die ganze Anstrengung und harte Arbeit erstmal vergessen und feiern, dass wir es geschafft haben.“

Bist du dir bewusst, dass du in diesem Sport ein Vermächtnis hinterlässt und dass deine Aktien im Moment kaum besser stehen könnten …?
„Ja und nein! Du kennst unseren Sport. Es heißt immer ‘auf zum Nächsten’! Zur nächsten Meisterschaft und zum nächsten Rennen. Es ist wichtig, sich Zeit zu nehmen und die guten Momente zu feiern. Ich versuche der Beste zu sein, der ich sein kann, das gilt auch für die Momente abseits der Strecke. Ich möchte ein guter Botschafter für den Sport und ein gutes Vorbild sein. Ich hoffe, ich kann Menschen und junge, aufstrebende Fahrer ermutigen, denn ich war in der gleichen Situation und habe zu Fahrern wie [Jeremy] McGrath und [Ricky] Carmichael aufgeblickt.“

Ryan Dungey (USA) KTM 450 SX-F East Rutherford (USA) 2016

Ryan Dungey (USA) KTM 450 SX-F East Rutherford (USA) 2016

Du hast einen vollen Terminkalender: Training, Rennen und andere Verpflichtungen. Denkst du, man kann hier eine Grenze erreichen? Einen Punkt, an dem es einfach unmöglich ist, noch mehr zu reisen, reden oder zu arbeiten?
„Deine Gegner hoffen wahrscheinlich, dass du deine besten Tage bereits hinter dir hasst … aber ich hoffe wirklich, dass meine besten Tage noch vor mir liegen. Es [Leben, Training] ist hart und es kann physisch und mental anstrengend sein, in die Position zu kommen, in der wir jetzt sind, aber es ist auch wichtig, den richtigen Blickwinkel auf die Dinge zu haben. Wie ich vorher schon gesagt habe, ich möchte immer noch der Typ sein, der anhält, mit den Fans spricht und ‘hi!’ sagt … Ich weiß, dass ein paar einfache Worte den Unterschied ausmachen können, denn vor nicht allzu langer Zeit, war ich in ihrer Situation. Wir haben viel zu tun … aber ich möchte meinen Einfluss nutzen und das Richtige – und Bestmögliche – tun … für die Marke, die Sponsoren und die Leute um uns herum. Ich möchte nichts von alldem als Selbstverständlich hinnehmen und wir haben hart gearbeitet, um in diese Position zu kommen.“

Es scheint, als ließe die KTM 450 SX-F in dieser Saison nichts zu wünschen übrig. Gab es einen großen Unterschied zwischen dem 2015er und dem aktuellen Bike?
„Letztes Jahr war die 450er brandneu und wir mussten sie erstmal verstehen lernen. Beides mal waren wir zu Beginn der Saison ziemlich überrascht, aber mit dem Start dieser Saison hatten wir einfach viel mehr Daten und Ideen, um uns in die richtige Richtung zu entwickeln. Dafür gebührt ein großer Dank dem Team und KTM, denn wir suchen nach Verbesserungen im Zehntelsekundenbereich und müssen nur noch Feinheiten abstimmen und Kleinigkeiten anpassen, sei es am Chassis oder am Motor. Ich denke, wir haben immer noch Potenzial, um uns zu verbessern.“

Ryan Dungey´s KTM 450 SX-F Daytona (USA) 2016

Ryan Dungey´s KTM 450 SX-F Daytona (USA) 2016

Gab es ein Rennen oder einen Moment, in dem du das Gefühl hattest, es läuft perfekt? Einen Punkt, an dem du gespürt hast, du bist in Bestform?
„Vielleicht nicht meine Bestform, aber ich denke wir waren bei den Rennen in Santa Clara, Indy [Indianapolis] und St. Louis besonders stark. Wir haben den Druck der anderen Fahrer gespürt und Ken [Roczen] war sehr schnell. Es war sehr eng. Wir sind bis an die Grenzen gegangen, nicht nur an die des Bikes, sondern auch physisch. Das beste Rennen? Da würde ich wahrscheinlich sagen Indy. Die Strecke war so ausgefahren und weich und wurde mit jeder Runde schlechter; das war das beste Rennen.“

Wir führen dieses Gespräch vom MotoGP-Rennen in Le Mans aus und ich habe den 2017er KTM-Fahrer [und begeisterten Motocrosser] Bradley Smith gefragt, ob er eine Frage hätte, die er dir gerne stellen würde. Er antwortete: „Frag Ryan, welches Chassis besser ist: das der 350er oder der 450er? Ich bin neugierig.“ Also?
„Ha! Um ehrlich zu sein, bin ich die 350er noch nie gefahren. Ich habe die Leistung, die ich brauche! Ich bin mir sicher, dass beide Bikes Bradley das bieten, was er will, aber ich kann nicht sagen, welches Chassis besser ist. Bradley muss beide fahren und mich dann wissen lassen, welches besser ist!“

Ryan Dungey (USA) KTM 450 SX-F St. Louis (USA) 2016

Ryan Dungey (USA) KTM 450 SX-F St. Louis (USA) 2016

Fotos: KTM