Interview des Monats: Sam Sunderland – Dakar-Sieger

Sam Sunderland spricht mit dem KTM BLOG über die diesjährige Rallye Dakar, bei der er erstmals die Ziellinie überquerte und einen unglaublichen Erfolg, den 16. Triumph in Folge für KTM bei der härtesten Rally der Welt, feierte.

Sam Sunderland (GBR)

Sam Sunderland (GBR)

Wie sah vor der Dakar deine Vorbereitung aus und welche Erwartungen hattest du? Hast du dir selbst viel Druck gemacht?
„Rennen fahren ist mein Job und ein gutes Ergebnis bei der Dakar einzufahren, ist das wichtigste Ziel im Jahr. In der Vergangenheit hatte ich viele Probleme – an einigen war ich selber Schuld, an anderen nicht. Am Ende trägt aber kein Problem dazu bei, dich in einem guten Licht erscheinen zu lassen, ganz unabhängig davon, wer Schuld hat. Aber es ist Teil des Spiels und du musst versuchen, das Beste daraus zu machen. Natürlich habe ich dieses Jahr Druck gespürt, das Rennen zu beenden, aber hätte ich die Dakar auf einem zehnten Platz oder einem Platz außerhalb der Top 10 abgeschlossen, wäre ich sehr enttäuscht gewesen. Ich bin Rennfahrer und ich bereite mich bestmöglich vor, damit ich um den Sieg kämpfen kann; das war und ist immer mein Ziel. Natürlich versuche ich, aus meinen Fehlern zu lernen, aber eine Dakar musste wegen eines Sturzes beenden, das war die erste mit KTM. Dann konnte ich wegen meines gebrochenen Oberschenkels gar nicht erst an den Start gehen und sonst hatte ich häufig Motorprobleme. Theoretisch bin ich also nur aus einem Rennen ausgeschieden. Dieses Jahr habe ich ein bisschen mehr Druck gespürt und habe versucht, aus dem Sturz in Marokko zu lernen. Diese Erfahrung und die Operation in Marokko war schlimm, hat sich auf meine Psyche ausgewirkt und mich als Mensch und Fahrer runtergezogen. Endlich wieder Rennen fahren zu können, hat die Situation natürlich verbessert und ich weiß jetzt, dass meine Priorität darin bestehen muss, das Rennen gesund zu überstehen. Das muss ich auch in schwierigen Situationen im Hinterkopf behalten.“

Dein Ziel war es, das Rennen zu beenden. Hast du eine bestimmte Strategie verfolgt?
„Wenn es einen Favoriten gab, dann war es der Sieger des letzten Jahres. Toby war bei allen Weltmeisterschaftsläufen stark. Das Niveau bei der Rallye Dakar ist hoch; es ist ein komplett anderer Sport als noch vor fünf Jahren, als ich angefangen habe. Wir sind alle ziemlich am Limit unterwegs. Wenn du die Dakar heute mit einer Geschwindigkeit fahren würdest, bei der absolut keine Chance besteht zu stürzen, dann würdest du am Ende des Tages 30 Minuten verlieren. Vor dem Start habe ich gesagt, dass etwa 10 Fahrer die Chance haben zu gewinnen. Mein Ziel war es, in der ersten Woche auf Sicherheit zu fahren, nicht zu viel Zeit zu verlieren und am Ruhetag unter den Top 5 oder Top 6 zu liegen. Dann wollte ich schauen, wo wir stehen und wie die Chancen aussehen. Wenn es vor dem Start 10 Siegkandidaten waren, waren es nach dem Ruhetag vielleicht noch fünf. Ich habe versucht, meinem Plan zu folgen und es bis zum Ruhetag kontrolliert angehen zu lassen.“

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2017

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2017

Zu Beginn des Rennens waren viele Augen vor allem auf deinen Teamkollegen Toby Price [Sieger der Rallye Dakar 2016] gerichtet, der während der vierten Etappe verletzungsbedingt aufgeben musste. Hat sich danach die Haltung des Teams dir oder Matthias [Walkner] gegenüber verändert?
„Als Toby aufgeben musste, war das ein schwerer Schlag für das Team. Nach seiner Leistung im letzten Jahr war er der klare Favorit; er ist für uns und besonders für mich ein guter Freund, denn wir kommen gut miteinander aus. Innerhalb eines Jahres brachen sich Matthias, ich und dann Toby den Oberschenkel. Das war ein harter Schlag, aber ich weiß nicht, ob deshalb mehr Druck auf Matthias und mir lastete. Niemand hat etwas gesagt, denn am Ende wissen wir, warum wir hier sind. Nur weil jemand sagt, dass mehr Druck auf dir lastet, bedeutet das nicht, dass du auf einmal 10 Minuten pro Tag schneller fährst; wir geben ja bereits unser Bestes. Natürlich war es für das Team und für Toby persönlich das Schlechteste, was passieren konnte, aber wir mussten weitermachen.“

Die Navigation war dieses Jahr ein entscheidender Faktor. War es im Vergleich zu den anderen Jahren schwieriger?
„Ich glaube die Organisatoren haben versucht, das Rennen langsamer zu machen, indem sie mehr Fokus auf die Navigation gelegt haben; für meinen Geschmack haben sie es ein bisschen übertrieben. Natürlich müssen sie neue Ideen testen, um zu sehen, wo das Limit ist, aber für uns Fahrer waren es zu wenig Informationen. Wenn schon die Autofahrer Probleme haben, die professionelle Navigatoren als Beifahrer haben, die sich ausschließlich dieser Aufgabe widmen, dann bekommt man einen Eindruck, wie kompliziert die Navigation ist. Jeder hatte an mindestens einem Tag Probleme und hat sich verfahren – ich auch, an Tag 3 und 10. Das war extrem schwierig!“

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2017

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2017

Wie bist du körperlich und mit den extremen Wetterbedingungen zurechtgekommen?
„Um ehrlich zu sein, war das Wetter ziemlicher Mist. In Paraguay sind wir bei 45 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit gefahren, schweißgebadet. Dann waren wir auf 4000 Meter Höhe bei 2 Grad und es hat geschüttet wie aus Eimern. In Argentinien waren es dann wieder 40 Grad – das war ein hartes Stück Arbeit! Sobald du dich draußen aufhältst, auch wenn du nichts tust, macht dich die Luftfeuchtigkeit fertig. Neben diesen herausfordernden Rahmenbedingungen war das Fahren in diesem Jahr sehr technisch. 100km Vollgas auf Schotterpisten sind etwas einfacher zu fahren als 10km durch steinige Flussbetten voller Büsche und Sträucher. Die Kilometerzahl ist kein guter Indikator für das, was wirklich passiert. Ein langer Tag bleibt natürlich ein langer Tag … in diesem Jahr hatten wir eine Tagesetappe mit 1200km, aber die Kilometer sind immer relativ, denn 50km durch Dünen, Flussbetten und Kamelgras sind anstrengender als 50km auf ebener Strecke. Zwar wurden dieses Jahr einige Etappen wegen des Regens verkürzt, aber die Bedingungen waren dennoch schwierig. Da ich so viel wie möglich trainiert habe, ging es mir körperlich soweit gut. Zur Vorbereitung habe ich in einem Zelt geschlafen, das die Sauerstoffkonzentration in der Höhe simuliert, aber ab einem bestimmten Punkt während des Rennens spürt man die Erschöpfung.“

Seit der fünften Etappe hast du das Rennen angeführt. In dem Wissen, was auf dem Spiel stand, ist da der Druck gestiegen?
„Definitiv. Wenn du verlierst, drehen sich all deine Gedanken darum, wie du gewinnen kannst und wenn du gewinnst, dann ist alles, woran du denkst, wie du den Erfolg verteidigen kannst. Es ist gar nicht so einfach, fokussiert zu bleiben; besonders, wenn dir kleine Fehler unterlaufen. In deinem Kopf kann ein kleiner Fehler schnell zu einer großen Sache werden und außer Kontrolle geraten. Im Biwak stehen natürlich das Team und deine Freunde bereit, um dich zu beruhigen, aber während der 12 Stunden, die du alleine auf dem Bike verbringst, versuchen sich viele Dinge in deinen Kopf zu schleichen. Du musst an das Positive denken und dich konzentrieren … das war am Ende viel anstrengender, als ich erwartet hatte. Ich habe Weltmeisterschaftsläufe angeführt, in denen ich auch unter einem gewissen Druck stand, denn man kämpft um etwas, das man wirklich will und wofür man hart gearbeitet hat. Aber sechs Tage lang die Dakar anzuführen, war nochmal eine ganz andere Sache.“

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2017

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2017

Die Erleichterung, das Rennen beendet zu haben, muss groß gewesen sein. Bist du stolz, Teil der KTM-Siegesserie zu sein, besonders, weil ihr einen Doppelerfolg feiern konntet?
„Es war ein besonderes Gefühl, es mit Matthias ins Ziel zu schaffen, denn wir beide haben uns nach dem gebrochenen Oberschenkel zurückgekämpft und wir haben uns dieses Jahr ein Wohnmobil geteilt. Natürlich haben wir über die Möglichkeit eines Doppelsieges gesprochen, aber als wir dann wirklich auf Platz 1 und 2 lagen, war es irgendwie verrückt. Wir hatten uns vor dem Start nicht vorstellen können, dass wir am Ende als Erst- und Zweitplatzierter der Rallye Dakar im Wohnmobil sitzen würden. Das war ein großartiges Gefühl und wir hatten Glück, das Wohnmobil als Rückzugsort zu haben. Draußen ist es laut, heiß und windig und innen erwartet dich ein bisschen Luxus, wie beim Glamping. Es hilft, abzuschalten und das Chaos zu beenden.“

Was hast du aus dieser erfolgreichen Dakar gelernt?
„Es war gut zu sehen, dass die Veränderungen, die ich für dieses Jahr vorgenommen habe, sich ausgezahlt haben. Ich habe versucht, unnötige Risiken zu meiden und jeden Tag sicher ins Ziel zu kommen. In risikoreicheren Gebieten habe ich mir mehr Zeit gelassen anstatt durchzueilen. Wo immer die Sicht zum Beispiel durch Staub eingeschränkt war, habe ich es ruhiger angehen lassen. Als ich mit dem Rally-Sport angefangen habe, kämpfte ich in jeder Situation und versuchte den Fahrer vor mir so schnell wie möglich zu überholen. Bei einer Flussdurchquerung nahm ich mir nicht die Zeit zu schauen, sondern fuhr einfach durch. Ich bin 27, aber immer noch ziemlich neu in der Rally-Szene. Ich habe noch viel zu lernen und manchmal ist der beste und schnellste Weg, es auf die harte Tour zu lernen. Diese Dakar mit einem Sieg zu beenden, hat mir gezeigt, dass ein bisschen Geduld sich manchmal auszahlt. Ich weiß, dass einige Leute gesagt haben ‘oh Barreda bekam eine Zeitstrafe von einer Stunde, wenn die nicht gewesen wäre, hätte er gewonnen’, aber das ist Blödsinn, denn meine Taktik wäre eine andere gewesen, wenn der Rennverlauf anders gewesen wäre. Ich habe die Führung kontrolliert, musste nicht kämpfen, Risiken eingehen und um Etappensiege fahren. So schwierig es auch war, ruhig zu bleiben und entspannt zu fahren, es ist großartig, dass es sich ausgezahlt hat.“

Matthias Walkner (AUT, #16) & Sam Sunderland (GBR, #14) Dakar 2017

Matthias Walkner (AUT, #16) & Sam Sunderland (GBR, #14) Dakar 2017

Was ist es für ein Gefühl, die Ziellinie als Sieger zu überqueren?
„Es ist unglaublich. Die Emotionen haben mich überwältigt, als ich über die Ziellinie gefahren bin. Bis zu diesem Moment hatte ich nicht realisiert, wie viel Last auf meinen Schultern lag und dann habe ich einfach nur große Erleichterung gespürt. Die Gefühle haben die Kontrolle übernommen und ich habe geweint wie ein Baby! Wenn du etwas so Verrücktes durchlebt hast, mit all der Vorbereitung, den Höhen und Tiefen und den Opfern, dann bedeutet dieser Erfolg nochmal mehr. Wenn dir zum Beispiel jemand für einen Tag einen Ferrari schenkt, dann ist das toll, aber wenn du jahrelang dafür gearbeitet und dein ganzes Geld gespart hast, um ihn dir zu kaufen, dann ist es ein viel wertvolleres Gefühl, denn du weißt, was du investiert hast. Im Ziel wusste ich, was ich geleistet und investiert hatte und natürlich ist es ein super Gefühl, Teil dieser Siegesserie zu sein und sie fortzusetzen. Es ist unglaublich, dass KTM 16-mal in Folge gewonnen hat; irgendwie unwirklich, wenn man bedenkt, wie viele Faktoren bei der Dakar eine Rolle spielen. Das Team scheint immer an einem Strang zu ziehen, um das gemeinsame Ziel zu erreichen. Aus diesem Grund gebührt dem Team große Ehre, denn ohne sie wäre der Erfolg nicht möglich.“

Was hast du seit dem Ende der Dakar gemacht?
„Eine Menge hiervon! Interviews! Ich habe sehr viel geredet, aber das gehört dazu und ich bin glücklich, in dieser Position zu sein.“

Sam Sunderland (GBR) & KTM-Team Dakar 2017

Sam Sunderland (GBR) & KTM-Team Dakar 2017

Fotos: KTM