Von den Höhen und Tiefen der Rallye Dakar 2019 – Sam Sunderland

Sam Sunderland spricht offen darüber, wie hart die Dakar 2019 war, und über die extremen Höhen und Tiefen, die er auf jeder Sonderprüfung der berüchtigten Rallye durchmachen musste.

Mental gibt es wohl keinen anderen Offroad-Sport, der ähnlich ermüdend ist wie die Rallye Dakar. Bei ihr verbringen die Fahrer oft 10, manchmal sogar 15 Stunden alleine auf dem Motorrad, schießen mit haarsträubenden Geschwindigkeiten durch ihnen unbekannte Wüsten und müssen sich tagelang mit schwierigen Bedingungen herumschlagen. Zu allem Überfluss bekommen sie pro Nacht nur etwa vier bis fünf Stunden Schlaf. So ist die Dakar nun einmal, heißt es oft. Für Rally-Fahrer wie Sam Sunderland und seine Teamkollegen vom Red Bull KTM-Werksteam gehören all diese Aspekte zum härtesten Rennen der Welt dazu.

Sam Sunderland (GBR) 2019 © Sebas Romero

Für Sunderland hielt die Rallye Dakar 2019 eine wahre Berg- und Talfahrt bereit. Er musste sich um einen schwer verletzten Konkurrenten kümmern und technische Probleme wegstecken, gewann aber auch Sonderprüfungen, sogar ganz ohne Bremsen. Der schwerste Rückschlag war wohl die einstündige Zeitstrafe, die ihm die Veranstalter zu Unrecht aufbrummten – doch dazu später mehr …

Sams Pläne für die Dakar 2019 wurden zum ersten Mal in Sonderprüfung fünf in der ersten Woche durchkreuzt, als er den Unfall von Paulo Goncalves miterlebte und sich um den verletzten Konkurrenten kümmern musste.

„Ich sah ihn stürzen und rief sofort den Hubschrauber. Danach kümmerte ich mich, so gut es ging, um ihn; gab ihm Wasser, half ihm aus seiner Gear und versuchte, es ihm so bequem wie möglich zu machen. Ich konnte aber sehen, dass er große Schmerzen hatte“, so Sunderland. Profi-Rennfahrer sind von Natur aus ehrgeizige Persönlichkeiten, aber immer noch Menschen. Deshalb steht die Gesundheit eines Konkurrenten über allem anderen.

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2019 © Marcin Kin

Als die Sanitäter am Unfallort eingetroffen waren, konnte Sam das Rennen wieder aufnehmen, hatte aber viel Zeit und noch mehr Plätze verloren: „Ich dachte, dass meine ganze Arbeit und die des Teams für die Katz‘ war, weil ich angehalten hatte, um einem anderen Fahrer zu helfen. Ich war ein bisschen wütend und gab ordentlich Gas, um die langsameren Fahrer hinter mir zu lassen. Ich hatte keine Ahnung, wie ich in der Zeit lag.“

Das Resultat war, dass Sam die Prüfung gewann, was normalerweise ein Grund zum Feiern wäre. „Das Problem war, dass niemand die Prüfung gewinnen wollte, weil sie alle Angst davor hatten, die Tacna-Prüfung [am nächsten Tag] eröffnen zu müssen. Alle wussten, dass sie die reinste Hölle werden würde!“, so Sam.

„Als ich im Ziel ankam, gratulierten mir die Journalisten zu meinem Prüfungssieg und ich dachte nur ‚oh nein!‘. Nach außen musste ich cool bleiben, aber auf dem Weg zurück zum Biwak weinte ich fast unter meinem Helm und dachte, dass mein Rennen nun wohl gelaufen war.“

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2019 © Marcin Kin

Das Drama sollte aber noch weitergehen. „Tatsächlich gelang es mir, die Tacna-Prüfung stark zu beginnen und ich war mit meiner Navigation sehr zufrieden.“ Seine gute Stimmung sollte sich aber schnell ändern, nachdem er unbemerkt einen Felsen touchierte und sich die hintere Bremsscheibe brach.

„Ich sah nach unten und die ganze Bremsscheibe hatte sich irgendwie von der Nabe gelöst. Alle Bolzen waren fort und ich musste noch ungefähr 100 Kilometer in dieser Prüfung zurücklegen. Ich fuhr weiter, aber dann löste sich auch der Bremssattel und fing an, gegen mein Bein zu schlagen. Also musste ich anhalten, den Bremssattel runternehmen und die Bremsleitung kappen. So verlor ich die ganze Zeit.“

Rennfahrer müssen lernen, mit solchen Rückschlägen umzugehen (und hunderte Kilometer ohne Bremsen zurückzulegen!) und müssen über einen mentalen Reset-Knopf oder eine emotionale Stummschalttaste verfügen, um solche Probleme zu verdrängen und sich darauf zu konzentrieren, was noch vor ihnen liegt.

„Am nächsten Tag gewann ich die Prüfung, weil ich keine andere Wahl hatte. Meine einzige Chance war, voll auf Angriff zu fahren, um etwas Zeit gutzumachen. Von diesem Zeitpunkt an musste ich das Beste aus meiner Situation machen“, erklärt Sam und veranschaulicht damit perfekt, worum es geht.

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2019 © Marcin Kin

Sunderlands Dakar hatte aber noch eine weitere Wendung zu bieten. Am nächsten Tag, am Ende der siebten Sonderprüfung, belegten ihn die Veranstalter mit einer einstündigen Zeitstrafe.

Sam erklärt, wie genau es dazu kam: „Ich rollte an den Start der Prüfung, als man mich anhielt, weil es ein Problem mit der Stromversorgung meines iritrack gab. Ich tauschte eine Sicherung und war bereit, ins Rennen zu gehen. Ich hätte früher abfahren können, aber man versetzte mich zurück auf den vierten Startplatz.“

Im Zweifel für den Angeklagten? Nicht bei der Dakar. Als er zurück im Biwak war, hatte die Rennleitung geschlussfolgert, dass Sam sein Bike absichtlich manipuliert hatte, um nicht als Erster in die Prüfung gehen zu müssen. „Ich war stinksauer“, so Sam. „Ich diskutierte wild mit den Veranstaltern, der FIM, meinem Teammanager, aber es half alles nichts. Sie ließen sich nicht vom Gegenteil überzeugen und ich war de facto aus dem Rennen.“

Im Kopf eines Rennfahrers ist das das Ende. 12 Monate Arbeit und Vorbereitung und die ganzen anderen Probleme, die er während der Dakar 2019 bereits gemeistert hatte, waren wie ausgelöscht. Sam war so wütend, dass er bereit war, endgültig das Handtuch zu werfen, machte aber aus Respekt vor seinem Mechaniker und dem KTM-Rally-Team weiter.

„Jede Nacht nur vier oder fünf Stunden zu schlafen und dann stundenlang zu fahren, ist schon hart. Wenn dann noch so etwas dazukommt, wird es richtig schwierig“, so Sam.

Ein weniger beachteter Effekt einer solchen Strafe der Veranstalter ist, wie man danach von der Konkurrenz gesehen wird: „Wenn dir der Veranstalter eine Strafe aufbrummt, ist das wie eine Bestätigung dafür, dass du etwas falsch gemacht hast. Für alle anderen sieht es so aus, als hätte man handfeste Beweise gefunden – ich wusste natürlich, dass ich nichts falsch gemacht hatte, für die anderen sah es aber genau danach aus.“

„Wie wurde ich mit der zusätzlichen Belastung fertig? Nicht besonders gut, um ehrlich zu sein. Ich war mit meinen Gedanken ganz woanders“, so Sunderland. „Der neunte Tag war der schlimmste. Es war eine lange Prüfung, ich verirrte mich oft, machte Fehler und fuhr lange im Staub der Konkurrenz. Es war verdammt hart.“

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2019 © Marcin Kin

Am Ende hoben die Veranstalter der Dakar die Strafe auf, aber erst, nachdem das Rennen bereits vorbei war und nachdem Sam zwei Sonderprüfungen absolviert hatte, ohne voll bei der Sache zu sein.

Emotional machen sich solche Nackenschläge bei jedem Athleten körperlich und mental bemerkbar. Im Offroad-Sport lauern solche Schläge hinter jeder Kurve. Bei der Dakar – dem härtesten Rennen der Welt – werden sie aber oft mit dem Vorschlaghammer geführt.

Das letzte Wort gebührt Sam: „Ich fahre Rennen, um zu gewinnen. Ich war in wirklich guter Form, habe hart gearbeitet und fuhr zur Dakar, um meinen Job zu machen. Leider konnten wir unsere Karten nicht voll ausspielen. Nach allem, was passiert ist, bin ich mit dem dritten Platz ganz zufrieden und bereite mich schon darauf vor, zurückzuschlagen.”

Sam Sunderland (GBR) KTM 450 RALLY Dakar 2019 © Marcin Kin

Fotos: Sebas Romero | Marcin Kin