Den Erzberg bezwingen

Das in der Sportwelt berüchtigte Erzbergrodeo in Österreich genießt im Motorradsport Legendenstatus und ist bei Offroad-Racern sowieso Kult. Wie aber geht man dieses Rennen an? Wie hart ist es und was braucht es, um den mächtigen Eisengiganten zu bezwingen?

Manche Spektakel im Motorrad-Rennsport muss man mit eigenen Augen gesehen haben. Ein Beispiel dafür wäre die irre Isle of Man TT. Obwohl man sich dessen bewusst ist, muss man sich schon selbst über eine der Steinmauern auf der Insel lehnen und erleben, wie die Superbikes nur eine Handbreit von einem entfernt vorbeischießen, um zu verstehen, wie verrückt das Ganze wirklich ist.

Erzbergrodeo (AUT) 2017 © Red Bull Content Pool

Beim Erzbergrodeo verhält es sich genauso. Bereits der Anblick des Eisengiganten haut einen aus den Socken. Wenn Fahrer zum ersten Mal dem Berg am Rand des österreichischen Ortes Eisenerz von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und sich ihrer Aufgabe bewusst werden, kann das ein gleichermaßen beängstigendes wie inspirierendes Gefühl sein.

Es ist schwer, sich ein größeres Hard-Enduro-Rennen als das am Erzberg vorzustellen. Riesiges Medieninteresse und unzählige Social-Media-Beiträge von den Leuten vor Ort bestätigen die Wichtigkeit und Einzigartigkeit dieses Spektakels. Klar ist auch, dass den weltbesten Extreme-Enduro-Fahrern ein Sieg am Erzberg mehr wert ist als alles andere. In einem hochkarätigen Feld war der Sieg von Alfredo Gomez im Jahr 2017 etwas ganz Besonderes. Es ist kein Wunder, dass die Teilnehmerzahlen Rekorde sprengen: 1500 nehmen am Iron Road-Prolog teil. Die besten 500 davon treten am Sonntag beim Hauptrennen an. Für die meisten unter den 1500 ist es das größte Rennen ihres Lebens.

Teilnehmer 2017 © Robert Lynn/Future7Media

Im Fahrerlager stehen die Vorzelte der Werksteams den Bierzelten und Imbissständen gegenüber. Im Jahr 2017 sorgten strahlender Sonnenschein und diverse DJs für waschechte Party-Stimmung. Wer sich nach Einbruch der Dunkelheit in eines der Bierzelte wagt, erlebt typisch österreichische Unterhaltung wie Surfeinlagen auf biergetränkten Tischen – T-Shirts optional.

Verrückter als der „Sturm auf Eisenerz“ geht‘s nicht. Als ‚Dankeschön‘ an die Einwohner fahren alle Teilnehmer gemeinsam durch das Örtchen. Es handelt sich um eine Invasion mit blauem Rauch, Verkleidungen und Burnouts, wobei manche Fahrer sich bei ihren Kostümen besondere Mühe geben.

Raid on Eisenerz 2017 © Red Bull Content Pool

Am Freitag und Samstag müssen die Teilnehmer den Iron Road-Prolog zweimal bewältigen. Rally-Motorräder, Adventure-Bikes, Motorräder mit Beiwagen und sogar Roller streben mit Vollgas dem Gipfel des Steinbruchs entgegen, um eine Zeit zu setzen. Von den gestarteten 1500 qualifizieren sich 500 für das Hauptrennen, indem sie sich durch mit Baggern geschaffene Felsenschikanen schlängeln und, nur wenige Meter von Felswänden und Abgründen entfernt, die breiten Straßen des Steinbruchs hinaufschießen. Die gesamte Strecke ist rutschig, felsig und mit äußerster Vorsicht zu genießen. Je höher man hinaufkommt, desto länger und schneller werden die Geraden. Irgendwann bist du dann schneller unterwegs, als du es auf einer Enduro je warst – im letzten Gang, den Gasdrehgriff auf Anschlag und mit wässrigen Augen.

Nach drei oder vier Tagen der Vorbereitungen, Tests, Prologe und Partys ist es endlich Zeit für den Gipfel des Wahnsinns: In Reihen von je 50 Fahrern machen sich die 500 Teilnehmer des Hauptrennens auf den Weg zum Fuße des Eisengiganten. Pünktlich zu Mittag bricht für vier Stunden die Hölle los. Alle Fahrer fahren ihr eigenes Tempo und kommen einander in die Quere, bis am Ende 25 von ihnen den letzten Kontrollpunkt durchfahren und sich zu den wenigen Auserwählten zählen dürfen, die das Erzbergrodeo 2017 beendet haben. Die restlichen 475 mühen sich ab, möglichst viele der 25 Kontrollpunkte zu erreichen, bevor sie aufgeben müssen.

Einige der steilsten Anstiege wie ‚Three Kings‘ und die Felsenhölle ‚Machine‘ sorgen für eine Vorauslese. Letztendlich sind es aber die Waldabschnitte, welche tatsächlich die Spreu vom Weizen trennen. Die brutalen Anstiege zwischen den Bäumen sind technisch schwierig und rauben den Fahrern auch die letzten Energiereserven. Manchmal ist den Fahrern vor dem nächsten Hindernis nur eine kurze Verschnaufpause vergönnt, während sich lange Warteschlangen bilden, wenn das Hauptfeld sich in den Wald ergießt.

Erzbergrodeo (AUT) 2017 © Red Bull Content Pool

Bei all dem herrscht unter den Teilnehmern ein Gefühl des Respekts und der Kameradschaft: Wenn der Fahrer vor einem völlig fertig von seinem Bike hängt und ihm der Schweiß vom Kinn tropft, hält er zwar vielleicht die hinter ihm auf, aber nach mehreren Stunden im Gelände weiß jeder, wie er sich fühlt, warum er seine Schultern hängen lässt und warum er einfach keine andere Wahl hat, als eine Pause einzulegen.

Das ‚Ziel‘ kommt wie ein Segen. Keine Zielflagge, sondern endlich ein bisschen Ruhe. Nach etwas weniger als vier Stunden Fahrtzeit werde ich durch Kontrollpunkt 15 gewunken und schwenke ein auf einen Weg, der zu einem monströsen Anstieg in Sichtweite des berüchtigten Carl‘s Diner liegt. Eine kleine Schar von Fahrern blickt über den Rand und einigt sich in drei Sprachen darauf, dass hier Schluss ist.

Die nackte Wahrheit ist, dass man fitter und stärker sein muss, um am Erzberg auch nur in Sichtweite der Zielflagge zu kommen. Wie der Name sagt, ist Hard Enduro ein harter Sport, aber der Erzberg noch einmal etwas ganz anderes. Auf Wiedersehen, Eisengigant.

Jon Pearson (GBR) KTM 250 EXC TPI Erzberg (AUT) 2017 © Robert Lynn/Future7Media

Fotos: Red Bull Content Pool | Robert Lynn/Future7Media