Snow Speed Hill: Sie gehen steil

Es ist ein irres Spektakel, dieses Snow Speed Hill Race im steirischen Pichl. 170 Mann rasen die Skipiste an der Reiteralm hoch, mit Motorrädern und Skidoos. Die Touristen beim Après-Ski reiben sich verwundert die Augen ob des wilden Treibens. Schade nur, dass diesmal einer der Favoriten zuschauen musste.

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm Martin Huber

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm – Martin Huber

Er wäre so gerne dabei gewesen. Jetzt aber sitzt er in einem Klappstuhl, direkt neben dem Startgatter, das lädierte linke Bein auf einer Krücke abgestützt: Matthias Walkner, KTM-Werkspilot in der Cross-Country Rallies Weltmeisterschaft und seit dem Sturz bei der Dakar im Krankenstand. Einmal bereits hat Walkner das Snow Speed Hill Race gewonnen, ein anderes Mal wurde er Zweiter. Diesmal bleibt ihm nur die Zuschauerrolle. Einen Racer wie Walkner schmerzt das mindestens so sehr wie der gebrochene Oberschenkel. Immerhin haben die Jungs vom veranstaltenden MSC Reiteralm dem rekonvaleszenten Star diesen Logenplatz direkt neben dem Startgatter eingerichtet. Walkner hat beste Sicht auf das Geschehen.

„Klar wäre ich gerne mitgefahren“, sagt Walkner. Das Snow Speed Hill Race sei schließlich etwas ganz Besonderes. „Aber“, sagt Walkner, „es dauert noch ein paar Wochen, bis ich wieder auf dem Motorrad sitzen kann.“

Matthias Walkner Snow Speed Hill 2016 © Rossen Gargolov

Matthias Walkner Snow Speed Hill 2016 © Rossen Gargolov

Nächstes Jahr wolle er unbedingt dabei sein. Er hat sich bereits mit seinen KTM-Technikern im Werk in Mattighofen beraten, und sie kamen überein, dass Walkner das nächstjährige Snow Speed Hill Race mit seiner KTM 450 RALLY aus WM in Angriff nehmen soll. Aber hat er mit der schweren Rally-KTM überhaupt Siegchancen? „Maschine abspecken, höher verdichten, kürzer übersetzen, dann geht das“, sagt Walkner.

Das Snow Speed Hill Race ist eine skurrile Veranstaltung. Wäre der Begriff nicht so abgedroschen, könnte man sagen: ein Kult-Event. 550 Meter ist die Piste lang, maximale Steigung 40 Prozent, offizielle Bezeichnung: Grande Finale. Ski-Star Marcel Hirscher war vor zwei Tagen auf der Grande Finale. Für den Gesamtweltcup-Führenden ist es der ideale Trainingshang. Doch wo ein Hirscher auf Skiern heruntersticht, sollen Motorräder bergauf fahren? Jawohl, klappt. Für die meisten Teilnehmer zumindest.

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm - Martin Huber

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm – Martin Huber

Das Rennen folgt einem einfachen Muster: Sieben Mann stellen sie sich unten auf, nebeneinander in Motocross-Manier und wenn das Startband hochschnellt, geht’s geradeaus den Berg hinauf. Nicht alle kommen im Ziel an. Bei den meisten Vorläufen bleiben ein oder zwei Motorräder unterwegs liegen. Wenn das Hinterrad keine Traktion mehr findet, das Bike ausbricht und zu viel Schwung verliert, dann war´s das. Die Liegengebliebenen werden von der Piste geräumt, schon startet der nächste Lauf. So geht es über Vorläufe und Hoffnungsläufe bis zum Finale, stets kommen die ersten Drei eine Runde weiter. Es ist ein Stakkato von Rennen. Im Minuten-Takt schnellt das Startband hoch. Action ohne Ende. Die Zuschauer am Pistenrand werden prächtig unterhalten. Wem es draußen zu kalt ist, der genießt das Spektakel aus dem „Kuhstall“ heraus, dem Après-Ski-Zelt neben der Talstation. Mit einem Schladminger Sepp (Bier) oder einem „Willi“ (Williams-Christ-Obstbrand) lässt sich´s dort prima aushalten.

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm - Martin Huber

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm – Martin Huber

Das Erfolgsgeheimnis beim Snow Speed Hill Race ist die Linienwahl auf dem Weg nach oben. Eher links, wie im Vorjahr? Oder ist in diesem Jahr, da der Schnee hart und eisig ist, die Spur ganz rechts die bessere? Das gilt es während den Trainingsläufen herauszufinden. Doch Obacht: Was im Training ab 17.30 Uhr noch die schnellste Linie war, kann vier Stunden später im Finale plötzlich nicht mehr schnell sein. Die Piste verändert sich permanent.

Unter den Fahrern spricht sich herum, welche Linie den besten Grip bietet. Das führte in der Vergangenheit zu Diskussionen. Jeder wollte rechts starten, wenn rechts die Piste schneller war. Das Aufstellen zum Vorstart geriet zum Rennen vor dem Rennen, es wurde geschubst und gedrängelt. Deshalb hatten sie beim MSC Reiteralm die Idee mit den Würfeln: Vor jedem Lauf müssen die Piloten einen kleinen Holzwürfel umdrehen – auf der Unterseite des Würfels steht die Nummer ihres Startplatzes. Überhaupt bevorzugen sie beim MSC Reiteralm die simplen Lösungen. Elektronische Zeitnahme? Nie mehr! „Drei Mal haben wir versucht, Resultate und Wertungen mit Computer zu erfassen, nie hat´s funktioniert“, erzählt Günther Breitfuss, Vize-Präsident des MSC Reiteralm. Also kehrten Breitfuss und Co. zurück zum Prinzip Oldschool: alles wird manuell geregelt. Mit Zielrichtern, welche mit bloßem Auge den Zieleinlauf erfassen. Und mit einem sechs Meter breiten Holz-Tableau, an dem MSC-Rennleiterin Marlene Schaumberger Regie führt: Für jeden Fahrer gibt es ein kleines Täfelchen mit Namen drauf; kommt der betreffende Pilot unter die ersten Drei, wird sein Täfelchen weitergeschoben in den nächsten Lauf. Rustikal. Aber es funktioniert.

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm - Martin Huber

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm – Martin Huber

Seinen Ursprung hatte das Snow Speed Hill Race um das Jahr 2003 herum. Günther Breitfuss und seine steirischen Kumpels, allesamt Motorrad-Enthusiasten, preschten nach Feierabend gerne die Skipiste an der Reiteralm hinauf. Zur Gaudi. Die umstehenden Skifahrer waren freilich baff. „Wie? Da fahrt ihr hoch?“ Also beschlossen Breitfuss und seine Spezis: Wenn die Leute derart angetan sind, dann lasst uns ein richtiges Rennen fahren. Gesagt, getan. 2006 fand es statt, das erste Snow Speed Hill Race.

Die Veranstaltung gedieh prächtig. Mittlerweile erfreut sie sich derart großer Beliebtheit, dass sich glücklich schätzen darf, wer einen Startplatz ergattert. Knapp 600 Piloten wollten sich 2016 einschreiben. Am 13. Januar um 9.00 Uhr wurde auf der Webseite des MSC Reiteralm die Einschreibung freigeschaltet, fünf Minuten später waren alle Motorrad-Startplätze vergeben. Unnötig zu erwähnen, dass der Computer-Server dem Ansturm nicht gewachsen war. Ebenfalls unnötig zu erwähnen, dass sich ein Mann wie Matthias Walkner das Einschreibeprozedere ersparen darf: Wenn er 2017 wieder mitfahren möchte, ist er gesetzt.

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm - Martin Huber

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm – Martin Huber

Mittlerweile sind an der Reiteralm die Finalläufe in vollem Gange und Matthias Walkner, auf dem Klappstuhl neben dem Startgatter, avanciert zu einem begehrten Gesprächspartner. Für Piloten, Fans und Journalisten. Wir fragen den KTM-Werkspiloten: Wie muss es konzipiert sein, das ideale Snow Speed Hill-Motorrad? „Viel Power, wenig Gewicht“, sagt Walkner. Ein Event wie gemacht für Motocross-Motorräder. Und zwar ohne exotische Modifikationen wie extrem lange Hinterradschwingen, welche bei den sommerlichen Hillclimb-Rennen oftmals zu sehen sind. Das würde zu viel Gewicht bringen. Weitere Technik-Tricks? „Wenig Luft in die Reifen, das bringt Grip. Und das Motorrad vorne tiefer legen.“ Dann rutscht ihm noch etwas von „Frostschutzmittel im Hinterreifen“ heraus. Wie bitte? Na ja, sagt Walkner und es scheint, als habe er jetzt vielleicht ein wenig zu viel verraten.

Stichwort Hinterreifen. Spikes sind strengstens verboten. Deshalb sollte die Gummimischung so weich wie möglich sein, zudem grobstollig. Und die Profilkanten müssen absolut scharf sein. Wer mit einem gebrauchten Reifen anrückt, hat schon verloren. Reiteralm-Freaks drehen ihren Hinterreifen vor dem Finale auf der Felge. So sollen die bislang geschonten, noch scharfen Profilkanten besseren Vortrieb ermöglichen, wenn es um den Gesamtsieg geht. Manche Piloten ziehen fürs Finale sogar einen frischen Reifen auf.

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm - Martin Huber

Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm – Martin Huber

Es ist kurz vor 22 Uhr, als beim Snow Speed Hill Race 2016 der Finallauf der großen Klasse (über 250 ccm) ansteht. Nun, da ein Matthias Walkner zum Zuschauen verdammt ist, springt ein anderer KTM-Pilot in die Bresche. Daniel Stocker, Bergbauer aus dem benachbarten Schladming, drückt sich auf den letzten Metern an seinen Gegnern vorbei und gewinnt. Einst fuhr Stocker für KTM die Enduro-WM, bei den SIX DAYS war er ebenfalls dabei, jetzt fügt er seinen Snow Speed Hill Race-Siegen aus den Vorjahren einen weiteren Triumph hinzu. Stocker entscheidet sich im Finale für die Linie ganz rechts außen, dicht an der Streckenbegrenzung. Die rechte Seite war 2016 die schnellere, das hat auch Matthias Walkner längst erkannt.

Daniel Stocker Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm - Martin Huber

Daniel Stocker Snow Speed Hill 2016 © MSC Reiteralm – Martin Huber

Aber Walkner ist mit seinen Gedanken bereits einige Wochen weiter. Bei der Sardinien-Rally Anfang Juni möchte er wieder im Sattel sitzen. Dort, auf Sardinien, hat er vor einem Jahr seinen ersten Sieg bei einer Rally-WM eingefahren. Doch so sehr Walkner die Rückkehr in die Weltmeisterschaft herbeisehnt, das Snow Speed Hill Race 2017 hat er bereits fix vorgemerkt.

Fotos: MSC Reiterlam – Martin Huber | Rossen Gargolov