KTM in der MotoGP: Wie geht´s voran?

Über ein Jahr Entwicklungsarbeit, zehntausende Testkilometer, fünf Tests mit der Konkurrenz und ein erster Wildcard-Einsatz: KTM hat die Basis für die erste MotoGP-Saison 2017 gelegt. Aber nach all den Eindrücken, Bewertungen und Leistungen der RC16 in den letzten Monaten fragen wir uns, was ist der aktuelle Stand des Projekts? Beim letzten KTM-MotoGP-Test in Jerez fragten wir den aufgeschlossenen und gut gelaunten Crew Chief Paul Trevathan nach ein paar Updates …

Mika Kallio (FIN), Pit Beirer (GER) & Paul Trevathan (GBR) Valencia (ESP) 2016

Mika Kallio (FIN), Pit Beirer (GER) & Paul Trevathan (GBR) Valencia (ESP) 2016

Der spanische Regen ist unablässig. Er prasselt mal stärker, mal schwächer gegen das Boxentor in Jerez. In der KTM-MotoGP-Box ist die Stimmung hingegen fröhlich optimistisch. Ein Kamerateam von Red Bull folgt dem aufgeweckten Pol Espargaró als er in die Box kommt und die vielen orange-blau gekleideten KTM-Teammitglieder wie alte Freunde begrüßt. Im Gegensatz zu Espargaró, der aufgrund seiner Vertragssituation in Jerez nur zuschauen kann, ist Bradley Smith als aktiver Fahrer dabei und hat sichtlich Spaß zwischen all den Boxen, Kisten und Teilen, die man für einen ausgewachsenen MotoGP-Test braucht.

Das bisher größte KTM Motorsport-Projekt ist dabei vom vierten in den fünften Gang zu schalten. Nicht erst seit der spanische und englische Pilot zum ersten Mal auf der RC16 Probe sitzen und Meinungen austauschen, auch die endlosen Testkilometer, die Mika Kallio – der einzige Fahrer, der sich trotz Regen bereit macht, um auf die Strecke zu gehen – bereits gesammelt hat, tragen zur Beschleunigung des Projekts bei.

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Bradley Smith (GBR) KTM RC16 Jerez (ESP) 2016

Das Team hat über ein Jahr auf verschiedenen europäischen Strecken getestet und zeigte vor zwei Wochen in Valencia erstmals sein ‘race face’. Während unserer kleinen Stippvisite in Jerez sprachen wir mit Crew Chief Paul Trevathan über ein kleines Update zu den letzten Tests eines Projekts, in das sehr viel Vorbereitungszeit investiert wurde. Ist das Team bereit für die Saison 2017?

Paul, es kommt einem vor, als würde KTM seit Ewigkeiten testen und vorbereiten; wo steht das Team jetzt nach diesem letzten Test im November?
„Ich denke, wir haben nun gezeigt, dass wir einen gewissen Speed haben. In meinen Augen haben wir mit der RC16 ein sehr ausgeglichenes Paket und das Gute ist, dass unsere drei Fahrer sich einig waren in dem, woran wir arbeiten müssen. Es ist etwas, das wir bereits vermutet hatten, aber wir wollten wissen, ob die neuen Jungs das ähnlich sehen. Es hat unsere Entwicklungsarbeit nicht beeinflusst, aber wir haben uns ein bisschen zurückgehalten, bis die Jungs das Bike getestet hatten und wir sicher sein konnten, dass wir in die richtige Richtung arbeiten. Wir haben ein klares Ziel und die Fahrer sagen, dass wenn wir in diesem speziellen Bereich arbeiten, dann wird der Unterschied unmittelbar spürbar sein. Ich denke, das ist sehr positiv für das gesamte Projekt.“

KTM RC16 Jerez (ESP) 2016

KTM RC16 Jerez (ESP) 2016

Bradley und Pols Meinung war also eine Überprüfung dessen, was Mika gesagt hat …
„Eher eine Art Bestätigung, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Jetzt haben wir es mehr oder weniger schwarz auf weiß. Wir könnten auch Mika das Bike für die anderen Fahrer entwickeln lassen, aber wir hatten noch ein paar andere Dinge zu erledigen und wollten sicher sein, dass dies das Hauptproblem ist.“

„Pol hat eine ansteckend fröhliche Art. Für diese Art von Projekt ist seine Einstellung fantastisch, denn es werden auch schwere Tage kommen. Wenn wir auf einen Charakter wie ihn zählen können, dann wird das jeden beflügeln. Nach einigen Kommentaren der Fahrer habe ich unsere Ingenieure sehr beschwingt erlebt.“

Nach dem, was du von Valencia erzählt hast, scheint das Umlegen des Bikes eine Schwäche zu sein …
„Das ist genau der Punkt. Das Umlegen des Bikes und zu verstehen, warum es nicht so gut funktioniert. Das Positive ist, dass wir drei verschiedene Piloten mit drei verschiedenen Fahrstilen haben und alle drei das Gleiche sagen. Wenn wir das Problem verstehen und ihr Feedback umsetzen können, dann ist das Problem gelöst. Dafür gibt es keinen konkreten Weg ,wir müssen einfach versuchen, den Charakter des Bikes ein bisschen stärker an ihre Bedürfnisse anzupassen.“

Gab es einen ‘Valencia-Effekt’? Wenn du jetzt auf das Wildcard-Debüt zurückblickst, was könnt ihr davon mitnehmen?
„Aus technischer Sicht hat es uns geholfen mit den anderen Jungs auf der Strecke zu sein. Nach dem MotoGP-Test in Österreich wussten wir ungefähr, wo wir im Vergleich mit den anderen stehen … aber erst unter Rennbedingungen gibt man nochmal diese 10% oder 20% extra. Erst da steht man vor dieser großen Herausforderung, die man bewältigen muss. Außerdem war es das letzte Saisonrennen und alle wollten bei ihren letzten Rennen nochmal starke Leistungen zeigen und hatten kaum etwas zu verlieren. Wir hatten eine ungefähre Vorstellung davon, was uns noch fehlte, aber insgesamt war es gar nicht so schlecht. Wir erlebten an dem Wochenende ein paar Überraschungen, aber wir haben auch einige Lösungen gefunden. Aus technischer Sicht und für das Team war die Rundenzeit von 1:32 min sehr positiv. Das Rennen verlief mit den Ausfall leider eher negativ. Das war schade für das Team, aber vor allem für Mika, denn es war seine Chance, wieder mit den anderen Jungs Rennen zu fahren. Wir sind so viele Rennsimulationen gefahren und nie mussten wir sie unterbrechen oder hatten ein technisches Problem … das Timing war also miserabel. Aus technischer Sicht hat uns das Rennen aber die Informationen geliefert, die wir brauchten. Dann kamen wir zum Test und Bradley war sehr ruhig auf dem Bike und Pol hat sich kontinuierlich gesteigert; das ganze Jahr habe ich nicht erlebt, dass die KTM so bewegt wurde. Es war schön zu sehen, dass wir uns mit dem Bike auf Anhieb steigern konnten.“

Mika Kallio (FIN) RC16 Valencia (ESP) 2016

Mika Kallio (FIN) KTM RC16 Valencia (ESP) 2016

Was wird also für den Winter ins Logbuch eingetragen?
„Ich war etwas enttäuscht, dass wir in Jerez nicht mit Pol testen konnten, denn beim vorherigen Test hat er uns extrem mit der Elektronik geholfen. Er hat sich hauptsächlich auf diesen Aspekt konzentriert und durch sein Wissen konnten wir beim Problem des Umlegens große Fortschritte machen. Es wäre schön gewesen, diese Arbeit fortzusetzen … stattdessen hat Mika das Gesamtpaket getestet und es nochmal weitergebracht. Leider hatten wir zwischen den beiden Tests in Valencia und Jerez nicht genug Zeit, alle Ergebnisse und Erkenntnisse umzusetzen und wirklich darüber nachzudenken, in welche Richtung wir konkret weiterarbeiten werden. Jetzt haben wir alle erstmal zwei Wochen zu Hause, um ein bisschen zu entspannen und uns Gedanken zu machen. Wir haben noch ein paar Ideen und Teile, die wir testen wollen, so dass wir positiv gestimmt zum Test nach Sepang reisen.“

Es muss euch vorkommen, als würde euch die Zeit davonrennen. Kurz nach der Teampräsentation beginnen schon wieder die Test für die Saison 2017 …
„Genauso ist es! Ich glaube wirklich, dass wir bis dahin auf einem zufriedenstellenden Level sind … die Jungs haben dieses Jahr schon oft bewiesen, wie hart sie arbeiten können und man muss vor ihnen den Hut ziehen. Wenn man ihnen zwischenzeitlich in die Augen geschaut hat, waren sie leer, aber dennoch haben sie erledigt, was erledigt werden musste. Es gab in diesem Jahr Momente, in denen wir etwas dringend brauchten und keiner hat uns hängen lassen. Nicht nur im Team, auch alle anderen Beteiligten. Das Bike – so wie es jetzt ist – gibt es nur wegen dieser Leute. Einige haben ihren Sommerurlaub unterbrochen, um etwas für uns zu erledigen. Die Leidenschaft für den Motorsport ist real und wenn an zu KTM kommt, hört und liest man zwar dauernd READY TO RACE, aber wenn man mittendrin ist, beginnt man zu spüren, dass es viel mehr als nur ein Logo ist. Und dann ist da auch noch Pit. Wenn wir sagen ‘Pit, wir brauchen dies oder das unbedingt …’, dann greift er zum Hörer und die Entscheidung wird an Ort und Stelle gefällt, so dass wir weiterarbeiten können. Es gibt nicht erst eine Reihe von Meetings; das ist ein großer Vorteil bei KTM. Das ganze Unternehmen steht zu 100% hinter dem MotoGP-Einstieg und aus diesem Grund bin ich mir sicher, dass wie es schaffen werden. Unsere Entwicklungsideen werden uns helfen. KTM hat kaum Erfahrungen in Sachen MotoGP, d.h. wir können bei Problemen nicht auf Erkenntnisse der Vergangenheit zurückgreifen; zunächst heißt es also so viel wie möglich zu lernen. Es ist eine enorme Lernkurve und wir sollten von einem Rückschlag oder Fehler nicht enttäuscht sein; manchmal ist der falsche Weg gleichzeitig der schnellste Weg, um etwas richtig zu machen.“

KTM RC16 Valencia (ESP) 2016

KTM RC16 Valencia (ESP) 2016

Fotos: KTM