Interview des Monats: Ein „gabelhaftes“ Wochenende mit WP Suspension-Techniker Gerald Perdon

Das Red Bull KTM MotoGP™ Factory Racing Team erstrahlt ohnehin schon ganz in der hellen Firmenfarbe, Gerald Perdon bringt aber noch etwas mehr Orange ins Spiel. Der Niederländer ist für die Federung an Bradley Smiths Bike verantwortlich und ließ uns bei seinem Heimrennen in Assen hinter die Kulissen blicken.

Gerald Perdon (NED) 2017

Genau wie Jack Miller stieg auch der Niederländer Gerald Perdon direkt aus der Moto3 in die MotoGP™ auf. Bevor er bei Red Bull KTM Bradley Smiths Fahrwerkstechniker wurde, schwang der 34-jährige ehemalige Rennfahrer die Schraubenschlüssel für Livio Loi bei RW Racing GP. „WP und ich haben eine lange gemeinsame Geschichte. Ich arbeitete für WP, als das Unternehmen noch seine Fabrik in Malden in den Niederlanden hatte. Als KTM das Werk in Malden schloss, bot man mir einen Job in Österreich an. Zu jenem Zeitpunkt fühlte sich das für mich aber einfach nicht richtig an. Ich heuerte für eine Saison bei Ten Kate Honda an, als die bei der Fireblade noch WP-Federung verwendeten.“ Nach mehreren Anstellungen in verschiedenen Motorradwerkstätten kehrte Perdon in den Rennsport zurück, als er einen Job bei RW Racing GP in der Moto3 fand. Der Vizemeister der niederländischen Supersport-Meisterschaft des Jahres 2006 beschloss nach zwei Saisonen, dass es Zeit für eine neue Herausforderung war. Und prompt sollte er diese Herausforderung auf dem Silbertablett serviert bekommen, als KTM ihm eine Stellung im brandneuen MotoGP™-Team anbot. „Ich kannte noch viele Leute aus meiner Zeit bei WP, als ich Entwicklungsarbeit an der KTM RC8 leistete. Als der Anruf kam, fuhr ich gleich nach Österreich und der Rest ging eigentlich ganz schnell.“ Perdon ist jetzt seit etwas mehr als zwei Jahren Teil des KTM-MotoGP™-Projekts. Um eine Ahnung davon zu bekommen, worum es bei seinem Job tatsächlich geht, wurden wir eingeladen, ihm während seines Heimrennens – der Dutch TT in Assen – quer durch das GP-Fahrerlager zu folgen, um einzigartige Einblicke davon zu bekommen, was sich bei KTM und WP hinter den Kulissen abspielt.

Red Bull KTM MotoGP™ Factory Racing Team Box Assen (NED) 2017

Dienstag, 15:41 Uhr – Eine frühe Ankunft
„Ein großer Unterschied zu meiner Zeit in der Moto3 besteht darin, dass ich jetzt bereits am Dienstag da sein muss. Zuvor kamen wir erst am Mittwoch an. Normalerweise nehme ich ein Flugzeug, außer für das Rennen in Assen. Dahin ist es schließlich nicht so weit. Am Dienstag checke ich nur im Hotel ein, begebe mich aber noch nicht zur Strecke. Meistens steigt das gesamte Team im selben Hotel ab. Da das Team aber so groß ist, ist es nicht immer möglich, alle in einem Hotel unterzubringen. Für die Dutch TT schliefen wir alle in einem Ferienpark, der nur zehn Minuten von der Strecke entfernt liegt; perfekt! In Europa von Rennen zu Rennen zu fliegen ist nicht so schlimm, aber die Übersee-Rennen machen mich total fertig. Gerade, wenn du dich an die neue Zeitzone gewöhnt hast, fliegst du schon wieder in eine andere. Das fordert irgendwann seinen Tribut.“

Mittwoch, 8:17 Uhr – Planung
„Das kommt jetzt wahrscheinlich nicht unbedingt überraschend, aber ein MotoGP™-Bike ist wie ein riesiges Puzzle. Ein einziges Problem kann ein Dutzend Ursachen haben. Reifen, Elektronik, Motor, Rahmen oder Federung. Alles ist miteinander verbunden, was die Sache schnell richtig kompliziert macht. Am Mittwoch richten wir die Werkstatt an der Rennstrecke ein und bereiten alles für das Wochenende vor. Wir packen unsere Transportkoffer aus und sortieren alle Werkzeuge, Ersatz- und Kleinteile heraus. Außerdem analysieren wir mit dem gesamten Team das vorangegangene Rennwochenende. Danach erstellen wir die Pläne für das restliche Wochenende. Die Hauptrichtung wird dabei von Tom Jojic, Bradleys Crew Chief vorgegeben. Sobald jeder weiß, was zu tun ist, packen wir es an. Für mich bedeutet das, dass ich die Federung auspacke und beginne, sie für den nächsten Tag einzustellen.“

Tom Jojic (CAN) & Gerald Perdon (NED) Assen (NED) 2017

Donnerstag, 14:24 Uhr – Warenübernahme
„Wir sind immer noch mittendrin, das Bike zu entwickeln, weshalb uns ständig neue Teile zugesandt werden. Fast jedes Wochenende probieren wir etwas Neues, anderes aus. Dinge zu schnell zu verändern ist riskant. Wenn etwas schief läuft, sitzt man schnell in der Tinte. Trotzdem lernt man von diesen Entwicklungen am meisten. Obwohl WP Suspension mit einem eigenen Truck im Fahrerlager vertreten ist, bedienen sie damit hauptsächlich die Jungs in der Moto2 und Moto3. Normalerweise gehe ich nur dorthin, um den Leistungsprüfstand zu verwenden. Ansonsten findet man mich meistens an Bradleys Seite im KTM-Truck auf der Rückseite der Garage. Es kostet mich beinahe den ganzen Tag, die Federelemente fertig zu bekommen, da ich sechs Sätze – bestehend aus je einer Gabel, einem Federbein und einem Lenkungsdämpfer – vorbereiten muss. Alle mit unterschiedlicher Abstimmung und anderen Teilen, damit wir ein paar Dinge ausprobieren können. Am Nachmittag übergebe ich die Federung den Mechanikern, damit diese sie einbauen können.“

Gerald Perdon (NED) Assen (NED) 2017

Freitag, 8:07 Uhr – Letzte Checks
„Bis jetzt hat sich noch nie über Nacht etwas Grundlegendes geändert, trotzdem kontrolliere ich am Freitagmorgen noch einmal alles, um sicherzugehen, dass die Abstimmungen passen. Wir können es uns nicht leisten, eine ganze Sitzung zu vermiesen, nur weil etwas nicht ganz in Ordnung war. Vor, während und nach jeder Sitzung höre ich mir in der Box das Feedback des Fahrers an – was aufgrund des unglaublichen Lärms und der Tatsache, dass die meisten Fahrer ihre Helme nicht abnehmen, gar nicht so einfach ist. Und wenn mein Fahrer draußen auf der Rennstrecke ist, bin ich in der Box und sehe mir die Daten an. Alles dreht sich um Parameter; wie schnell die Federung ein- und ausfedert. Wirklich analysieren kann man das nicht, während das Bike draußen ist. Anhand der Daten kann man aber sehr wohl sagen, ob die Federung zu hart oder zu weich abgestimmt ist. Am Ende jeder Sitzung nehme ich die Daten mit ins Büro, um sie weiter zu prüfen. Selbst Rennen gefahren zu sein, ist ein großer Vorteil. Dadurch kann ich besser verstehen, was mir der Fahrer sagen will.“

Red Bull KTM MotoGP™ Factory Racing Team Box Assen (NED) 2017

Samstag, 14:10 Uhr – Feineinstellungen
„Am Samstag dreht sich alles um das Qualifying. Zwischen dem letzten freien Training und dem Q1 bleibt kaum Zeit, also nehmen wir fast nie die Gabel heraus. Das dauert mindestens eine halbe Stunde, weshalb wir das nur tun, wenn wirklich der Hut brennt. Während der Trainingssitzungen ändere ich die Abstimmung manchmal ein klein wenig. Große Änderungen an der Federung werden zwischen den Sitzungen vorgenommen. Meistens aber nehmen wir am Wochenende nur mehr Feinabstimmungen vor. Von Zeit zu Zeit sehe ich mir die Daten von Pol Espargaró an, was mir aber meistens nicht weiterhilft, da Pol mit einer völlig anderen Abstimmung fährt. Dennoch hilft es mir, das große Ganze im Blick zu behalten, schließlich können wir nur zusammen erreichen, was wir uns vorgenommen haben.“

Gerald Perdon (NED) KTM RC16 Assen (NED) 2017

Sonntag, 12:25 Uhr – Das Rennen
„Ich bin bei der Startaufstellung dabei, obwohl ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr viel machen kann. Bevor ich mich aber dorthin begebe, übertrage ich alle Einstellungen an Bradleys Bike auf das Ersatzmotorrad. Sollte sich das Wetter verschlechtern, stelle ich die Federung auf Regen ein, und wenn es wirklich zu regnen beginnen sollte, laufe ich so schnell wie möglich zurück zur Box. Dann müssen wir die Gabel weicher machen und das Federbein tauschen, was sich schwieriger anhört, als es ist. Derzeit kämpfen wir einen schweren Kampf im hinteren Teil des Feldes, müssen aber realistisch bleiben. Solange wir um Punkte mitfahren können, sind wir glücklich. Um in die Top 10 zu kommen, müssen wir einen weiteren großen Schritt machen. Die Fahrer wissen das; es ist ein neues Projekt und solange wir Fortschritte machen, sind wir glücklich und motiviert.“

Sonntag, 16:03 Uhr – Fast geschafft
„Meine Arbeit ist nach dem Rennen noch nicht getan. Ich muss schließlich noch einen Bericht schreiben. Wir dokumentieren alles, was wir ausprobiert haben – was funktioniert hat und was nicht. Außerdem fülle ich noch ein Formular aus, um festzulegen, welche Teile ich beim nächsten Rennen zur Verfügung haben möchte. Alles in allem dauert das mindestens noch einen halben Tag. Normalerweise packe ich dann am Montag meine Sachen – noch ein Unterschied zur Moto3. Als ich noch in der kleinsten Klasse arbeitete, machten wir uns bereits am Sonntagabend auf zum nächsten Rennen, da wir bereits zusammenpacken konnten, bevor das MotoGP™-Rennen gestartet wurde. Heute kann ich erst am Montag abreisen, sodass ein Rennwochenende in der MotoGP™ zwei Tage länger dauert. In der GP-Box zu arbeiten ist manchmal recht hart. Wenn du also vorhast, länger dabeizubleiben, solltest du eine Leidenschaft für den Rennsport mitbringen.“

Bradley Smith (GBR) KTM RC16 Assen (NED) 2017

Fotos: Guus van Goethem