Kleider machen Leute: Espargaró über MotoGP™-Schutzsysteme

Wenn die fünf relativ glimpflichen Unfälle von Marc Márquez beim Grand Prix von Katalonien eines beweisen, dann, dass das Niveau der Schutzsysteme, auf die sich MotoGP™-Fahrer verlassen können, eine große Rolle spielt. Wir haben Pol Espargaró vom Red Bull KTM-Team gebeten, uns ein paar Details zu verraten …

Pol Espargaró (ESP) Assen (NED) 2017

Anders als beim Motocross, wo Fahrer bei ihren Schutzsystemen etwas wählerischer sein können (Knieschoner? Nackenschutz? Rückenpanzer?), können sich MotoGP™-Rennfahrer keinen solchen Luxus leisten. Sie mögen vielleicht brutal aussehen, aber wenn man einmal neben einer KTM RC16 steht, fällt einem auf, was für kompakte Motorräder das eigentlich sind. Das gilt natürlich auch für die anderen Bikes in der Startaufstellung. Viel Bewegungsfreiraum bieten sie jedenfalls nicht. Der Fahrer ist ein integraler Bestandteil eines Gesamtdesigns, für das bei aerodynamischen Tests und Feinabstimmungsarbeiten viele Millionen Euro ausgegeben werden. Das bedeutet, dass die Athleten zu einem Teil der Linien und Formen des Rennmotorrads werden und zusammen mit dem Bike eine Einheit bilden müssen.

Helme, verstärkte Stiefel, Handschuhe sowie Lederkombis (Känguru- und Rindsleder für beste Widerstandsfähigkeit und Flexibilität) stecken voller speziell gepanzerter Elemente, um mit Unfällen fertig zu werden, bei denen Fahrer mit mehr als 200 km/h auf den Asphalt aufschlagen oder ins Kiesbett schlittern (der ehemalige Rennfahrer und heutige Musiker und TV-Moderator James Toseland sagte einmal, dass Handschuhe das wichtigste Teil der Schutzbekleidung seien, da die Hände des Fahrers fast immer als Erstes den Boden berühren. Die krummen Finger vieler Ex-Rennfahrer zeugen vom Wahrheitsgehalt dieser Aussage).

Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Losail (QAT) 2017

Die meisten Lederkombis, die auf dieser Stufe des Rennsports eingesetzt und von Marken wie Alpinestars und Dainese produziert werden, sind mit Protektoren für spezielle Körperregionen ausgestattet und auf die Wünsche der Fahrer zugeschnitten (manche opfern der Bewegungsfreiheit oder dem Komfort sogar den Verletzungsschutz). Manchmal kann man den einen oder anderen MotoGP™-Star dabei beobachten, wie er einen kleinen Brustpanzer anlegt, bevor er die Kombi zuzieht. Das gehört zu dem Kompromiss zwischen Sicherheit und dem Vermögen, schnell Motorrad zu fahren. „Ich bin nicht an den Brustpanzer gewöhnt, aber er dient der Sicherheit und ist Teil der Regeln“, so Pol. „Dainese hat mit verschiedenen Stärken experimentiert, aber wenn du auf dem Bike sitzt und etwas vor der Brust hast, fühlt sich das unnatürlich und unkomfortabel an.“

Während bei den Kombis enorme Fortschritte in Sachen Effektivität, Aufbau, Haltbarkeit sowie Belüftung gemacht wurden, gibt es ein Element, das noch relativ neu ist: den Ellenbogenschleifer. Dank des unfassbaren Grips der Reifen haben in den letzten fünf Jahren extreme Schräglagen und mehr ‚Akrobatik‘ die MotoGP™ geprägt. Espargaró war einer jener, die die Entwicklung in diesem Bereich forcierten. „Ich hatte als einer der Ersten meinen Ellenbogen am Asphalt“, sagt er. „Ich erinnere mich daran, dass [Stefan] Bradl der Allererste war. Im ersten Jahr mit Dainese haben wir verschiedene Materialien getestet, um zu verhindern, dass der Ellenbogenschleifer bereits nach fünf Runden aufgebraucht war. Wir haben ziemlich viel Zeit darauf verwendet.“

Wenn es um das Thema Arme geht, muss man auch über ‚Armpump‘ reden. Espargaró – seit vier Jahren Teil des Engagements des italienischen Herstellers Dainese – hat eine Lösung gefunden, die mit Hilfe mehrerer eng anliegender Streifen, welche fast die Haut des Fahrers kneifen, etwas Linderung verspricht.

Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Assen (NED) 2017

Maßanfertigung ist ebenfalls eine große Sache. Die verschiedenen technischen Partner investieren viel Zeit und Geld in den Rennsport und müssen sicherstellen, dass die Produkte, die ihre Vertreter und Markenbotschafter tragen, leistungsfähig sind. Pol gibt uns ein Beispiel: „Als ich in Argentinien über den Asphalt schlitterte, wurde mein Finger fast bis auf die Sehne abgescheuert. Dainese entwickelte daraufhin eine Modifikation für meinen Handschuh. Das gute an diesem Unternehmen ist – und das sage ich nicht nur, weil ich ihre Produkte verwende, sondern weil es meine ehrliche Meinung ist – dass sie dir zuhören. Vielleicht bekommst du von dieser Marke keine 100 Lederkombis, aber die 3 oder 4, die du bekommst, sind tipptopp. Das neue Handschuhsystem, das ich trage, ist wirklich gut. Im Prinzip bestehen sie aus einem Mantel und einer Metallplatte mit Kunststoff darüber; der Aufbau ist wirklich cool.“

Pol Espargarós (ESP) Handschuhe

Leatt, der südafrikanische Pionier in Sachen Motorrad-Sicherheitsausrüstung brachte drei Jahre damit zu, einen Nackenschutz für Rundstreckenrennfahrer zu entwickeln, welcher von Pols Bruder Aleix – der ebenfalls in der MotoGP™ fährt – getestet wurde. Das Schwierige an dieser kompakten Einheit war, die richtige Mischung aus Funktionalität und Zweckmäßigkeit zu finden (und wieder geht’s um die Aerodynamik). Das Projekt wurde letztes Jahr bis auf Weiteres ausgesetzt. Seitdem wurden nur wenige Innovationen für die Fahrer vorgestellt. Die größten Sprünge wurden in der letzten Zeit bei der Airbag-Technik gemacht. Alpinestars schritt bei der Entwicklung dieser außergewöhnlichen Neuerung voran, aber auch Firmen wie Dainese investieren diesbezüglich Zeit und Know-how in Forschung und Entwicklung.

Dieses intelligente System arbeitet auf Basis einer Reihe komplizierter Algorithmen und Sensoren, welche in einem kleinen Päckchen in der Lederkombi installiert sind und den Airbag blitzschnell in den ersten Millisekunden und Phasen eines Unfalls aufblasen. Die meisten Teams in der MotoGP™ verwenden dieses Schutzsystem und Alpinestars hat seine Erkenntnisse mittlerweile auch in ein entsprechendes Produkt für den Straßenmotorrad-Markt gesteckt.

„Wir arbeiten unermüdlich an unserem Airbag-System, weil es für mich eine der besten technischen Innovationen der letzten Jahre im Rennsport darstellt“, verrät uns Espargaró. „Jedes Mal, wenn ich zu Boden gehe, teile ich mit Dainese, was passiert ist, wie der Aufprall war, zu welchem Zeitpunkt der Airbag aufging und so viele weitere Informationen, wie ich nur kann. Ich kann es mir fast nicht mehr vorstellen, ohne den Airbag zu fahren. Du bemerkst ihn normalerweise gar nicht – erst wenn du stürzt, fühlst du, wie er sich aufbläst und den Bereich um dein Schlüsselbein und andere Regionen deines Körpers schützt.“

Pol Espargaró (ESP) KTM RC16 Losail (QAT) 2017

Obwohl es sich dabei kaum um ein Element des Schutzes handelt, ist der Flüssigkeitstank, welcher sich im ‚Höcker‘ der Rennkombi versteckt, ein weiterer wichtiger Teil der Ausrüstung eines MotoGP™-Fahrers. Espargaró ist ein Verfechter dieses Systems, das ihm hilft, die Renndistanz zu überstehen. Es hat üblicherweise ein Fassungsvermögen von weniger als einem halben Liter und obwohl Flüssigkeitsmangel bei einem Grand Prix normalerweise kein Problem darstellt, kommt es bei hohen Temperaturen (in Katalonien waren es zuletzt fast 34 Grad) oder hoher Luftfeuchtigkeit sehr gelegen. „Mir wurde empfohlen, es schon in den Sitzungen am Morgen zu tragen, um mich schon mal daran zu gewöhnen, aber ich verwende es immer gleich im Rennen“, so Pol. „Ich schätze es, weil es mich schön kühl hält und mir eine große Hilfe ist.“

Es ist kaum vorstellbar, was an der Schutzausrüstung der Rennfahrer noch verbessert werden könnte. Sicher ist aber, dass die Materialien an Widerstandsfähigkeit oder Langlebigkeit zulegen werden und dass Experten Überwachungssensoren verwenden werden, um während des ganzen Rennwochenendes über den physiologischen Zustand eines Fahrers auf dem Laufenden zu sein. Unternehmen wie Alpinestars und Dainese werden auch weiterhin nach Verbesserungen streben und es wird faszinierend werden, zu erleben, was sie in den nächsten zehn Jahren alles ausbrüten und den Grand-Prix-Fahrern der nächsten Generation zur Verfügung stellen werden.

Fotos: KTM