Interview des Monats: Mike Leitner – Von der Kunst, in der MotoGP™ alle Puzzleteile zusammenzusetzen

Wie baut man aus dem Nichts ein ganzes MotoGPTM -Team auf? Um das herauszufinden, haben wir uns mit dem Mann an der Spitze des Red Bull KTM MotoGP-Teams zusammengesetzt.

Mike Leitner, Teammanager von Red Bull KTM MotoGP Factory Racing und ein Mann, der einen großen Teil seines Lebens in der Motorradindustrie und in der MotoGPTM verbracht hat, setzt sich am Freitagabend mit einem Glas Weißwein zu uns, um sich vor dem Großen Preis von Großbritannien in Silverstone mit uns zu unterhalten. In einer Ecke der wie eine Festung anmutenden Red Bull Energy Station feiert ein Mitglied des gewaltigen Red Bull KTM MotoGPTM –Teams seinen Geburtstag. Aber auch der bald 55-Jährige hat sich einen Drink sicher redlich verdient. In nur zwei Jahren der Planung und rasanten Entwicklung hat er das KTM-Werksteam dorthin gebracht, wo es jetzt ist: in die Top 10 der MotoGPTM-Wertung und dies nach nur zwölf oder dreizehn Rennen seiner ersten Saison.

Mike Leitner (AUT) Termas de Río Hondo (ARG) 2017

Seit seinem Einstieg bei der in Munderfing ansässigen Rennabteilung von KTM und dem Entschluss des Unternehmens, sozusagen die Traktionskontrolle abzuschalten und in der höchsten Rennklasse Vollgas zu geben, arbeitet Leitner mit vollem Einsatz und spricht offen über seine Aufgaben. Er hat uns sogar während der Aufbauphase des Teams ein Interview gegeben. Inzwischen läuft das Projekt auf Hochtouren und die Präsenz von Red Bull KTM wurde in diesem Sommer in Mugello mit der „Holzhaus“-Hospitality komplettiert.

Wir wollten von dem Österreicher wissen, wie es ist, ein Rennteam 18 Läufe lang zu koordinieren und 70 bis 80 Mitarbeiter während der Test- und Entwicklungsarbeit und 30 bis 40 während eines MotoGPTM-Rennens zu managen. Wenn sich auch die Moto3– und Moto2-Mitarbeiter darin tummeln, mutet das Holzhaus wie eine geschäftige Dependance der Rennzentrale in Munderfing an. Als wäre die MotoGPTM allein nicht schon Herausforderung genug.

Red Bull KTM MotoGP Factory Racing Bikes 2017

Mike, eure erste volle Saison neigt sich dem Ende zu. War das Koordinieren des Renn- und Entwicklungsteams und des ganzen Teams so, wie du es dir vor mehr als einem Jahr vorgestellt hast?
„Es ist immer schwierig vorauszusehen, was passieren wird, wenn du einen Job wie diesen annimmst. Wir haben praktisch bei Null angefangen. KTM hatte mit so einem Projekt keine Erfahrung und auch kein Rennteam in dieser Dimension. Wir haben mit einer kleinen Gruppe begonnen, Monat für Monat das Team erweitert und angefangen, eine Struktur aufzubauen. Eigentlich sind wir noch immer in dieser Phase und vielleicht noch nicht ganz ‚bereit‘, aber wir haben einen guten Start hingelegt. Manchmal, wenn du so ein Projekt angehst, ist es sogar gut, nicht zu wissen, was auf dich zukommt – da kommt dann der Enthusiasmus der jungen Leute zum Tragen! Sie denken nicht daran, wo sie mit 35 sein werden, sondern legen einfach los. Das war unser Einstieg in das Projekt. Auf Probleme haben wir einfach reagiert, wenn sie auftauchten.“

Du wusstest, dass KTM schnell entwickelt. Ihr habt bereits einen neuen Motor bekommen und das Bike verändert sich laufend. Warst du überrascht, wie schnell neue Entwicklungen und neues Material bereitstanden? Und wie schnell damit Fortschritte gemacht wurden?
„Das war eigentlich relativ schnell klar. Trotzdem ist es schon immer noch überraschend, dass wir so arbeiten können. Die Saison ist zwar noch nicht vorüber und auf uns warten noch viele schwierige Strecken, aber die Geschwindigkeit, mit der das Bike verbessert wurde, war schon beeindruckend und wir werden auf jeden Fall versuchen, noch einen weiteren Schritt voranzukommen.“

Pol Espargaró (ESP, #44), Mika Kallio (FIN, #36) & Bradley Smith (GBR, #38) KTM RC16 Red Bull Ring (AUT) 2017

Wie fühlt es sich an, all diese Teams und Mitarbeiter zu koordinieren?
„Um ganz ehrlich zu sein, war die größte Herausforderung, Leuten, die noch nie in der MotoGPTM gearbeitet haben, die richtige Denkweise oder das entsprechende Verständnis zu vermitteln, also wie man arbeiten muss und wie man den nächsten Schritt angeht. Das ist nicht leicht. In meinem ersten Jahr im Unternehmen hatten wir viele Grundsatzgespräche. Ideen gibt es viele, du musst aber vorgeben, wie es laufen wird, und sagen ‚wir machen dies und jenes, wenn dies und jenes passiert‘ oder ‚wir müssen uns auf diese und jene Situation vorbereiten‘, ‚bei den Überseerennen machen wir Folgendes‘ oder ‚wenn wir einen Motor neu aufbauen müssen, müssen wir auf die Zeitlimits achten‘ und so weiter. Das war schon hart, denn am Anfang hatten wir nicht viele Leute mit MotoGPTM-Erfahrung im Team. Natürlich hatten alle Erfahrung im Motocross-Sport und in der Moto3, eine lange Renntradition und eine große Leidenschaft für den Rennsport. Sie mussten aber bereit sein, zu lernen und sich anzupassen. Im zweiten Jahr wurden wir besser und gingen endlich auf die Rennstrecke. Wir stellten noch mehr Leute ein und konzentrieren uns weiter auf die Testarbeit. Es ist nicht einfach, alles zu jeder Zeit perfekt am Laufen zu halten.“

Was war das Schwierigste? Neue Systeme in einem Rennteam zu integrieren oder all die verschiedenen Charaktere zu managen?
„Die größte Herausforderung ist, die richtigen Leute für den jeweiligen Job zu finden. Du kannst schließlich nicht ins nächste Shopping-Center gehen und ein paar Rennspezialisten einkaufen! Es ist schwierig, gute Leute an Bord zu holen, aber es führt kein Weg daran vorbei. Für jeden erfahrenen Rennmitarbeiter müsstest du drei oder vier junge Leute holen und es war echt schwierig, eine gute Truppe zusammenzustellen. Wir sind da auch noch nicht ganz am Ende.“

Red Bull KTM MotoGP Team KTM RC16 Silverstone (GBR) 2017

Abgesehen vom Motorrad selbst: Welche Lektionen habt ihr gelernt?
„Unsere Lernkurve war unglaublich steil. Nach zehn Läufen arbeiten wir anders als noch nach den ersten beiden. Man lernt natürlich aus seinen Fehlern und den Erfahrungen, die man macht. Das Rennteam agiert und reagiert bei den Rennen bereits sehr professionell, was uns alle freut. In meiner Position kann ich nicht bei jedem Rennen und jedem Test dabei sein und gleichzeitig im Büro alle Entscheidungen treffen. Wir haben eine gute Renntruppe aufgebaut, halten ständig Kontakt und haben viele Meetings. In Entscheidungen sind wir voll eingebunden, aber ich verbringe 200 Tage im Jahr in Mattighofen und das Jahr hat nur 365 Tage. Wir haben in den letzten beiden Jahren ein gut funktionierendes System aufgebaut, das auch von außen gesteuert werden kann. Pit arbeitet intern und ist als Renndirektor voll in das Projekt integriert. Außerdem haben wir Leute, die die Motor-, Fahrwerks- und Elektronikabteilungen leiten. Wenn Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden müssen, machen wir das alle gemeinsam.“

Du musstest nicht nur das Team aufbauen, sondern auch die Entwicklung des Bikes selbst überwachen und dann Resultate abliefern. Klingt nach einer Mammutaufgabe!
„Tja, was soll ich sagen? Auch wenn du selbst viel weißt, musst du deinen Mitarbeitern die Gelegenheit geben, sich zu verbessern und mit der Aufgabe zu wachsen. Du kannst als Einzelner nicht alles allein koordinieren. Du musst zwar den Überblick behalten, aber auch das nötige Vertrauen haben, dass andere sich darum kümmern, dass alles korrekt abläuft. Du kannst ihnen Tipps geben und ihnen vielleicht sagen ‚ich würde hier vielleicht rechts abbiegen statt links …‘ und so weiter, kannst aber nicht immer bis ins kleinste Detail gehen.“

Mike Leitner (AUT) KTM RC16 Barcelona (ESP) 2017

Auch auf der schwierigen Strecke in Silverstone erzielte Pol Espargaró mit seiner KTM RC16 einmal mehr ein gutes Ergebnis. Bei den Pressekonferenzen zeigt sich der stets fröhliche Katalane oftmals ein bisschen verwundert – als ob er sagen wollte: „Ich hätte nicht damit gerechnet, dass wir so schnell so gut sein würden.“ Dank der gemeinsamen Leistungen des Teams ist KTM auf dem Weg nach oben.

Fotos: KTM